Название | Hamam Balkania |
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Автор произведения | Vladislav Bajac |
Жанр | Языкознание |
Серия | editionBalkan |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941388 |
»Und erfahren, wer war erfahren?«, fragte ich weiter.
»Uludsch Ali, der berühmte Korsar, dem der Sultan aufgrund seiner sklavischen Loyalität die Befehlsgewalt über einige Teile der Marine anvertraute, die er mehr als fünfzig Jahre ausübte. Dieser mutige Mann zerstörte über viele Jahrzehnte mit außergewöhnlichem Erfolg europäische Flotten im Mittelmeerraum. Aber er hatte zwei schlechte Seiten. Die eine war eine scharfe Zunge (die ihm wegen seiner unermesslichen Erfahrung manchmal verziehen wurde). Aber diesmal hatte er vor Müezzinzade Ali Pascha die folgenden (allzu) offenen Sätze ausgesprochen, und das, als er sah, dass jener nicht von seinem verhängnisvollen Entschluss abließ: ›Die Türken aus Konstantinopel können sich nicht annähernd die Stärke der christlichen Flotte vorstellen. Diesem Vieh (damit es keine Verwirrung gibt, genau so hat er sie benannt – die hauptstädtischen Türken, nicht die Europäer! –, kommentierte Pamuk) muss man die Nachrichten über Anzahl und Stärke des europäischen Feindes übertrieben darstellen, damit ihnen wenigstens auf diese Weise die Wahrheit einleuchtet!‹
Müezzinzade Ali Pascha, den stolzen und mutigen Mann, verletzten diese Worte und er gab genauso zurück: ›Du willst die Christen verschonen, weil du in deiner Jugend auch einer warst! Du willst deine italienische Heimat retten!‹
Diese abstoßende Beleidigung saß: Uludsch Ali verstummte, denn er wollte nicht, dass man an seiner Ergebenheit und seinem Mut zweifelte. (Die christliche Herkunft war, neben seinem losen Mundwerk, seine andere schlechte Seite).«
Ich dachte über die Schläue von Ali Pascha nach. Mit diesen Worten hatte er gleichzeitig den Großwesir und den zweiten Wesir beleidigt, und in einer solchen Situation wurde das scheinbar unangefochten hingenommen. Aus reiner Besonnenheit haben weder Mehmed Pascha Sokolović noch Pertev Mehmed Pascha auf diese Bemerkung reagiert. Hätten das die getan, die ursprünglich Serben waren, und noch dazu gemeinsam mit dem bereits herausgeforderten Uludsch Ali, wären zweifelsohne alle als Verteidiger ihres ursprünglichen christlichen Glaubens wahrgenommen worden. In diesem Zusammenhang war Ali Pascha unverschämt listig, da er solch eine Reaktion vorausgeahnt hatte. Pamuks weiteres Erzählen bestätigte das nur.
»Sultan Selim hat in dieses Schweigen hinein, während er seinen Turban abnahm, folgendes Urteil gefällt: ›Wenn dieser Turban drei Köpfe bedecken kann, werden auch die Ungläubigen vereint gegen mich auftreten …‹«
Pamuks Zitieren des Sultans ließ mich darüber nachdenken, dass dessen charmante aber zwanglose Eloquenz das Reich mitunter teuer zu stehen kam. Dass die Entscheidung weder einstimmig noch leicht getroffen wurde, ist ein schwacher Trost. Obwohl sie immerhin von der Existenz sehr vernünftiger und besonnener Menschen an der Spitze der Macht zeugt, die eine allumfassende Prognose bevorzugten.
Zum Leidwesen des Osmanischen Reiches »traten die Ungläubigen vereint auf«. In die Schlacht in der Bucht von Lepanto eingetreten, wohin sich die türkische Armada zurückgezogen hatte um auf den Feind zu warten, nebenbei noch Korfu ausplündernd, erhielt Ali Pascha zusätzlich moralischen Rückenwind, obgleich sich der echte Wind kurz vor dem Beginn des Aufeinandertreffens der zwei Armeen zugunsten der Christen gedreht hatte.
