Schöner Mist - Mein Leben als Landei. Irmgard Hochreither

Читать онлайн.
Название Schöner Mist - Mein Leben als Landei
Автор произведения Irmgard Hochreither
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783949298004



Скачать книгу

      »Du alter Schuft.« Ich knuffe ihn in die Seite. »Was willst du noch hören?«

      »Eigentlich nur, dass ich Recht hatte mit meiner Schwärmerei. Und dass du genauso glücklich bist wie ich, wenn wir ab sofort unsere Wochenenden auf dem Land verbringen werden.«

      Er hatte Recht. Ich bin glücklich. Und kann den Frühling in Polkefitz kaum erwarten.

       Paradies mit kleinen Fehlern

      Wir wohnen in einem quirligen, dicht besiedelten Stadtteil Hamburgs.

      Urbanes Ambiente, wie das in Immobilienofferten so schön heißt. Cafés, Restaurants, Supermärkte, Bäckereien, Schneidereien, Boutiquen, Goldschmiedeläden, Kinderschuh-Shops, Hunde-und Katzenfutter-Shops, Blumenläden, Frisöre, Schuster, Bestattungsunternehmen – alles zum Leben und Sterben um die Ecke. Nur Parkplätze sind heiß umkämpfte Mangelware. Aber an diesem Freitag haben wir einen ergattert. Sogar direkt vor der Tür. Ein Wunder, das ich als gutes Omen deute.

      Denn ab sofort gehören wir zu den Wochenend-Rausfahrern. Wir haben nur eine Nacht gewartet und dann am Telefon unser Jawort gegeben. Ein lautes, deutliches »Ja« zum großen Abenteuer. »Ja« zu unserem neuen Teilzeit-Dorfleben im Wendland.

      Für mich heißt das zunächst einmal, ganz pragmatisch gesehen: zwei Haushalte. Einen in der Stadt, einen auf dem Land. Doppelleben. Und ich bin wild entschlossen, gut gerüstet in unsere neue Existenz zu starten. Im Eingangsbereich unserer Wohnung – vierter Stock ohne Lift – wartet ein Durcheinander aus Kisten und Kästen, Tüten und Taschen darauf, runtergetragen und im Auto verstaut zu werden.

      »Wozu brauchen wir das ganze Zeug?«, fragt der Mann und lässt seinen Blick über mein Arsenal an Dosen, Flaschen und Päckchen schweifen. Argwöhnisch taxiert er die Sammlung verschiedener Seifenreiniger, die Scheuermittel und Desinfektionslösungen – als Flüssigkonzentrat und zum Sprühen –, die Polster- und Teppichschäume, den Entkalker, das Backofen-Spray, das Putzzeug für Glas und Fliesen, die WC-Ente, den regenbogenbunten Staubwedel mit Teleskopgriff, das Wischmopp-Eimer-System, die Großpackung Einmalhandschuhe, Abfall-Tüten, Schwämmchen, Wischtücher, zwei Klobürsten – und eine Ameisenfalle.

      »Wir haben doch nur ein altes Bauernhaus gemietet«, stöhnt er, »aber das hier sieht aus, als hättest du vor, eine Gebäudereinigungsfirma zu gründen.«

      »Wenn man neues Terrain erobern will, muss man seine eigene Duftmarke setzen«, entgegne ich knapp, »und weil wir Menschen sind, können wir leider nicht in jede Ecke pinkeln. Also putzen wir.«

      Mit einem ergebenen Seufzer und einem leisen »wusste gar nicht, dass ich mit einem spießigen kleinen Putzteufel zusammenlebe« greift er mit der Linken ein paar Tüten, mit der Rechten seine Kiste mit Handwerkszeug und verschwindet aus der Tür. Überflüssig zu erwähnen, dass wir mehr als einmal hoch und runter müssen. Schließlich ist kein Kubikzentimeter Platz mehr im großen Kofferraum des Volvo Kombi, und die Expedition kann beginnen.

      Stau auf den Elbbrücken. Es geht nur im Schritt-Tempo raus aus der Stadt. Ganz kurz schleicht sich in die Vorfreude ein leises, banges Gefühl. Haben wir die Entscheidung, ein Bauernhaus im entlegenen Landkreis Lüchow-Dannenberg zu beziehen, nicht vielleicht doch etwas überstürzt getroffen?

      »Psycho-Pannenberg«, hatte ein freundlicher Kollege über unsere neue Heimat gewitzelt.

      »Na dann, viel Spaß. Da sitzen doch die ganzen Alt-68er auf ihren Höfen, all die bewegten Lomi-Lomi-Tanten, Kräuterhexen und Schwitzzelt-Schamanen.«

      Er selbst entspannt an den Wochenenden in seinem hübschen, tipp-topp gepflegten Reetdach-Haus hinterm Oste-Deich. Lauter feine Landhausvillen, die in Abwesenheit der Herrschaften von örtlichen Putzhilfen in Schuss gehalten werden.

