Название | Hamam Balkania |
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Автор произведения | Vladislav Bajac |
Жанр | Языкознание |
Серия | editionBalkan |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941388 |
Über all das dachte er tagelang nach, nachdem alles schon vorbei war. Aber, über all den wichtigen Schlüssen schwebte ein weitaus einfacherer, ihm aber weitaus wichtigerer: Ihn, Bajica, verbargen sie nicht mehr vor dem Sultan! So begriff er, dass er ihnen etwas wert war. Das war wahrscheinlich eine Anerkennung für das Akzeptieren des Fremden. Als Ersatz für diese Akzeptanz wurde ihm zu verstehen gegeben, dass ihn künftig Privilegien und kein Sklavenschicksal erwarteten, obwohl ihn niemand und niemals von diesem Status würde erlösen können, nicht einmal der Sultan.
Nun war ihm eigentlich angeboten worden, ein vollendeter Sklave zu sein.
KAPITEL IV
Die auf Literatur und Bücher angewandten Zahlen erlangen manchmal geistreiche Charakteristiken und zeitigen absurde Folgen. Auf einer unlängst veranstalteten lokalen Buchmesse hat der Organisator in allen Medien eine Rangliste der teilnehmenden Aussteller publik gemacht. In dieser Veröffentlichung stand alles Mögliche, nur nicht wonach die Verlage bewertet wurden und was sie besser als andere macht. Sie waren die Besten, aber man wusste nicht worin. Aber dann, nach seriöser Analyse und Ursachenforschung über die Nichtnennung des wesentlichen Kriteriums, was aber den Ausschluss der Vergesslichkeit des Organisators einschloss, wurde klar, dass dieses Detail gar keine Rolle spielte, solange sie die Besten waren.
Es ist die Zeit gekommen oder die Stelle erreicht, an der ich mich selbst vom Anfang dieses Buches (das Kapitel mit dem Titel »Nach Beginn«) aus dem Passus zitiere, in dem ich die Epitheta erwähne, die für Großartigkeit und Kraft stehen und Teile von Personennamen wurden: der Starke, der Prächtige oder ich bediene mich der gewöhnlichen Qualifikationen – der Größte, der Wichtigste, der Bekannteste. Aber warum? Na, um zu beweisen, dass die Geschichte oft genug eine Estrade2 war, weil, hier das Zitat: »Die Geschichte mag besonders das Größte, Stärkste, Mächtigste, alle Superlative. Ein Buch hat allerdings andere Aufgaben.«
Deshalb bleibt das Buch im Bereich des Marginalen, auf einem Nebengleis, während die Geschichte sich bemüht, zwischen ihre erhabenen und dauerhaften Denkmäler auch die ewigen Werte der Hierarchie der Estrade einzureihen. Die Estrade ist schlau, sie nutzt die Schwäche der Geschichte gegenüber allen Siegern aus (sogar in Bezug auf die falschen, unwichtigen, grotesken …), so dass sie leicht auf Schmusekurs zu ihr geht. Sie macht ihr Komplimente, mit denen sie sie sehr geschickt einkassiert. Und Charme ist auch ein Ort, von dem aus gesprochen wird: in den so genannten Unterhaltungskünsten (öfter als »Künste« bezeichnet) heißen diese Orte Podien, und in den politischen Tätigkeiten – Bühne.
Erst der Prozess der gesellschaftlichen und ökonomischen Transition einzelner europäischer Staaten hat die gefährliche Ähnlichkeit zwischen Politik (als zukünftiger Geschichte) und den populären Unterhaltungsfertigkeiten (als ewiger Gegenwart) gezeigt. Diese Ähnlichkeit, erprobt, vorgeführt und zu vollkommener Unverschämtheit oder zu unverschämter Vollkommenheit entwickelt – erwies sich als ideale, sich gegen das Buch verbündende Gemeinschaft. Die Angst vor der Beweisbarkeit der Vorstellung vom ewigen Bestand des Buches oder wenigstens seines natürlichen Bestrebens, aber auch häufigen Erfolgs, im Hinblick auf eine lange Existenz ließ diese primitive, einer Karikatur ähnliche, absurde, aber gefährliche Symbiose zu einer unauflösbaren Ehe aus Berechnung erstarren. Bald wurden Floskeln erdacht als Kräfte für eine schnelle Intervention vom Typ Populismus gegen Elitismus. Aber da das Elitäre nur einer geringen Anzahl von Menschen Vorbehalten ist, geht das gegen die Demokratie, die sich in Gottes Namen wenn nicht an alle, so doch wenigstens an eine große Zahl von Menschen richtet.
Hier ist sie – die transitionale Dialektik!
