Название | Meine Stadt auf Яussisch |
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Автор произведения | Valeria Fedchenko |
Жанр | Биографии и Мемуары |
Серия | |
Издательство | Биографии и Мемуары |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9785005358189 |
Erst in vorgerücktem Alter hat Ljuba geheiratet. Das Paar erwarb ein Haus in einem modernen Carree in nächster Nähe ihres Arbeitsplatzes. Unweit des Stadtzentrums; sündhaft hohe Bodenpreise. Für den Grundstückseigner ist es billig, für den Käufer der Immobilie teuer. Und wenn du dich, dicht an dicht lebend, mit deinen Nachbarn nicht gut verstehst, oder diese sich nicht mit dir, dann hast du’s als Hausbesitzer schlimm getroffen. Die Nachbarn können dir ja sogar beim Essen zugucken, wenn du in deinem sechs Quadratmeter kleinen Garten sitzt.
Des Familienlebens hat Ljuba sich nicht lange erfreuen können. Nach ein paar Jahren ging die Ehe auseinander. Die freiheitsliebende Schönheit konnte das ständige Murren und Nörgeln ihres Ehemannes nicht mehr ertragen.
«So ein Häuschen war mein Traum gewesen», erinnert sie sich später. «Und Träume, so seltsam das ist, gehen manchmal in Erfüllung.»
Anfangs hatte Ralf gar nicht heiraten wollen, und auch Ljuba hatte es nicht vorgehabt; doch dann war sie schwanger geworden.
Manchmal in der Pause kommt Ljubas Tochter zu uns herübergelaufen, ein Mädchen von dreizehn. Russisch kann sie ein bisschen verstehen, sprechen jedoch nicht.
Was mich betrifft…
Seit Herbst 2004 bin ich in Deutschland. Meine Tochter Katharina ist drei Monate alt. Ich besuche einen abendlichen Deutschkurs der Volkshochschule. Es ist meine zweite oder dritte Niveaustufe.
Die vorigen Kurse habe ich als Schwangere besucht; und als recht fleißige Schülerin, die am Ende auf die Fragen «Wie heißt du? Woher kommst du?» antworten konnte. Und die panische Angst hatte, in eine der kleinen Boutiquen einzutreten, wo sofort die Verkäuferin auf dich zustürzt und fragt: «Kann ich Ihnen helfen?»
Ehrlich gesagt bin ich dieses Mal keine so gute Schülerin; die Tochter nimmt meine ganze Zeit in Anspruch. Bisweilen lass ich den Kurs ausfallen; mein Mann kommt oft später von der Arbeit heim. Die Hausaufgaben mach ich flüchtig nebenher.
Als sie hört, dass ich Grundschullehrerin bin, sagt Ljuba: «Es bräuchte eine russische Schule hier am Ort. Vor ein paar Jahren hat die Stadt zahlreiche Übersiedler aufgenommen: Juden und Russlanddeutsche. Viele Familien wollen, dass ihre Kinder Russisch lesen und schreiben können. Wie wär’s, wenn wir an die russische Botschaft in Berlin schreiben – vielleicht würden die uns unterstützen?»
Frau Ljuba entwirft einen entsprechenden Brief. Ich passe ihn an den geltenden Stil formeller Korrespondenz im Russischen an. Das Schreiben senden wir nach Berlin an die Botschaft der Russländischen Föderation in Deutschland.
Eines Tages klingelt bei mir daheim das Telefon. Ein Mitarbeiter der Botschaft erklärt mir in höflichem Ton, dass die Gelder für Projekte aller Art bereits sämtlich verplant seien. Aus der Unbestimmtheit seiner Worte ist herauszuhören, dass der russische Staat kein Interesse daran hat, eine Schule in diesem abwegigen kleinen Ludwigsburg zu unterstützen.
Frau Ljuba ist traurig. Eigenständig solch eine Schule aufzuziehen, daran ist bei dem geringen Einkommen als Lehrerin und dem, was sie als Alleinerziehende von ihrem Mann bekommt, nicht zu denken.
Und wir unsererseits leben in zwei getrennten Wohnungen.
Kapitel 5
Februar 2019
Deutschland, Monte Scherbelino bei Stuttgart
Raum für alle hat die Erde
Der Gipfel des Berges, den wir heute besteigen, besteht aus den Trümmern von Häusern und Bauwerken, die im Zweiten Weltkrieg bei den Bombardierungen durch amerikanische und englische Flugzeuge in den Jahren von 1940 bis 1945 zerstört wurden.
