Kunst und Handwerk des Schauspielers. William Esper

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Название Kunst und Handwerk des Schauspielers
Автор произведения William Esper
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783895815546



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sagt Jon. »Deine Bluse ist sehr sexy.«

      »Ja, ist meine Bluse sehr sexy?«

      »Ja«, sagt Jon. »Deine Bluse ist sehr sexy.«

      Cheryl seufzt. »Okay«, sagt sie. »Die Bluse ist sehr sexy.«

      »Okay«, sagt Jon. »Die Bluse ist sehr sexy.«

      »Okay«, sagt Cheryl. Offensichtlich ist sie allmählich ein wenig verärgert. »Die Bluse ist sehr sexy.«

      Jon zwinkert Cheryl zu. »Was ist los mit dir?«, fragt er.

      »Was ist los mit mir?«, will Cheryl wissen.

      »Ja, was ist los mit dir?«

      Das scheint Cheryl noch mehr zu verärgern. »Ja. Was ist los mit mir?«

      »Ja«, erwidert Jon. »Du scheinst ein wenig beleidigt zu sein.«

      Aus Cheryl platzt es förmlich heraus: »Ja«, sagt sie. »Ich scheine ein wenig beleidigt zu sein?«

      »Okay. Lasst uns einen Moment anhalten«, wirft Bill ein. Er wendet sich an die Klasse. »Hat jeder gesehen, was Jon zu seiner Behauptung brachte ›Du scheinst ein wenig beleidigt zu sein‹? Was brachte ihn dazu, das zu sagen? Was war der Grund für die Wendung in der Wiederholung?«

      Amber: »Cheryl. Sie war eindeutig beleidigt.«

      »Das ist richtig. Aber Jon leitete das nicht ab aus dem, was Cheryl sagte, sondern aus ihrem Verhalten. Gut, dass wir das jetzt ansprechen. Wir sind zufällig darauf gestoßen, aber es hätte keinen besseren Zeitpunkt geben können. Die vierte Möglichkeit, die Wiederholung zu ändern, ist die Reaktion auf das Verhalten eures Partners.

      Bis jetzt habe ich euch gesagt, dass ihr euch ausschließlich auf die Wiederholung konzentrieren sollt. Aufmerksam zuzuhören und nichts von dem zu verpassen, was der andere sagt. Jetzt bitte ich euch, eure Aufmerksamkeit auf das Verhalten eures Partners auszuweiten. Denn das Verhalten einer Person teilt wahrheitsgemäßer mit, was sie wirklich meint, als die Worte, die sie sagt. Ich zeige es euch. Cheryl, lass uns zusammen das Wiederholungsspiel machen!«

      Bill richtet sich an die Klasse, zeigt aber auf Cheryl. »Seht sie an, aber hört mir zu. »Du siehst wirklich aus wie eine vom Land«, sagt Bill.

      »Ich sehe wirklich aus wie eine vom Land?«, wiederholt Cheryl. Offensichtlich weiß sie nicht, was sie damit anfangen soll.

      »Ja«, sagt Bill. »Du siehst wirklich aus wie eine vom Land.«

      »Ja, ich sehe wirklich aus wie eine vom Land?«

      »Ja«, sagt Bill. »Was ist daran so lustig?«

      »Ja, was ist daran so lustig?«

      »Ja, weißt du das nicht?«

      »Ja, weiß ich das nicht?«

      »Ja, weißt du das nicht?«

      »Ja, weiß ich das nicht?«

      »Ja, was ist los? Verstehst du das nicht?«

      »Versteh ich das nicht?«

      »Ja«, sagt Bill. »Was ist denn so verwirrend?«

      »Ja, was ist denn so verwirrend?«

      »Ja«, betont Bill. »Das habe ich gesagt. Was ist so verwirrend?« Bills Reaktion ist so feurig, dass sie komisch ist.

      Cheryl jammert: »Ich weiß es nicht!«

      Die Klasse lacht, und Bill wendet sich wieder an die Klasse. »Habt ihr mitbekommen, dass alles, was ich gesagt habe, durch ihr Verhalten provoziert wurde?« Alle nicken. »So, damit habt ihr es. Das ist die vierte Möglichkeit, die Wiederholung zu ändern. Und jetzt kennt ihr alle Wege, wie sich die Wiederholung verändern lässt. Gehen wir sie schnell noch einmal durch.«

      Jon: »Nun, einer davon ist die ehrliche Antwort.«

      »Richtig. Ihr ändert die Wiederholung immer, um ehrlich antworten zu können.«

      Uma: »Dann gibt’s die Stauung.«

      »Richtig. Die schiere Wiederholung der Wiederholung kann sich innerlich auf euch auswirken und einen Impuls auslösen, der eine Änderung bewirkt. Die dritte Möglichkeit?«

      »Der Standpunkt«, sagt Adam.