      »Besser ein paar Eso-Spinner in der Nachbarschaft als deine Hamburger Medien-Anwälte und feinen Zahnklempner, die ihre Rasenflächen mit der Nagelschere kurz halten«, fällt mir als Erwiderung nur ein.

      Als wir in der Dämmerung endlich langsam über die Dorfstraße von Polkefitz zu unserem Haus rollen, sind alle Zweifel wie weggeblasen. Wir halten vor dem Gatter. Mein Herz hüpft. Ich bin Marco Polo, der gleich seinen Fuß auf den Boden einer unbekannten Insel setzen wird. Ich bin ein Entdecker, bereit, mich allen Abenteuern zu stellen. Beim Aussteigen erkenne ich die Umrisse des blonden Hofwächters. Leo liegt in strategisch günstiger Position zwischen Tenne und Gartenpforte. So hat er alles im Blick. Und fast könnte man auf die Idee kommen, er erwarte uns.

      Dieses Mal bin ich vorbereitet. Äußerlich: mit alten Jeans und einem ausgeleierten Sweat-Shirt. Innerlich: mit dem Grundvertrauen, dass sich der stürmische Vierbeiner an unsere letzte Woche mit einem Keks besiegelte Freundschaft erinnern wird. Trotzdem habe ich für die Absicherung meiner körperlichen Unversehrtheit Vorsorge getroffen. Meine Hand fährt in die Hosentasche. Ja, da sind sie. Drei saftige, leckere Lammwürstchen. Erstes Hofhund-Gesetz: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Der Hovawart lässt ein kurzes, sonores Bellen hören und sprintet auf mich zu. Springt hoch. Hundeschnauze im Gesicht. Heftiges Schwanzwedeln, das den gesamten Hinterleib erfasst. Freundliches Fiepen, das sich tatsächlich nach Wiedererkennen anhört. Ich wische mir mit dem Ärmel den feuchten Hundekuss aus dem Gesicht, fingere etwas zittrig eines der Würstchen aus der Hose und bin überrascht, wie sanft und vorsichtig der Wildfang das Präsent aus meiner Hand fischt. Begrüßung geglückt.

      »Feiner Hund.«

      Erleichtert streichle ich meinem neuen Freund über die Flanke.

      Zeus steht unter einer alten Kutscherlampe dekorativ vor der Haustür und erwartet uns. Er sieht genauso aus wie in der Woche zuvor. Windzerzauste, weiße Lockenmähne, kariertes Flanellhemd, dunkelgrüne Wolljacke mit Zopfmuster, braune Cordhose, Sandalen ohne Socken. Dabei haben wir jetzt am Abend gefühlt nicht mal zehn Grad. Götterväter kriegen offenbar keine kalten Füße.

      »Socken«, sagt Paul, als er meinem Blick folgt, »ziehe ich nur an, wenn ich in die Stadt fahre.«

      Er meint nicht Hamburg oder Lüneburg. Er meint Lüchow, das rund 12 Kilometer entfernt liegende Fachwerkstädtchen. Dann senkt er die Stimme und meint:

      »Eigentlich trage ich die Dinger überhaupt nur, weil Helena drauf besteht. Sie findet, es sieht pennermäßig aus, wenn ich unten ohne vom Hof gehe.«

      Er übergibt uns den Hausschlüssel, an dem als Anhänger etwas Selbstgehäkeltes in Form einer Wurst baumelt und strahlt über beide Backen.

      »Aber jetzt erst mal: Herzlich willkommen in Polkefitz. Wir freuen uns sehr, dass ihr euch entschieden habt, hier draußen bei uns eure Wochenenden zu verbringen.«

      Als wir unseren Kram ausladen, denkt die kleine Spießerin in mir: … und keine Parkplatznot, hier können wir immer direkt vor die Haustür fahren … welch ein Luxus.

      In der Stadt unterschreibt man Verträge, hinterlegt eine Kaution, regelt schriftlich alle Rechte und Pflichten, wenn man ein »Objekt« mietet. Auf dem Land genügt ein Handschlag und das Versprechen, sich um Kaminholz-Nachschub zu kümmern. Dazu ein paar Gläser Rotwein, um den Deal zu besiegeln. Paul hat in weiser Voraussicht die Heizung angestellt. Mollige Wärme empfängt uns in unserer Küche. Der Mann an meiner Seite entkorkt eine Flasche Brunello, »zur Feier des Tages«.

      Paul deutet auf einen hübschen alten Bauernschrank.

      »Da sind Gläser drin. Und alles, was man sonst noch so braucht.«

      Als ich Käse, Schinken und Brot auspacke, geht die Tür auf. Helena und der Hund. Sie ganz in Schwarz. Der grazile Körper steckt in einer robusten Zimmermannshose und einer fein gestrickten Jacke mit V-Ausschnitt.

      Die kinnlangen weißblonden Haare ziert ein schwarzes Samtband.

      Das sandfarben-schwarz-gestreifte Tuch um die Schultern komplettiert das Outfit. Sieht cool aus, denke ich und schaue etwas beschämt an mir runter.

      Hat nichts vom lodenfeinen Country-Schick, dafür phantasievolle Klasse.

      In