Der Weg windet sich in Serpentinen in steiler Steigung empor. Oben ragt ein Kreuz, ringsum der weite Himmel. Luft und Licht allüberall.
Und das Gefühl: Die Welt gehört dir. Sie ist endlos. Und liegt dir zu Füßen, dort unten.
360 Grad um dich herum: wunderschönes Blau.
Doch außerdem: die Überreste von Gebäuden.
Ich stehe auf dem höchsten Punkt eines Trümmerhaufens und blicke auf das Kreuz und in den Himmel. Er ist sehr hell und klar, ohne ein einziges Wölkchen, makellos rein und sehr groß. In ihm ist Stille.
Nur die Steine unter meinen Füßen – die leben. Ich spüre, wie viel sie wissen. Behutsam schaue ich um mich herum. Da eine Säule… Dort ein Rundbogen… Hier eine Löwenfigur…
Ich lege dem Löwen die Hand auf den Kopf. Ein Stück vom Maul ist ihm abgeschlagen. Ich streiche über seine wellige Mähne. Sie ist warm… Heute ist ein sehr warmer, sonniger Tag.
Nach Hause zurückgekehrt, öffne ich Wikipedia.
«1,5 Millionen Kubikmeter Trümmerschutt von den zerbombten Gebäuden wurden auf den Birkenkopf geschafft.
«Im Lauf des Krieges wurden 142 000 Bomben über Stuttgart abgeworfen.»
«4590 Menschen verloren durch die Luftangriffe ihr Leben.»
«Durch die Bombardements wurden in der Stadt 3912 Gebäude zerstört oder beschädigt.»
«Die Alliierten verloren bei den Angriffen auf Stuttgart 300 Flugzeuge und 2400 Angehörige ihrer Luftwaffe.»
Ich greife nach einem Blatt Papier und einem Kugelschreiber und beginne rasch zu schreiben. Auf Deutsch.
Der Himmel (Himmelblau überall)
Ist hier ein Gott.
Kein Wind, sehr still und friedlich
An diesem Ort.
Man spürt nur, wie atmet
Ein alter Berg
Und zwischen Krieg und Frieden
DU, als Mensch, ein Zwerg.
Kapitel 6
Winter 2005—2006
Ein kleines Dorf am Bodensee
Mein Mann, von Beruf Maschinenbauingenieur, hat einen neuen Auftrag: von einem Konzern, der Flugzeuge herstellt. Das Konstruktionsbüro befindet sich in einem kleinen Ort am Bodensee. Die Firma hat ihm eine nette kleine möblierte Wohnung gemietet, in einem Dorf in der Nähe, mit Schlafzimmer und einem Wohnraum mit Küchenzeile.
In der ersten Zeit kommt er freitagabends heim und fährt montags früh wieder zur Arbeit. Den Bodensee und Ludwigsburg trennen zwei Autostunden und etwa zweihundert Kilometer. Ich bin unter der Woche allein zu Hause und rund um die Uhr mit dem Baby beschäftigt.
Für mich ist das arg erschöpfend; ich habe keinerlei Hilfe, von den Freunden oder Verwandten lebt niemand in der Nähe.
Und so beschließen wir, gemeinsam an den Bodensee zu ziehen. Von der Arbeit heimgekommen, kümmert sich mein Mann gern um das Töchterchen, und ich bin froh, draußen etwas Luft zu schnappen und ein Stückchen Freiheit zu genießen.
Hingehen kann man eigentlich nirgends. Im Dorf gibt’s eine Bäckerei, einen Metzgerladen, ein kleines Lebensmittelgeschäft und eine Weinhandlung. Letztere ist etwas Besonderes. Das Dorf liegt rings umgeben von Weinbergen, die ebenso wie die Weinhandlung von Generation zu Generation weitergeführt werden und seit vierhundert Jahren ein und derselben Familie gehören.
Als ich einen Blick in den Laden werfe, entdecke ich ungewöhnliche Weine, bei regionalen Ausstellungen mit Goldmedaillen prämiert.
Die freundliche Inhaberin erklärt mir, dass man jeden dieser Weine probieren dürfe. Als ich auf eine Flasche deute, die sich aber als noch ungeöffnet erweist, zieht die Dame ohne zu zögern rasch und professionell den Korken ab und gießt mir von dem Wein in ein kleines Plastikglas.
Ich erzähle meinem Mann dieses Erlebnis.
«Da siehst