Название | Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof |
---|---|
Автор произведения | Michael Möseneder |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783709939475 |
„Ich bin aus Neugier hineingegangen“, erinnert sie sich. „Ich habe zwei Engel gesehen. Die haben mir so gut gefallen. Ich habe so was nie besessen. Aus irgendeinem Grund habe ich sie genommen“, erzählt sie dem Senat. Die Himmelswesen waren Teil der barocken „Jaufenthaler Krippe“, eines der Prunkstücke des Hauses.
Aufgestellt ist die Krippe rund 30 Quadratmeter groß und besteht aus 898 einzelnen Objekten. Es blieb nicht bei einem Diebstahl. Mindestens sechs weitere Male drang die Angeklagte mittels Zentralschlüssel in die Werkstatt ein und stahl 90 Krippenobjekte und 200 Wallfahrtsmedaillons. En passant ging das nicht, wie Anklägerin Ivo herausarbeitet. Denn manche Objekte waren 20 bis 30 Zentimeter groß, sie einfach in die Hosentasche zu stecken war nicht möglich.
Ihre Beute verkaufte E. im Internet in ganz Europa, eine Liste von sieben Käufern gab sie der Polizei. Das waren aber teilweise Großabnehmer, die die begehrten Stücke wieder veräußerten. Der Spur jedes einzelnen Stückes zu folgen ist schwierig.
„Warum?“, will Baczak mehr über das Motiv wissen. „Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen wegen meinem kleinen Sohn“, antwortet E. unter Tränen. „Ich war länger im Krankenhaus und wollte das wiedergutmachen. Ich habe ihm sehr viele Spielsachen gekauft. Teddybären, ein Spielhaus. Und ich wollte, dass er von allem das Beste hat.“
Verteidigerin Ingrid Herzog-Müller und die Angeklagte sagen, es seien nur 5.000 Euro durch die Verkäufe erlöst worden, es seien auch nicht so viele Objekte wie angeklagt gestohlen worden. E. habe im Internet auch selbstgemachte Objekte oder Flohmarktfunde weiterverkauft. Die Vorsitzende sieht das finanzielle Motiv nicht: „Ich habe nachgeschaut: Gegen Sie läuft keine Exekution oder Zivilklage. Wo genau ist das finanzielle Problem?“ – „Ich bin manchmal mit dem Geld nicht ausgekommen.“
Direktor und Angestellte des Museums bestätigen die angeklagten Verluste. „Ist das quasi Ihre Saliera?“, will Baczak von einer Zeugin wissen. „Ja, es gehört sicher zu den wertvollsten Stücken.“ Der Marktwert kann nur geschätzt werden. Aber E. habe die Beute vor dem Verkauf teilweise auch verändert – aus einem Engel einen Teufel gemacht, beispielsweise. Alleine die Wiederherstellung der sichergestellten und wiederausgeforschten Figuren kostet mindestens 100.000 Euro.
Kurios ist die Geschichte, wie E. enttarnt wurde. Die Diebstähle wurden zwar der Polizei gemeldet, zunächst aber nicht öffentlich gemacht. Als das Bundeskriminalamt nach einigen Monaten doch Bilder der Beute auf seine Homepage stellte, berichtete die „Kronen Zeitung“ darüber.
Eine ehrenamtliche Helferin des Museums wurde von einer Freundin beim wöchentlichen Kaffeetreffen auf den Bericht aufmerksam gemacht. „Als ich die Bilder gesehen habe, wusste ich, dass ich die auf Ebay gespeichert habe“, schildert diese Zeugin. Denn: Sie ist selbst Sammlerin von Krippenfiguren – und hatte selbst bereits zweimal bei der Angeklagten gekauft.
Die Zeugin rief die zuständige Museumsmitarbeiterin an und nannte den Namen ihrer Geschäftspartnerin. „Da war erst Stille. Und dann habe ich gehört: ‚Die arbeitet bei uns.‘“ Nicht nur das: Die von ihren Kolleginnen als unauffällig und freundlich beschriebene E. bot nach dem Verschwinden der ersten beiden Engel sogar an, bei der Suche nach ihnen zu helfen.
Bei ihrer ersten Einvernahme durch die Polizei sagte die Angeklagte noch aus, sie habe die von ihr verkauften Figuren „bei Zigeunern am Naschmarkt gekauft“. Schließlich plagte sie das schlechte Gewissen, sie kam ein zweites Mal zu den ermittelnden Beamten, brachte ein gutes Dutzend Figuren mit und gestand.
Das Urteil: zwei Jahre Haft für gewerbsmäßigen schweren Diebstahl, davon acht Monate unbedingt. Zusätzlich bekommt E. Bewährungshilfe und muss den Schaden ersetzen.
Der fliegende Burger und der Schädelbasisbruch
Thomas P. hat zwei Vorstrafen, eine davon wegen versuchten Mordes. Nicht das beste Blatt also, wenn man wie er beschuldigt wird, seinem Kontrahenten bei einer Auseinandersetzung den Schädel gebrochen und ihn so schwer verletzt zu haben. Der 38-Jährige bekennt sich vor Richterin Erika Pasching dennoch nicht schuldig: Er habe in Nothilfe gehandelt, wobei sich der über 70 Jahre alte Gerhard K. verletzt habe.
