Kunst und Handwerk des Schauspielers. William Esper

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Название Kunst und Handwerk des Schauspielers
Автор произведения William Esper
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783895815546



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einen guten Eindruck zu hinterlassen, denn ehrlicherweise kann ich mich an kein einziges Wort von Bill Esper erinnern. Außer an eine Sache: Gegen Ende unseres Gesprächs fragte mich Bill: »Warum willst du gerade hierher kommen? Warum willst du bei mir studieren?«

      Ich sagte: »Ich habe die Meisner-Technik ein wenig am College studiert und sie hat mir sehr geholfen. Jetzt will ich sie von Grund auf lernen.«

      Bill antwortete nicht. Er saß einfach nur da und sah mich an. Schließlich sagte er sehr leise: »Wenn du hierherkommst, wirst du nicht die Meisner-Technik lernen. Du wirst meine Technik lernen. Die William-Esper-Technik. Und, so Gott will, verlässt du den Unterricht, wenn du hier fertig bist, mit deiner eigenen Technik. Verstehst du das?«

      Das habe ich nicht. Nicht wirklich. Aber ich war jung. Ich log. Ich nickte und sagte: »Ja.«

      ***

      Jetzt, mehr als zehn Jahre später, bat mich Bill, ihn zu besuchen. Die Tür zu seinem Studio öffnet sich und ich durchschreite einen kleinen Vorraum mit rot gestrichenen Wänden, der direkt in sein Büro übergeht. Es ist ein enges, vollgestopftes, kleines Zimmer, und das Erste, was mir auffällt, ist der Metallschirmständer hinter der Tür. Mit drei Regenschirmen, einem lädierten Varieté-Spazierstock, einem Louisville-Baseballhandschuh und einem Florett. Das ist sicherlich das Zimmer eines Schauspielers.

      Ich blicke auf. Bücherregale bedecken die Wand hinter Bills Schreibtisch vom Boden bis zur Decke. Die Holzbretter biegen sich unter dem Gewicht seiner Bibliothek. Die Regale sind an unmöglichen Stellen mit Spiralheften vollgestopft. Aktenordner ragen hervor wie ausgestreckte Zungen, jeder zum Platzen voll mit scheinbar lebenslang hingekritzelten Überlegungen. Krimskrams aus aller Welt findet sich ebenfalls in den Regalen. Manches davon hat früher wohl als Requisite in einem Stück gedient: ein mit Glassteinen besetztes Lederarmband, ein Haarschmuck aus Federn, eine weiße Flötenvase mit einer einzigen Seidenrose, die wie ein leuchtend roter Komet daraus hervorbricht. Ein winziger Blechkasten steht neben einer abgegriffenen, blau gebundenen Ausgabe von Webster’s Unabridged English Dictionary. Hier und da stehen geschnitzte Holzpferde – sie scheinen als kleine Wächter dieser vielseitigen Bibliothek zu dienen.

      Mein Lehrer sitzt hinter seinem überfüllten Schreibtisch und liest die Tageszeitung. Er schaut auf. »Ich hoffe, das ist ein guter Ort für uns, um zu arbeiten«, sagt er. Keine weiteren einleitenden Worte, obwohl wir uns seit Jahren nicht gesehen haben.

      »Es ist in Ordnung für mich«, sage ich. Dieses Büro ist offensichtlich eine Zufluchtsstätte für die Fantasie und damit ein geeigneter Ort, um mit der anstehenden Aufgabe zu beginnen. »Ist das für dich in Ordnung?«

      Bill grinst. »Ich bin mir nicht sicher. Ich habe noch nie ein Buch geschrieben.«

      »Es ist einfach«, sage ich, »wenn man weiß, wo man anfangen will. Erst einmal sollten wir dich vorstellen.« Ich nehme ein Aufnahmegerät aus meiner Tasche, schalte es ein und stelle es auf Espers Schreibtisch. »Doch zunächst, warum willst du dieses Buch schreiben? Was möchtest du sagen?«

      Bill denkt lange nach. Dann sagt er: »Ich habe das Glück gehabt, die letzten vierzig Jahre meines Lebens der Fortsetzung von Sanford Meisners Vermächtnis zu widmen. In dieser Zeit war es ein großes Vergnügen – und faszinierend – für mich, seine Technik zu verfeinern und in einigen Fällen zu erweitern. Ich wurde bei Sandy siebzehn Jahre lang ausgebildet, als er auf der Höhe seiner Karriere war. Dann habe ich fast dreißig weitere Jahre daran gearbeitet, mit seiner Technik zu experimentieren, mehr aus ihr herauszuholen und sie in Bereichen anzuwenden, in denen es Sandy nicht möglich war, zum Beispiel bei den klassischen Werken, Stücken mit gehobener Sprache. Sandy hat Stil und Theatralik geliebt, aber er hatte nie die Zeit, sich diesem Gebiet als Lehrer intensiver zu widmen.«

      »Lass mich für einen Moment den Advocatus Diaboli spielen«, sage ich. »Es gibt da draußen jede Menge Schauspiellehrer1. Was ist so besonders an dem, was du zu sagen hast?«

      Bill nickt. »Die meisten Leute, die heutzutage von sich behaupten, Schauspiellehrer zu sein, nennen sich so, weil sie Schauspielern, die dringend echte Anleitung brauchen, ein paar Hinweise und Anekdoten anbieten. Das betrachte ich nicht als Unterricht. So wie ich es sehe, haben nur sehr wenige das getan, was Lee Strasberg und Meisner getan haben; sehr wenige Lehrer haben einen konkreten, schrittweisen Ansatz entwickelt, um einen wirklich kreativen Schauspieler auszubilden – ein System, das den Künstler als Rohstoff verwendet und die Fähigkeiten aufbaut, die er braucht, um sich in seiner Kunst hervorzutun.