      »Das ist richtig«, sagt Bill. »Wenn ihr in der Wiederholung irgendwann zu irgendetwas eine Meinung habt, könnt ihr diese äußern und das wird die Wiederholung verändern. Und jetzt – endlich – könnt ihr auf das Verhalten der anderen Person reagieren. Wenn sich ihr Verhalten ändert, müssen sich die Worte der Wiederholung ändern, um dies zum Ausdruck zu bringen.

      Habt ihr bemerkt, wie mit jeder Änderung, die wir eingeführt haben, die Wiederholung immer lebendiger wurde?« Die Klasse stimmt zu. »Das ist so, weil euch die Wiederholung zu einem wirklichen Kontakt mit eurem Partner zwingt. Kein intellektueller Kontakt – das ist für einen Schauspieler nutzlos. Ich meine wahren Kontakt – emotionalen Kontakt.

      Ich will es so formulieren: Wie viele von euch waren bei den Pfadfindern?« Kenny, Trevor, Adam und Dom melden sich. Bill zeigt auf Trevor: »Wie haben die Pfadfinder euch beigebracht, Feuer zu machen, wenn ihr keine Streichhölzer dabei habt?«

      Trevor grinst. »Wir haben zwei Holzstöcke so lange aneinandergerieben, bis die Reibungshitze einen Funken und damit ein Feuer entfachte.«

      »Gut«, sagt Bill. »So solltet ihr die Wiederholungsübung betrachten. Die Wiederholung nimmt zwei Schauspieler und reibt sie aneinander, so dass Leben entsteht. Nun, nachdem ihr euch die vier Änderungen notiert habt, wollen wir etwas Neues einführen. Als Nächstes sollt ihr eine Tätigkeit (activity) finden, die konkrete Objekte – das heißt tatsächliche physikalische Gegenstände – einbezieht. Ich will, dass ihr eine Tätigkeit wählt, die eure volle Konzentration erfordert. Ausschlaggebend dabei ist, dass – wofür auch immer ihr euch entscheidet – diese Aufgabe etwas sein muss, das ihr nicht durchführen könnt, ohne ihr hundert Prozent eurer Aufmerksamkeit zu widmen. Betrachtet diese Aufgabe als Übung für eure Konzentration.«

      Kenny hebt die Hand. »Bill, kannst du uns ein Beispiel geben?«

      Bill steht von seinem Stuhl auf und geht zu den Regalen an der gegenüberliegenden Wand. Er kramt in ihnen herum und holt ein Buch heraus. »Seht ihr das? Der Titel ist Taste of Honey (Bittersüßer Honig), von Eileen Goudge. Es ist auf Englisch. Ich frage euch: Wie viel Konzentration würde es kosten, um das erste Kapitel dieses Buches in eine andere Sprache zu übersetzen?«

      Wieder hebt Kenny die Hand. »Eine Menge. Aber ich könnte es ins Italienische übersetzen.«

      »Kannst du genug Italienisch?« Kenny nickt. »Gut. Was brauchst du, um den Job richtig zu machen?«

      »Ich brauche das Buch, einen Stift, viel Papier und ein englischitalienisches Wörterbuch.«

      »Okay. Dann solltest du das zum nächsten Unterricht mitbringen. Das wäre gut.«

      Bill geht wieder zum Regal und greift nach einem Strauß künstlicher Blumen. Er hält sie hoch. »Was könnte man damit anfangen?«, fragt er.

      Melissa hebt die Hand: »Ich könnte versuchen, sie zu zeichnen.«

      »Das ist gut. Diese Blumen zu zeichnen, erfordert jede Menge Konzentration von dir, oder?«

      »Von mir schon. Ich bin keine Künstlerin.«

      »Ausgezeichnet. Ich glaube, ihr habt die Idee dahinter verstanden. Kommt mit diesen Aufgaben zum nächsten Unterricht und ich zeige euch, wie ihr sie mit der Wiederholung verbinden könnt. Aber bis dahin trefft euch mit eurem Partner, um zu wiederholen! Üben, üben, üben!«

      ***

      Ich weiche den Schülern aus, die sich um Bills Schreibtisch versammeln, sobald der Unterricht vorbei ist. Ich hänge mir meine Tasche um und gehe direkt zu seinem Büro. Die Tür ist offen und ich trete ein.

      Laith, Bills Assistent, steht neben dem