Die Geschichte spielt vor der Begegnungszone beim Einkaufszentrum Wien-Mitte im Bezirk Landstraße. Zwei Frauen und ein Kind probierten dort die fast allgegenwärtigen mietbaren E-Scooter aus. Mit zwei Gefährten waren sie unterwegs, auf einem fuhr der Bub mit seiner Tante.
„Ich bin gerade über den Zebrastreifen gegangen, als ich gesehen habe, wie der Herr die Dame samt dem Kind vom Scooter gestoßen hat“, erinnert sich der Angeklagte. „Es ist dann ein Streit zwischen dem Herrn und einer Frau entstanden, der Herr hat die Faust gehoben. Ich dachte, er wird sie gleich schlagen.“
Da P. sich zuvor einen Imbiss in einem Schnellrestaurant besorgt hatte, verwendete er das aufgemotzte Fleischlaberl als Wurfgeschoss. „Ich habe meinen Cheeseburger geworfen und bin losgerannt“, behauptet der Angeklagte. Sein Ziel sei es gewesen, sich zwischen den älteren Mann und die deutlich kleinere Frau zu zwängen und zu deeskalieren. „Ich habe den Herrn dabei sicher nicht gestoßen, maximal angerempelt. Er fiel nach hinten um und ist mit dem Kopf unglücklich auf einer Gehsteigkante aufgeschlagen“, beteuert P. gegenüber Richterin Pasching.
Die Folgen des Vorfalls waren verheerend: K. erlitt einen Schädelbasisbruch, war eine Woche stationär im Krankenhaus und leidet auch Monate später noch unter Wortfindungsstörungen und Druckgefühlen im Kopf, wie er schildert. 500 Euro Schmerzensgeld hätte der Pensionist gerne.
Davor erzählt K. jedoch eine völlig andere Version der Geschehnisse. „Ich bin aus dem Kino gekommen, es waren ungefähr 30 Leute auf dem Gehsteig.“ Plötzlich sei er leicht von einem Roller gestreift worden. Es sei nicht dramatisch gewesen, er wollte allerdings seine Auslegung der Straßenverkehrsordnung klar machen. „Was macht ihr da, ihr gehört ja auf die Straße!“, habe er sinngemäß geschrien. „Es tun ja alle“, echauffiert er sich auch vor Gericht.
Vom Scooter habe er aber niemanden gestoßen, stellt der Pensionist klar. Da auf der anderen Straßenseite die zweite Frau – die Mutter des Kindes – wartete, habe er auch ihr nochmals seinen Standpunkt dargelegt. Aber sicher nicht drohend, geschweige denn mit erhobener Faust.
Warum genau das aber sowohl die beiden Scooterfahrerinnen als auch unbeteiligte Zeuginnen und Zeugen aus den umliegenden Gastgärten so wahrgenommen haben, kann er sich nicht erklären. „Da waren sicher 30, 40 Leute herum. Wenn ich so drohend gewesen wäre, warum ist dann nicht von denen wer eingeschritten?“, wundert K. sich.
Die bedrohte Frau liefert dafür in ihrer Aussage eine mögliche Erklärung: „Die anderen haben nichts gemacht, der Herr Angeklagte hat Zivilcourage gezeigt“, lobt sie. Denn der Pensionist habe zu ihrer kopftuchtragenden Schwester auch „Schleicht’s eich in eier Land!“ gesagt, was K. wiederum bestreitet.
Der Verletzte hat das jedenfalls völlig anders wahrgenommen, wie er schildert. „Plötzlich kam der Herr dazu und sagte, ich soll die Frau in Ruhe lassen“, rekapituliert er vor Gericht. „Er hat sich auf die Seite der –“, K. stockt kurz, „– Leute geschlagen, anstatt ihnen zu sagen, dass sie nicht auf dem Gehsteig fahren dürfen.“ Daher habe er P. möglicherweise noch „Wos woin Se von mir?“ gefragt, ehe dieser ihn wuchtig weggestoßen habe. „In der Früh bin ich um neun Uhr dann im SMZ Ost aufgewacht, ohne zu wissen, wie ich da hingekommen bin.“
Die beiden Frauen und die unbeteiligten Zeugen schildern zwar alle einen lautstarken Streit und eine bedrohliche Situation, widersprechen sich aber in der Frage, ob P. den Pensionisten nun aktiv weggestoßen habe oder der auf andere Weise zu Sturz gekommen ist.
P.s Verteidiger Andreas Duensing führt im Schlussplädoyer noch aus, dass sogar ein Wegstoßen rechtlich gedeckt sei: „Mein Mandant hat Nothilfe geleistet und dazu muss er den Angriff zuverlässig vereiteln. Wenn er sich nur dazwischengestellt hätte,