Feenders. Jürgen Friedrich Schröder

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Название Feenders
Автор произведения Jürgen Friedrich Schröder
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783839267387



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Da der verdiente Kriminalrat aber einflussreiche Fürsprecher besaß, hatte man ihn schließlich mit voller Pension anderthalb Jahre eher in den Ruhestand geschickt.

      Und dieser Mann sollte nun nach dem Verbleib von Theodor Strodthoff, dem Saatguthändler aus Rheidersum, forschen.

      Der Dorfpolizist wunderte sich zwar ein wenig über Helfried Feenders’ Ansinnen, stellte aber keine weiteren Fragen und nannte ihm die Adresse des alten Kriminalrates.

      »Was wünschen Sie?« Eine ältere Frau hatte Helfried Feenders die Tür geöffnet. Misstrauisch schaute sie ihn an.

      »Frau Tammen? Moin, Feenders ist mein Name, aus Rheidersum. Könnt ich wohl Ihren Mann sprechen?«

      »Worum geht es denn?«

      »Das möcht ich ihm lieber selber sagen. Ist eine ziemlich vertrackte Geschichte. Vielleicht weiß Ihr Mann einen Rat.«

      Die Verzweiflung musste Helfried Feenders im Gesicht gestanden haben, denn die Frau antwortete nach kurzem Zögern: »Na, denn kumm Se man rin. Hoffentlich bring’ Se kien’ Ärger mit!«

      Der alte Kriminalrat saß in der Küche und sah von der Zeitung auf, als seine Frau mit dem Besucher hereinkam. Er stand auf. »Moin, Herr Feenders!« Tammen freute sich über das verblüffte Gesicht. »Wir hatten im Mordfall Hellmann kurz miteinander gesprochen!«

      »Dass Sie sich noch an mich erinnern?«

      »Ich bin zwar ’n büschen älter geworden und außer Dienst, aber hier oben funktioniert noch alles!« Er tippte sich leicht an den Kopf. »Schreckliche Sache damals mit der kleinen Gesa. Aber deshalb sind Sie bestimmt nicht hier!«

      »Nee, da haben Sie recht! Könnte ich eben mit Ihnen allein sprechen? Nichts für ungut, Frau Tammen, aber das ist, wie ich eben schon sagte, eine sehr vertrackte Sache.«

      Henrike Tammen nickte nur vielsagend und verließ die Küche. Helfried Feenders schloss die Tür leise und vorsichtig hinter ihr.

      »Na, nun nehm’ Se man erst mal Platz. Tass’ Tee?«, fragte Otto Tammen.

      »Danke, gern. Das ist so, Herr Kriminalrat …« Helfried Feenders erzählte die Sache mit der Verhaftung seines Schwagers und stellte die Frage, was wohl aus ihm geworden sei.

      »Gestapo, sagten Sie?« Tammen atmete hörbar ein und schwieg eine Weile. »Mit denen habe ich rein gar nichts zu tun, möchte ich auch nicht! Aber ich werde versuchen, Ihnen zu helfen – unter einer, nein, zwei Bedingungen!« Er sah den Besucher prüfend an.

      Der nickte nur wortlos.

      »Wenn ich etwas herausgefunden habe, melde ich mich bei Ihnen. Sie warten und rühren sich nicht in der Sache, auch wenn es ein paar Tage dauert. Und die zweite Bedingung: völliges Stillschweigen!«

      »Natürlich, Herr Kriminalrat!« Helfried Feenders wirkte erleichtert. »Danke, dass Sie uns helfen wollen. Meine Schwägerin ist schon völlig durch ’n Wind!«

      »Ich werde tun, was ich kann. Also, Ohren steifhalten!« Mit diesen Worten verabschiedete Otto Tammen seinen Besucher.

      Eine Woche war vergangen und in den Familien Strodthoff und Feenders wurde man immer nervöser.

      »Helfried, meinst du, dass Tammen etwas unternimmt?«, fragte seine Schwester.

