Feenders. Jürgen Friedrich Schröder

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Название Feenders
Автор произведения Jürgen Friedrich Schröder
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783839267387



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»Sie wollten ein für alle Mal verhindern, dass sich so etwas wiederholte. Dass sie selber erheblich zum Ausbruch des Weltkriegs beigetragen hatten, interessierte dabei nicht. Deutschland lebte weit über zehn Jahre in mehr oder weniger großer Not und die gemäßigten Politiker fanden keine Lösung. Einer der wenigen, der etwas bei den Siegern erreichte, Gustav Stresemann, starb leider zu früh. 1929 kam, ausgehend von Amerika, die große Weltwirtschaftskrise …«

      »Wir hätten bald unseren Hof verloren …«, unterbrach Lilli ihn.

      »… und ich stand kurz vor der Pleite!«, ergänzte Strodthoff ihren Satz. »So ging es vielen Leuten! Die Radikalen in Deutschland lieferten sich Straßenschlachten und es gab jede Menge Mord und Totschlag!«

      »Und dann kam der Führer und es war Ruhe!«

      »Das ist zwar richtig, aber du übersiehst dabei, dass er und seine SA-Schläger die eine Seite der Radikalen waren und es heute noch sind!«

      »Hauptsache, Ruhe. Sagt mein Papa!«

      »Eben, und so denken die meisten Leute. Außerdem hat niemals eine Mehrheit des Volkes die Braunen gewählt, selbst in der letzten Wahl am 5. März ’33 nicht, bei der noch mehrere Parteien zugelassen waren. Erst durch eine Koalition mit der schwarz-weiß-roten Kampffront unter der Führung der Deutschnationalen hatten die Braunen die parlamentarische Mehrheit. Und um welchen Preis haben wir jetzt diese trügerische Ruhe?«

      Oh je, jetzt doziert er wieder, dachte Lilli, das kann anstrengend werden. Sie fragte: »Wie meinst du das, um welchen Preis?«

      »Man darf nicht mehr sagen, was man denkt! Wenn ich früher auf Brüning und Papen geschimpft habe, machte das gar nichts. Da hätte man es schon recht toll treiben müssen. Und heute? Ein paar falsche Sprüche und man landet im Konzen­trationslager!«

      »Onkel Theo?« Lilli schaute ihn an. »Was hast du denn gesagt, dass sie dich eingesperrt haben?«

      »Lilli!«

      »Ja, ich weiß, du darfst nicht darüber reden.«

      »Eigentlich ist das Ganze lächerlich, aber wenn du das zum Beispiel unter dem Siegel der Verschwiegenheit deiner besten Freundin erzählst und die sagt es weiter, dann war es das mit mir.«

      Elisabeth zuckte ratlos die Achseln.

      »Was soll’s, das ganze Wirtshaus hat es ohnehin mitbekommen. Aber du hältst wirklich den Mund?«

      Lilli nickte wortlos.

      »Ich habe erzählt, der dicke Hermann …«

      »Göring?«

      »Ja! Der ist doch so eitel mit seinen vielen Orden. Die habe er sich noch einmal aus Gummi anfertigen lassen, damit er sie auch in der Badewanne tragen kann.«

      Elisabeth kicherte leise.

      »Und unseren hochverehrten Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels habe ich als Wotans Mickymaus bezeichnet.«

      Lilli presste sich die Hand vor den Mund und prustete los: »Goebbels als Mickymaus! Das ist gut!«

      »Schließlich ist mir noch der Satz rausgerutscht: ›Lieber Gott, mach mich blind, dass ich Goebbels arisch find!‹«

      Lilli lachte schallend: »Ich werd nicht wieder!«

      »Ja, du lachst. Und fast alle anderen auch. Aber mir hat es sechs Wochen Arbeitslager eingetragen.«

      »Wegen solcher Lappalien?«

      »Ja!«

      »Und wer hat dich verpetzt?«

      »Weiß ich nicht. Das kann jeder gewesen sein. Es haben genügend Leute gehört.«

      »Und nun?«

      »Und nun?«, echote Theodor. »Halte ich meinen Rand und gehe nicht mehr ins Gasthaus! Wem soll man noch trauen? Und genau das ist es, was die heutigen Herren wollen!«