      Handwerk – Technik, wenn man so will – ist von entscheidender Bedeutung für die Kunst, aber so viele Leute verstehen das nicht. Das größte Missverständnis, das ich über Schauspieltechnik höre, ist, dass sie das Talent des Künstlers blockiert. Lächerlich! Letztlich schränkt Technik die Instinkte des Künstlers nicht ein, sondern befreit sie.«

      »Was hat das mit der Meisner-Technik zu tun?«

      »Schauspielen zu lernen ist wie ein Haus zu bauen. Zuerst muss man ein Grundstück suchen, auf dem man bauen will, und auf dem Gelände Unebenheiten einebnen. Dann muss man ein gutes Fundament bauen und es wind- und wetterfest machen. Das sind die allerersten Schritte; vielleicht sind es auch die wichtigsten. Wird das Fundament des Hauses nicht richtig gelegt, bricht das ganze Gebäude beim ersten kräftigen Wind unter dem eigenen Gewicht zusammen. Bei der Meisner-Technik halten wir an dieser Analogie fest, indem wir eine Reihe von Übungen durchführen, die das Fundament schaffen, einen stabilen Boden, auf dem wir unser Handwerk aufbauen.«

      »In der Regel arbeitest du mit Schauspielern über einen Zeitraum von zwei Jahren. Wie legst du das Fundament für dieses Training?«, frage ich.

      »Mit Hilfe der Meisner-Technik«, sagt Bill, »verbringen meine Schüler das ganze erste Jahr ihrer Ausbildung damit, sich zu wahrheitsgetreuen ›Schauspielinstrumenten‹ zu entwickeln. Wenn man will, könnte man sagen, dass das erste Jahr dazu dient, den Schauspieler in den Grundfertigkeiten zu schulen, die für professionelles Schauspielen notwendig sind.«

      »Lass mich noch einmal Advocatus Diaboli spielen. Viele Schulen betrachten Stimme, Sprechen und Bewegung als die Grundfertigkeiten zum Schauspielen. Was glaubst du?«

      Bill winkt ab. »Stimme, Sprechen und Bewegung sind äußere Fähigkeiten. Sehr wichtig zum Schauspielen, ja. Aber nicht so wichtig, dass man dafür das Innenleben des Schauspielers vernachlässigt – seinen emotionalen Kern. Ein Schauspieler ohne emotionalen Kern ist eine Pappfigur und kein menschliches Wesen.

      Heutzutage lautet der häufigste Ratschlag für einen jungen Schauspieler: ›Sei du selbst.‹ Natürlich muss der Schauspieler die nächste unvermeidliche Frage stellen: ›Wer bin ich?‹ Solange ein Schauspieler nicht von seinem eigenen inneren, wahren Kern aus arbeitet, wird meiner Ansicht nach alles Stimm-, Sprech- und Bewegungstraining auf der Welt nur eine hochqualifizierte Marionette hervorbringen. Ich will aber keinen Automaten schulen. Ich will Schauspieler ausbilden, die einzigartig sind! Die lebendig sind!

      Maler schaffen ihre Kunst mit Pinsel, Leinwand und Farbtönen. Bildhauer arbeiten mit Ton und Bronze, Stein und Gips. Schriftsteller verwenden Stift und Papier – neuerdings benutzen sie Computer. Musiker haben ihre Instrumente. Aber was verwendet ein Schauspieler, um seine Kunst zu schaffen? Einige würden sagen: ›Nichts‹, aber das stimmt nicht. Genau genommen hat der Schauspieler das komplizierteste Werkzeug von allen – sich selbst! Seine Erfahrungen, seine Vorstellungskraft, seine Sensibilität. Seinen physischen Körper und seine Beobachtungen. Alles, was die Summe des Menschseins einer Person ausmacht, ist Teil des Instruments eines Schauspielers. Wie Eleonora Duse sagte: ›Alles, was ich als Künstlerin zu bieten habe, ist die Offenbarung meiner Seele.‹«

      »Das hört sich sehr nach Stanislawski an«, sage ich. »Warum nicht einfach seine Lehre anwenden?«

      »Aus verschiedenen Gründen«, sagt Bill. »Stanislawskis Methode zu unterrichten funktioniert nicht bei zeitgenössischen Schauspielern. Die Realitäten, mit denen Schauspieler des 21. Jahrhunderts konfrontiert sind, unterscheiden sich völlig von denen der russischen Schauspieler des 19. Jahrhunderts. In Stanislawskis Welt konnten Schauspieler ein Stück drei Jahre lang proben, wenn sie es wollten. Moderne Schauspieler