      »Ja, Marga, in den Mann habe ich absolutes Vertrauen! Der wird schon kommen!«

      Er kam und seine Botschaft war kurz und knapp: »Also, er lebt. Das ist die Hauptsache! Man hat ihn ins Konzentrationslager Börgermoor gebracht, zur Umerziehung!«

      »Umerziehung?«

      »Ja, Frau Strodthoff! Ihr Mann muss sich schon des Öfteren sehr negativ über die neuen Herren geäußert haben. Die Gestapo hatte ihn bereits einmal vorgeladen und verwarnt. Aber das hat ihn wohl nicht beeindruckt. Daher jetzt die Verhaftung.«

      »Was bedeutet das? Kommt er irgendwann wieder frei?«

      »Wenn er sich entsprechend führt, denke ich mal, haben Sie ihn in sechs Wochen wieder!«

      »Und woher wissen Sie das – ich meine, dass er lebt und dass es ihm gut geht!«

      »Von gut gehen habe ich nichts gesagt. Die Häftlinge müssen im Moor arbeiten bis zur Erschöpfung. Aber er lebt, so viel weiß ich. Und die Frage, woher ich das weiß, werde ich Ihnen nicht beantworten. Haben Sie einfach Geduld!«

      »Vielen Dank, Herr Kriminalrat!«

      »Noch etwas – es ist doch allgemein bekannt, dass unsere neuen Herren ihre Gegner in Arbeitslager stecken. Verharmlosend werden sie auch Konzertlager genannt.«

      »Gegner! Wie sich das anhört! Er hat nur seine Meinung über das braune …«

      »Sehen Sie, das kann schon zu viel sein!« Otto Tammen hatte warnend die Hand erhoben. »Sie sollten vorsichtiger sein!«

      *

      Kriminalrat a. D. Otto Tammen hatte mit seiner Vermutung richtiggelegen. Anfang Juli tauchte Theodor Strodthoff wieder zu Hause auf.

      Elisabeth Feenders erschrak, als sie ihren Onkel Theo zum ersten Mal wiedersah. Diese graue Gestalt, dieser Mensch, der gar nichts mehr von dem ausstrahlte, das ihn vorher ausgemacht hatte, das sollte ihr Onkel sein? »Onkel Theo?« Lilli stand in der Wohnzimmertür. »Geht es dir einigermaßen?«

      »Ooch, mien Deern, danke, recht gut!«

      »Darf ich dich mal was fragen?«

      »Wenn es wegen meiner Haft ist, nein! Deinen Eltern habe ich schon gesagt, was ich sagen darf. Jeden Tag zig Stunden Arbeit im Moor bis zum Umfallen und häufige Misshandlungen!«

      »Das haben sie mir erzählt. Furchtbar, das sind keine Menschen, die so etwas machen. Ich weiß, dass du nichts weiter erzählen darfst. Sonst holen sie dich wieder und du kommst nicht zurück!«

      »Dann ist doch alles klar!«

      »Das ist es ja gerade, nichts ist klar! Warum machen die das? Das hat es doch früher nicht gegeben!«

      »Wie sagt unser werter Führer? Wir leben in einer großen Zeit! Und da scheint alles erlaubt zu sein, was die Herrschaften sich herausnehmen.«

      »Ja, aber der Führer tut auch viel Gutes. Dein Bruder hat eine gute Arbeitsstelle gefunden und dein Geschäft läuft wieder!«

      »Kind, das ist alles richtig, aber …«

      »Oh, Onkel Theo! Nenn mich doch nicht immer Kind!«

      »Verzeihung, Lilli, du bist ja schon eine richtige junge Dame«, antwortete Theodor Strodthoff mit einem leichten Lächeln. »Das hätte ich bald vergessen! Setz dich mal hin. Ich will versuchen, dir das zu erklären, so gut ich kann.«

      Die beiden nahmen am Wohnzimmertisch Platz.

      »Sieh mal, nach dem verlorenen Krieg, an dem die damalige deutsche Regierung und der Kaiser einen großen Teil der Schuld trugen, haben die Sieger im Vertrag von Versailles …«

      »Das ist ein Schandvertrag, sagt unsere BDM-Führerin. Ein richtiges Diktat wird er genannt!«

      »Ja, aber weißt du, dass dieser Vertrag ein deutsches Vorbild hatte?«

      »Wieso?«

      »Als 1917 die Bolschewiken mit ihrer Oktoberrevolution in Russland Erfolg hatten – übrigens mit deutscher Hilfe –, war im Osten der Krieg zu Ende. Die Russen bekamen von Deutschland den Vertrag von Brest-Litowsk aufgezwungen und der war knapp zwei Jahre später in großen Teilen die Vorlage in Versailles!«

      »Das wusste ich zwar nicht, aber was hat das mit den Nationalsozialisten zu tun?«

      »Das will ich dir ja gerade erklären, soweit das kurz gefasst möglich ist!«

      Lilli rutschte unruhig auf dem Sofa herum, das konnte dauern, wie sie ihren Onkel kannte. Außerdem passte ihr das so gar nicht in den Kram, wenn sie an die vielen schönen Erlebnisse beim BDM dachte,