      »Aber warum?«

      »Verstehst du denn nicht, Lilli? Je mehr Leute aus Angst den Mund halten, desto ungenierter können die Braunen schalten und walten, wie sie wollen.«

      »Aber was haben sie davon?«

      »Hast du das Buch unseres geliebten Führers gelesen? ›Mein Kampf‹?«

      »Ooch nee, der Wälzer hat über siebenhundert Seiten! Ich hab mal reingeschaut, als unsere BDM-Führerin sagte, jedes deutsche Mädel und jeder deutsche Junge sollte die Gedanken unseres Führers kennen.«

      »Da hat sie völlig recht!«

      »Wieso, ich denke, du magst die Braunen nicht?«

      »Man sollte trotzdem – oder gerade deshalb – wissen, was unser glorreicher Führer vorhat.«

      »Und? Was hat er vor?«

      »Beispielsweise will er Land im Osten gewinnen, weil wir angeblich ein Volk ohne Raum seien. Weißt du, was das in letzter Konsequenz bedeutet? Krieg, das gibt den nächsten Krieg!«

      »Ach, Onkel Theo, du bist immer so schrecklich pessimistisch. Das macht der Führer bestimmt nicht. Er redet doch immer vom Frieden!«

      »Und warum schreibt er in seinem Buch etwas anderes?«

      Lilli schaute nur ratlos.

      »Oder die Sache mit den Juden.«

      »Die Juden sind unser Untergang, sagt der Führer!«

      »Und warum?«

      »Papa ist mal von einem jüdischen Viehhändler übers Ohr gehauen worden!«

      »Und bei mir haben treudeutsche Bauern ihre Rechnungen nicht bezahlt!«

      »Das war in der Weltwirtschaftskrise. Und daran ist die jüdische Hochfinanz in Amerika schuld!«, antwortete Lilli mit leichtem Triumph in der Stimme.

      »Und selbst wenn es so wäre. Sollen wir deshalb nicht mehr in jüdischen Geschäften kaufen? Was hat etwa der Kaufhausbesitzer Rosenfeld damit zu tun?«

      »Der Führer wird es schon wissen!«

      »Der Führer, der Führer«, räsonierte Strodthoff. »Weißt du, wie er mit den Juden umgehen will? Ziemlich am Ende des Buches schreibt er, man hätte einige Tausend von ihnen unter Gas halten sollen. Das empfiehlt unser famoser Führer, auch wenn er das in seinem Buch auf das Ende des Weltkrieges bezogen hat.«

      »Das kann nicht wahr sein. So wie an der Front mit Giftgas?«

      »Lilli, ich kann das jetzt nicht wörtlich wiedergeben, aber sinngemäß – ja! Jeder sollte dieses Buch lesen, denn wie ich diese Herrschaften kennengelernt habe, werden sie das so oder ähnlich umsetzen. Krieg und Massenmord!«

      Elisabeth schaute ihren Onkel entsetzt an und schwieg.

      »Lilli, ich hätte dir das gar nicht sagen dürfen. Eine versehentliche Bemerkung von dir an der falschen Stelle und ich bin geliefert! Die schlagen mich tot!«

      *

      1935 begann das Fernsehzeitalter in Deutschland. Geräte in Privathaushalten gab es kaum. Dafür konnten die braven deutschen Volksgenossen das Programm des Fernsehsenders Paul Nipkow in sogenannten Fernsehstuben sehen. Im Jahre 1936 erschien – mitten im Verlauf einer Varietésendung – ein sardonisch grinsender Kerl auf der Mattscheibe und gab Folgendes zum Besten:

      Um mal wieder über die Musik zu sprechen:

      Ich freue mich eigentlich,

      dass es heute alles so wunderbar im Takt geht, nicht wahr?

      Wenn es auch hier und da immer noch so etliche Querpfeifer bei uns gibt und vielleicht auch mal solche,

      die gerne mal wieder die Zentrummel rühren möchten,

      sogenannte Devisenmusikanten, nicht wahr,

      da machen wir wenig Federlesen.

      Die kommen zu ihrer weiteren Ausbildung