Der Fakt, dass zum Welterbe Bücher gehören, die aus der ferneren oder näheren Vergangenheit zu uns in die Gegenwart gelangen und ganz gewiss sowohl in naher als auch fernerer Zukunft eine gewisse Zeit fortleben werden, hat nur die Position der Angreifer und des (Fort–)Dauerns verschärft.
Der Kampf zwischen der täglichen Dauer und irgendetwas Dauerhafterem hat sich in einen Kampf des Lauten gegen das Stille verwandelt (Letzteres entstand aus der häuslichen Erziehung heraus und nicht aus Angst), der Stimme der Heimlichkeit gegen die Stimme der Öffentlichkeit, der Beleidigung gegen die Toleranz, des Aggressiven gegen das Sanftmütige, des Krieges gegen den Frieden.
Wer wird den Sieg davontragen? Na, die Sieger.
So viel haben wir wenigstens gelernt.
4. KAPITEL
Nachdem der Sultan Edirne verlassen hatte, dachte Bajica nochmals über den vorausgegangenen Besuch von Husrev Pascha nach. Die zwar erst im Nachhinein verstandene Idee des Paschas einer Vorkontrolle von allem, was für einen erfolgreichen Empfang des Sultans wichtig war, um für seine Ankunft den Boden zu bereiten, reizte ihn. Also, alles zu tun, damit den Herrscher nichts überrraschte, überrumpelte, zu sehr enttäuschte …, sondern damit ihn jede Kleinigkeit wie vorgesehen vertraut und sicher erwartete …, was ihn glauben lassen würde, alles sei unter Kontrolle. Bajica verstand, dass das mit Hilfe einer Art Plan des Paschas geschah. Daraus wiederum zog er den Schluss, dass Weitsicht von Ereignissen von außerordentlicher Relevanz für das Herrschen ist: Falls es gelänge, zu sehen oder vorauszusehen, welche, welcherart und wieviele Möglichkeiten ein Mensch (oder Staat, das ist egal) hat, um dann zu entscheiden, welche der Optionen und Ziele den Bedürfnissen entsprechen, könnte man auch die Pfade festlegen, die zu diesen Zielen führen. Das also konnte Planung genannt werden. Oder Politik.
Ganz und gar genauso ließen sich unerwünschte Folgen künftiger Verfahrensweisen vermeiden. Der Mensch konnte durch vorausschauende Wahl Fehler und unnötigen Zeitverlust vermeiden und damit wahrscheinlich – im Falle einer staatlichen Entscheidung – auch den Staat vor überflüssigem Aufwand an finanziellen Mitteln, Menschenleben und Territorien bewahren. Aber genau dieses Verfahren könnte wie eine Prophezeiung aussehen, wenn man es umsetzte ohne es den Leuten, denen der Hintergrund des Ganzen nicht bekannt war, erklärt zu haben.
Derjenige, der weiß, was passieren wird, weiß auch, wie er sich gegenüber dem Geschehen positioniert. Das, was Deli Husrev Pascha »Auskundschaften« genannt hatte, vermochte er nun in zwei Unterkategorien zu teilen.
Die eine war diese unverkennbare, die öffentlich die Macht des Herrschers über die Ereignisse zeigt. Sie illustrierte vermutlich die Weisheit, mit der alle menschlichen Beziehungen geregelt werden können, von den einfachen Beziehungen bis zu denen zwischen Herrschern und ganzen Staaten.
Die andere war vielleicht weniger klar und gewiss nicht für die Öffentlichkeit. Sie offenbarte eher Unzulänglichkeiten als Qualitäten, eher Unterlassungen als Erfolge des Besuchs. Sie suchte nach wunden Punkten, die man, falls es irgend nötig wäre, ins Spiel bringen könnte. Wie ein Säbel über dem Kopf eines Opfers, mit dem man in einem beliebigen Moment flink ausholen kann. Sie war ewig wie ein mit unauslöschbarer Tinte fixiertes Dokument, das, aufbewahrt an einem unsichtbaren Ort, leicht, schnell und jederzeit publik gemacht werden konnte.
Vielleicht war das der Weg zur Schaffung einer übermächtigen Einzelperson und eines bombastischen Imperiums.
Er beschloss, wann immer es möglich war, sich selbst »auszukundschaften«, öffentlich wie heimlich.
Erst viel später, als ihm weitaus subtilere Kenntnisse über das Regieren eines Staates zugänglich wurden, sollte er erkennen, wie präzise seine Ahnungen von der Bedeutung auch der Verbindung dieser für ihn erstmals erkennbaren Form von Bespitzelung mit der scheinbar zufälligen Verschränkung von Ereignissen und Schicksalen Einzelner und ganzer Völker gewesen waren.
KAPITEL V
Wie sähe es aus, wenn einzelne