Название | Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen |
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Автор произведения | Christoph Regulski |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843804769 |
14. DIE REICHSTAGSSITZUNG VOM 9. OKTOBER 1917
VORWORT
Bei der Archivrecherche zu diesem Buch wurde mir schnell klar, dass es nicht einfach sein würde, die verstreuten Dokumente ausfindig zu machen. Doch durch die kompetente und engagierte Unterstützung der Mitarbeiterinnen der Bundesarchive in Berlin und Freiburg im Breisgau war es möglich, auf aussagekräftiges und in weiten Teilen unerschlossenes Quellenmaterial zuzugreifen. Dafür danke ich ganz besonders Frau Christiane Botzet in Freiburg, die mich auf wichtige Bestände zu den Ereignissen in der Flotte und zu Albin Köbis und Max Reichpietsch hinwies. In Berlin unterstützte mich Frau Grit Ulrich maßgeblich bei der Vorbereitung meines Archivbesuchs. Einen großen Dank auch an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Lesesäle, die alle Anfragen und Wünsche umgehend bearbeiteten.
Für die zahlreichen Verbesserungen im Text danke ich meiner Frau Martina Lange. Sie hat immer wieder auf eine verbesserte sprachliche Gestaltung hingewiesen sowie durch zahlreiche Kommentare zu einer genaueren Textfassung beigetragen und war gerne bereit, die gemeinsamen Urlaube in den Städten Freiburg und Berlin zu verbringen.
Vielen Dank an Frau Doreen Stelter, dass sie die zweite Druckfahne eingehend las und mit hilfreichen Anmerkungen versah.
Herrn Lothar Wekel, Geschäftsführer des marixverlages, danke ich für die Veröffentlichung in einem renommierten Verlag. Innerhalb des Hauses gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Herrn David Zettler sehr erfreulich. Herr Zettler begutachtete das Manuskript sehr gründlich und gab wichtige Anregungen zur Gestaltung des Buches.
1. EINLEITUNG
In den frühen Morgenstunden des 5. Septembers 1917 starben die Matrosen Albin Köbis und Max Reichpietsch durch die Kugeln eines Erschießungskommandos auf dem militärischen Übungsplatz in Köln-Wahn1. Mit der Hinrichtung wurde das am 26. August 1917 verhängte Todesurteil gegen die beiden führenden Köpfe der Flottenbewegung vom Juli und August 1917 vollstreckt2. Albin Köbis und Max Reichpietsch führten den Protest der Matrosen der Hochseeflotte3 neben ihren ebenfalls zum Tode verurteilten, aber begnadigten Kameraden Willi Richard Sachse, Hans Beckers und Willi Weber an. Über Bernhard Spanderen4 und vier Heizer des Schiffes Westfalen verhängte das Kriegsgericht weitere Todesurteile, die aber allesamt nicht vollstreckt wurden5.
In den sich seit Kriegsbeginn ständig verschlimmernden und schließlich unhaltbaren Zuständen auf den Schiffen der Kaiserlichen Marine wagten sie es, ihre Stimme zu erheben, um gegen eine menschenverachtende Behandlung der Matrosen durch die Offiziere und die katastrophale Versorgung mit oftmals verdorbenem Essen zu protestieren. Längst des sinnlosen Krieges überdrüssig, setzten sie sich für den sofortigen Frieden ein, um noch mehr Blutvergießen zu verhindern6.
Wie konnte es in der als besonders »kaisertreu« geltenden Marine zu einem offenen Aufstand gegen die Schiffsführung und gegen den Krieg kommen? Um diese Frage zu beantworten, ist es erforderlich, in die Gründungsphase der Hochseeflotte und auf ihre besonderen Bedingungen zurückzublicken. In einer von Beginn des Krieges an zur Untätigkeit verurteilten deutschen Flotte7 brachte lediglich die bedeutende Skagerrak-Schlacht Ende Mai 1916 eine militärische Konfrontation zwischen England und Deutschland8, in der sich die deutschen Schiffe dank der Leistung der gesamten Mannschaft hervorragend schlugen9.