Pamuk verdeutlichte mir das Kräfteverhältnis vor der Schlacht:
»Müezzinzade Ali Pascha führte eine Flotte von 120 Galeeren und 66 Galiotten5 mit ca. 50 000 Ruderern und Matrosen und ungefähr 25 000 Soldaten an Bord. Don Juan de Austria beteiligte sich am Kampf mit einer Flotte von 236 Galeeren und 6 schweren Galeassen6. Auf seinen Schiffen befanden sich 44 000 Ruderer und Matrosen sowie 28 000 Soldaten. Obwohl die christliche Armee insgesamt über weniger Schiffe und kleinere Mannschaften verfügte, war sie doppelt so gut mit Waffen ausgestattet, sowohl mit schweren Kanonen als auch mit allen anderen Feuerwaffen. Das hat auch die Schlacht entschieden.«
»Nun erzähl mir von den Zahlen nach der Schlacht.«
»Ja. Und die strategische Beschreibung der Schlacht werde ich überspringen. Obwohl auch heute noch an den Militärakademien als Beispiel jedes Detail der bis dahin größten Seeschlacht in der Geschichte studiert wird. Also, die Flotte von Ali Pascha verlor über 200 Schiffe, von denen mehr als 80 versenkt und 117 vom Feind erbeutet wurden. Ungefähr 25 000 türkische Soldaten und Matrosen kamen um und 3 500 wurden gefangen genommen. Von den eroberten Schiffen wurden 12 000 christliche Sklaven befreit, die als Rudersklaven7 dienten. Die Flotte der Heiligen Liga hatte lediglich ca. fünfzehn Galeeren an Verlusten sowie 8 000 Tote und 2 500 Verletzte zu beklagen. Daher war die türkische Niederlage eine totale und schreckliche.«
»Mir ist klar, dass du all diese Zahlen anführst, um irgendetwas hervorzuheben«, unterbrach ich ihn. »Ich gehe davon aus, dass die Konsequenzen aus der Niederlage das Wesentliche sind?«
»Oh, ja. Der Schock unter den Osmanen war unbeschreiblich. Sich in Sicherheit wiegend und ständig angeheizt durch die selbstverliebte Begeisterung der Macht, konnten sie nicht einmal die theoretische Option einer Niederlage akzeptieren und noch weniger den Fakt, dass so etwas geschehen war. Die Nachricht erhielt der Großwesir Sokollu von Pertev Pascha, der es geschafft hatte, seinen Kopf zu retten, indem er sich irgendwie zum Ufer durchschlug. Er meldete auch, dass der Kapudan Pascha8 Müezzinzade Ali Pascha im Kampf gefallen sei und seine beiden Söhne gefangen genommen wurden. Dieser Brief erreichte Mehmed Pascha in Edirne, wo er den Sultan und die ganze Gefolgschaft auf der Herbstjagd begleitete. Zeugen sagen, dass er sich selbst den Bart ausriss und dass er Sultan Selim die Nachricht in dem Augenblick überbrachte, als dieser mit dem Dragoman9 aus Dubrovnik sprach. Dieser Gesprächspartner hat bezeugt, dass der Sultan nach dem Empfang dieser Nachricht bestürzt war und dann große Angst zeigte, dass die Sieger Konstantinopel angreifen könnten. Daher befahl er, sofort bestmöglich die Dardanellen zu schließen und die Hauptstadt vor jeglichen Angriffen zu schützen.«
»Ich habe gelesen, dass diese Nachricht echte Verwirrung und Angst in der ganzen Türkei ausgelöst hat«, sagte ich zu Pamuk. »Das Volk hat in der Tat, mit heutigen Worten ausgedrückt, einen kollektiven Schock erlebt. Also, ich zitiere für dich genau den Zeugen, in dessen Anwesenheit dem Sultan diese Nachricht übermittelt wurde, den Gesandten aus Dubrovnik, den du soeben erwähnt hast. Da er direkt anwesend war und dieselbe Sprache wie der Großwesir Mehmed Pascha sprach, was ein zusätzlicher Vorteil war, notierte er äußerst detailliert die Reaktionen der Öffentlichkeit und der Menschen: ›Das Jammern und Klagen war unglaublich, auch die unendliche Verzagtheit, die diese Menschen auf einmal offenbarten. Vor kurzem sprachen sie noch gut gelaunt mit Geringschätzung und Verachtung von den christlichen Kräften, nun da Überheblichkeit und Hochmut dahinschwanden, weinten sie wie Frauen. Sie dachten allein daran, wie sie der sich nähernden Gefahr entgehen und einen Krieg vermeiden konnten.‹«
Pamuk knüpfte daran an.
»Und objektiv betrachtet war die Angst nicht unbegründet. Diese Niederlage hatte viele Aufstände der im selben Moment ermutigten Christen zur Folge, die unter den Osmanen lebten. In der westlichen Welt fand dieser Sieg der Christen einen starken Widerhall und bestärkte Europa in dem Gedanken, dass nach zwei Jahrhunderten ständiger Niederlagen und ständiger Angst etwas völlig Anderes eintreten könnte. Die bis dahin herrschenden Kräfteverhältnisse gerieten nach langer Zeit ins Wanken.«
»Ich habe auch gelesen«, fuhr ich fort, »dass die wahren Probleme begannen, als der Großwesir Mehmed Pascha Sokolović, der wie es scheint, der einzige war, der den Kopf nicht verlor oder der erste, der sich wieder gesammelt hatte, es schaffte, den Sultan zu überreden, zu einer Art offensiven Handelns überzugehen. Nicht zu militärischem Handeln, sondern zu Aktivitäten, die die Passivität, die den gesamten Staat völlig lahmgelegt hatte, überwinden sollten. So wurden schnell Fermane10 über die erneute Rekrutierung von Soldaten und den Wiederaufbau der Marine erlassen. Aber offensichtlich gingen die Probleme da erst los! Wie aus den Papieren hervorgeht, wollten die Rechtgläubigen des Sultans ›nichts mehr vom Krieg wissen‹, es geschah sogar, dass die gesamte Bevölkerung aus ›dreihundert anatolischen Dörfern auf persisches Gebiet flüchtete, aus Angst davor, dass ihre Bewohner wieder auf die Galeeren getrieben würden.‹«
Pamuk vervollständigte nur meine Zitate.
»Da gab es noch mehr.