Meine Stadt auf Яussisch. Valeria Fedchenko

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Название Meine Stadt auf Яussisch
Автор произведения Valeria Fedchenko
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9785005358189



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am Eingang häuslich niederlassen.»

      An den Wochenenden fahren wir heim in die Stadt.

      Kapitel 7

      Winter 2005—2006

      Deutschland, ein altes kleines Haus nahe Ludwigsburg

      Zurückgekehrt in das alte Häuschen in der Nähe von Ludwigsburg, in dem wir ein Jahr vor der Geburt unserer Tochter eine Wohnung gemietet haben, schalten wir als Allererstes mal sofort überall die Heizung an.

      Dies alte Haus – wie im Bilderbuch sieht’s aus, pastellfarben angestrichen, mit Blumen auf dem Fenstersims und einem Vorgärtlein – ist schön bloß im Bilderbuch. In Wirklichkeit ist das eine Behausung, die man nie richtig durchgeheizt bekommt.

      Das Badezimmer ist riesig, mit Heizkörper. Es hat Duschkabine und Badewanne. Doch selbst bei eingeschalteter Heizung ist es dort kalt, als ob die Wärme sofort nach draußen entwiche. Ich muss all meinen Mut zusammennehmen, um mich ganz rasch auszuziehen, worauf ich dann in die Duschkabine hüpfe und eilends das warme Wasser aufdrehe. Etwa drei Minuten lang strömt eiskaltes Wasser auf meine Füße, dann wird’s ganz allmählich warm.

      In der Küche gibt es überhaupt keinen eingebauten Heizkörper. Deshalb schalte ich einen Ölradiator ein. Wenn wir Pech haben und im selben Augenblick der Kühlschrank anspringt, fliegen in der ganzen Wohnung die Sicherungen raus.

      Dann müssen wir über die knarrende Holztreppe, bei der jeder Schritt das ganze Haus laut erkrachen lässt, hochstapfen zu unserem Vermieter. Er wohnt zwei Stockwerke höher, unterm Dach, und ist sozusagen der Herr über sämtliche Sicherungen im Haus.

      Dieser arbeitslose Deutsche ist sehr sparsam und lebt von dem Geld, das er von uns und von den Leuten in der Nachbarwohnung als Miete bekommt.

      Dass er am warmen Wasser spart, lässt sich aus der Geruchswolke vermuten, die er im Vorbeigehen auf der Treppe und im Hausflur um sich verbreitet.

      Wenn ich die Wohnung misslicherweise gerade dann verlasse, nachdem Jörg soeben durchs Treppenhaus gegangen ist, halte ich so lange den Atem an, bis ich draußen auf der Straße die rettende frische Luft erreicht habe.

      Das Übrige weiß ich von seiner Frau (sie kommt aus Bosnien), die sich oft beklagt, dass ihr Mann ihr als Haushaltsgeld nur einen Euro pro Tag gibt. Wie so viele Ausländerinnen verdient sie sich dazu, indem sie als Putzfrau schwarzarbeitet.

      Unwillkürlich frage ich mich, wie viele solcher Ehefrauen, die putzen gehen müssen – unglückliche, abhängige, gedemütigte Ausländerinnen —, in diesem Land leben mögen?

      Oftmals dringt durch zwei Stockwerke hindurch hysterisches Geschrei durchs Haus, Aufstampfen, Weinen; es hört sich an, als ginge Mobiliar zu Bruch: Unsere Nachbarn beschimpfen und prügeln sich.

      Wir aber, nachdem wir für unsere praktisch nur an den Wochenenden benutzte Wohnung eine Heizkostenrechnung erhalten haben, die fast die Höhe unserer monatlichen Miete übersteigt, machen uns auf die Suche nach einer anderen Wohnung.

      Schließlich übersiedeln wir nach Marbach, weltbekannt als der Geburtsort Friedrich Schillers.

      Kapitel 8

      Herbst 2006

      Deutschland, Marbach

      Freundschaft mit Anita aus Bosnien

      An einem warmen Herbsttag lernen wir bei einem Spaziergang durch die alte Ortsmitte des Städtchens Marbach eine anmutige und sehr junge Mutter mit einem niedlichen kleinen Mädchen kennen. Es ist Anita mit ihrer Tochter Franziska. Anita kommt aus Bosnien. Franziska ist in Deutschland geboren.

      Die beiden Mädchen freunden sich rasch an. Wenn man sie zusammen sieht, muss man an das Märchen von Schneeweißchen und Rosenrot denken: Katharina, hellhäutig, mager, mit grauen Augen, und Franziska mit ihrem bräunlichen Teint, den blitzenden beerenschwarzen Äuglein und den dunklen Locken.