In der folgenden Ruhezeit10 wuchsen die bereits bestehenden Spannungen zwischen Offizieren und Mannschaften in einem Maße, dass von Feindschaft gesprochen werden kann11. Wo lagen die Gründe für diese Fehlentwicklung und Dissonanzen auf den Schiffen? Ein Blick in die Aufbauphase und die sozialen Komponenten des Schlachtflottenbaues12 gibt entscheidende Hinweise. Inwieweit verhinderte der sich unter den Offizieren ausbildende Korpsgeist eines wirtschaftlich starken, politisch weitgehend ohnmächtigen Bürgertums ein erträgliches Auskommen mit den unteren Dienstgraden in den beengten Räumlichkeiten eines Kriegsschiffes13? Neben den ständigen Spannungen war es auch die ungleiche Verpflegung von Offizier und Matrose, die einer sich stetig zuspitzenden Stimmung Vorschub leistete. Gerade im Jahr 1917 nach dem katastrophalen Steckrübenwinter kam der Ernährungsfrage eine hohe Bedeutung zu14. Wie sehr verschlechterte sich die Lage der Bevölkerung, um den Ruf nach Frieden zum vorrangigen Anliegen zu machen?
Die revolutionären Ereignisse in Russland, die zum Sturz des Zaren führten, beflügelten die Matrosen, sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen15. Freilich war es in der deutschen Hochseeflotte ein gefährlicher Weg, die Grenzen eines zulässigen oder gerade geduldeten Protestes zu überschreiten. Der Ausmarsch der Matrosen am 2. August 1917 zu einer Versammlung in Rüstersiel bei Wilhelmshaven16 war für die Offiziere und Admirale ein klares Zeichen, dass sich die Soldaten offen auflehnten17. Handelte es sich bei dieser Form des Protestes aber tatsächlich um »vollendete kriegsverräterische Aufstandserregung«18, die die Todesurteile gegen fünf Matrosen rechtfertigte?
Für die Beantwortung dieser Frage steht der Prozess gegen die Matrosen an zentraler Stelle. Kann der Verlauf als gerecht bezeichnet werden? Standen den Angeklagten genügend Möglichkeiten zu einer angemessenen Verteidigung zur Verfügung? Wie erlebten die Angeklagten das Verfahren19? Bei einer Wertung der deutschen Hochseeflottenbewegung wird auch auf die Ereignisse der offenen Rebellion der österreichisch-ungarischen Marine in Cattaro vom Januar 191820 einzugehen sein. Bei diesem Vergleich kann die Frage nach einem »vollendeten Aufstand« schärfer abgegrenzt werden21.
Um die Matrosenbewegung des Jahres 1917 in ihrer Gesamtheit würdigen zu können, ist es erforderlich, die Entstehung und den Verlauf möglichst genau nachzuzeichnen. Damit ist sehr eng die Frage verbunden, inwieweit sich die Matrosen organisiert hatten und welcher Führung sie sich anvertrauten. Gab es eine zwingende, kontinuierliche Entwicklung von den ersten Essensverweigerungen22 über die vom Marinestaatssekretariat gebilligten Menagekommissionen zu einer Auflehnung gegen die Autoritäten der Marine? Was genau forderten die Matrosen im Juli 1917? Wie weit waren sie bereit zu gehen? Wollten sie die monarchische Staatsform beseitigen? Lag ein lokaler bewaffneter Aufstand im Bereich des Denkbaren? In diesem Zusammenhang ist zu fragen, wie sich die Marineführung gegen die ihr höchst unwillkommenen Entwicklungen zu wehren versuchte und welcher Mittel sie sich dazu bediente.
Von besonderer Bedeutung wird das Verhältnis der Flottenbewegung zur Politik, und hier ganz besonders zu der erst im Frühjahr 1917 gegründeten