      Anitas Familie – ihr Mann ist als Kind aus Tunis nach Deutschland gekommen – wird uns für die nächsten fünf Jahre zu Freunden.

      Anita hat sichtlich Talent für Sprachen. Mit achtzehn, auf Besuch bei ihrer Tante, lernte sie Franz kennen, und sehr bald waren sie verheiratet. Ohne je einen Sprachkurs zu besuchen, fand sie sich ins Alltagsdeutsch hinein, indem sie zuhörte, wie ihr Mann und ihr Schwiegervater sprachen.

      Als Heranwachsende hatte sie die Bombardierungen Bosniens erlebt. Dort, im Keller des Hauses sitzend, hatte sie sich von sauer gewordener Milch ernährt. Jetzt in Deutschland ist sie absolut nicht wählerisch im Essen. Obwohl sie von Beruf Köchin ist und ausgezeichnet kochen kann.

      Für mich und Katharina, die mit drei Jahren in den Kindergarten geht, bedeutet der Umgang mit Anita und Franziska eine gute Übung im Deutschen.

      Kinderkrippen für unter Dreijährige gibt es in der Stadt nicht. Das heißt: eine einzige ist da – aufgenommen werden ein Dutzend Kinder. An Einwohnern hat Marbach um die elftausend.

      Wir treffen uns häufig, gehen auf den Spielplatz, trinken daheim Tee. Manchmal bastele ich mit den Kindern, und Anita sagt, ich machte das sehr richtig, wie eine Lehrerin.

      Oft streiten sich die Kinder lauthals um das Spielzeug; dann bedaure ich, dass wir die Spielsachen nicht doppelt haben: jedes in zwei Exemplaren.

      Kapitel 9

      Januar 2008, Russland, Smolensk

      Anton Denisjenko. Zwanzig Jahre danach

      Noch in Moskau hatte mir Rusanna, eine Freundin aus dem Studium, von einem neuen Internetportal «Klassenkameraden» erzählt; viele hätten dort ihre Freunde aus der Schule und der Hochschule wiedergefunden.

      Als ich mich dann schließlich dort registriert hatte, hielt ich im Wesentlichen nur mit denjenigen Kontakt, mit denen ich auch sonst bereits in Verbindung stand.

      Eines Abends sah ich das Postfach durch – und als ich den Absender und die Mitteilung erblickte, wurde ich starr, mir stockte der Atem.

      «Hallo, Lerka! Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst. Wir waren in Kirow in derselben Klasse. Ich bin dann nach Smolensk gezogen. Wenn du dich erinnerst, schreib doch mal, wo du jetzt lebst. Wie geht es dir? Hattest du nicht eine Oma in Smolensk? Fährst du manchmal noch nach Smolensk? Anton Denisjenko».

      Antoscha … «Ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst.» Antoscha… Anton Denisjenko.

      Die Schüler kannten sich alle seit der ersten Klasse. Du kamst in der sechsten dazu.

      Deine Mutter, umwerfend hübsch und klug, hatte sich von deinem Vater getrennt und einen Fabrikdirektor geheiratet. Dein Stiefvater war nach Kirow versetzt worden, um dort wieder eine Fabrik zu leiten. So kam’s, dass du in unserer Klasse auftauchtest.

      Du wohntest in einem Neubau hundert Meter von der Schule. Bloß einmal quer über den Platz.

      Du saßest in der letzten Bank. Still und bescheiden. Obwohl es Heranwachsenden oft schwerfällt, sich in ein neues Kollektiv einzufügen, hat dich deine Wesensart zwar keine engen Freunde, aber doch ein paar gute Kameraden finden lassen.

      Ich saß weiter vorne; beim Diktat durfte jeder bei mir abschreiben, Vorder-, Hinter- oder Nebensitzer. Und ich freute mich, wenn du an die Tafel gerufen wurdest. Ich liebte es so sehr, dich zu beobachten.

      Nach ein paar Jahren wurde dein Vater nach Smolensk versetzt, um auch dort eine Fabrik auf Vordermann zu bringen. Deshalb hast du die zehnte Klasse nicht mehr bei uns beendet.

      Du hast mich bei der Abschlussfeier nicht gesehen. In meinem hellblauen Kleid. Du warst nicht da. Dabei hatte ich mit keinem anderen tanzen wollen. Von diesem und von jenem wurde ich aufgefordert; doch ich hab keinen im Gedächtnis behalten.

      In Smolensk lebte meine Großmutter. Als ich nach der Schule dorthin gezogen war und an der Pädagogischen Fachschule zu studieren begonnen hatte, hab ich dich wiedergefunden. Das war nicht schwer, unsere Mütter hatten untereinander