Schöner Mist - Mein Leben als Landei. Irmgard Hochreither

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Название Schöner Mist - Mein Leben als Landei
Автор произведения Irmgard Hochreither
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783949298004



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Frau, schmal und zartgliedrig, wirkt neben ihm zerbrechlich wie ein Porzellanpüppchen. Eine optische Täuschung, wie sich später herausstellen wird. Beide schätze ich auf Mitte 60.

      »Hattet ihr nicht zwei Töchter?«, fragt der Mann und schaut sich um.

      Paul grinst.

      »Die haben wir immer noch. Die eine lebt in Kiel mit Ehemann und zwei Kindern, die andere studiert freie Malerei in Berlin. Als ihr damals hier Musik gemacht habt, waren die zwei noch Teenies. Sie sind nachts heimlich bei euch ums Haus geschlichen und haben ein bisschen gekiebitzt, die wollten hören, was für Mucke ihr macht.«

      »Was? Wir hatten Publikum? Und haben nix davon gemerkt?«

      Dem Mann an meiner Seite ist die Sache ein ganz klein wenig peinlich.

      »Vor allem war’s schön laut«, brummt Paul. »Da hatte das ganze Dorf was davon. Bauer Plate, der wohnt zwei Höfe weiter, hat mich sogar mal gefragt, ob man euch nicht fürs nächste Dorffest anheuern könnte. »Cocaine« hat ihm besonders gut gefallen. Aber dann seid ihr leider nie mehr hier aufgetaucht.«

      Der Blonde weicht uns nicht von der Seite, als wir zu viert einen Rundgang über das Gelände machen. 20 000 Quadratmeter. Ein riesiger Schwimmteich mit Steg. Ein kleines Gewächshaus. Bäume, Büsche, Beerensträucher. Ein eingezäunter Bauerngarten. Eine naturbelassene Wiese mit Maulwurfhügeln. Eine Welt, die nicht das Geringste mit den ordentlichen Vorstadtgrünflächen zu tun hat, die ich kenne. Wild, romantisch, verwunschen, denke ich. Sogar jetzt, Ende Februar, obwohl die Bäume noch kahl sind, die Wiese matschig ist und nur dürre Strünke im schneidend kalten Wind wippen. Aber ich ertappe mich dabei, wie ich mir den Frühling, den Sommer ausmale. Ich sehe es wuchern und wachsen. In meiner Phantasie blühen Rosen, Jasmin, wilder Wein. Ich sitze mit einem Buch unter einem blühenden Kirschbaum. Oder auf dem Steg am Teich, einen kühlen Drink in der Hand. Neben mir liegt die blonde Bestie, von mir gezähmt. Wir bewundern gemeinsam die Seerosenblüten und dann wandert unser Blick hinüber zur angrenzenden Hausweide, auf der ein paar Pferde grasen.

      Ich ziehe die würzige Luft in meine Lunge. Was ist nur los mit mir? Es ist fast so, als hätte mich jemand einer Gehirnwäsche unterzogen. Aber dieser Flecken außerhalb meines Koordinatensystems lässt mich doch tatsächlich sentimental werden. Dabei ist das hier nicht Paris, sondern Polkefitz. Wie der Name schon klingt! Auch die umliegenden Dörfer heißen so, als hätte ein sturzbetrunkener Comic-Autor sie erfunden: Waddeweitz, Tolstefanz, Meuchefitz und Salderatzen. Sollte ich nicht besser ganz schnell abhauen, bevor ich mein Herz verliere an einen Naturpark, der mir offensichtlich die Sinne vernebelt?

      Ich merke, wie mich der Mann an meiner Seite aus den Augenwinkeln beobachtet, als ich den zum Wohnhaus umgebauten Schweinestall bestaune, in dem Helena und Paul leben. Die weiß lackierten Fenster und die ochsenblutrot gestrichenen Türen geben dem langen, dunklen Ziegelbau ein fröhliches Gesicht. Direkt daneben, Giebel an Giebel, steht das unbewohnte Haupthaus mit angebauter Tenne. Unser Haus. Sollten wir uns dafür entscheiden. Seine Fachwerkfassade ist von Efeu und wildem Wein überwuchert.

      »Bis vor einem halben Jahr hat Otto hier gewohnt«, sagt Paul, »ein Sandkastenkumpel von mir. Er und seine Lebensgefährtin haben das Haus auch nur am Wochenende genutzt. Aber die Fahrerei zwischen Hamburg und Polkefitz ist ihnen irgendwann zuviel geworden.«

      Eine gegenüberliegende Remise, in der Berge von Kaminholz lagern, komplettiert das Gebäudeensemble der Hofstelle.

      »Baujahr 1841«, meint Paul, als wir die gemütliche Wohnstube des Hauptgebäudes betreten. »Also Vorsicht!«

      Aber da ist es schon zu spät. Der Mann hat sich auf dem Weg in die geräumige Küche den Schädel am Türstock wund geschlagen.

      »Ich erinnere mich wieder«, sagt er und reibt sich die schmerzende Stirn, »das ist uns damals bei unseren Musik-Wochenenden nicht nur einmal passiert.«

      Paul grinst. »Im 19. Jahrhundert waren die Leute eben kleiner. Aber nach ein paar Beulen gewöhnt man sich dran, den Kopf einzuziehen.«

      Die niedrigen Türstöcke sind nicht die einzige Besonderheit. Es gibt Türen, die sich nur öffnen lassen, wenn man die Oberarme eines Wladimir Klitschko mitbringt, der geneigte Fußboden im Schlafzimmer könnte als Sehenswürdigkeit mit dem schiefen Turm von Pisa konkurrieren. Ins Bad kommt man nur von der Küche aus, auf der Treppe ins Obergeschoss liegen dicht an dicht Holzwurm-Staubhäufchen, und als wir in den ersten Stock hinaufsteigen, glaube ich das aufgeregte Trippeln winziger Füße zu hören. Ein kaum wahrnehmbares Geräusch, das irgendwo aus dem Zwischengebälk kommt.

      Ansonsten ist das Haus mit all seinen Altersschwächen einfach umwerfend. Den Hausflur schmückt ein Terrazzo-Fußboden, wie ich ihn ähnlich schön nur in venezianischen Palazzi gesehen habe, eine schier unüberschaubare Zahl kleiner Kammern würde es erlauben, Familienangehörige und Freunde in beträchtlicher Zahl zu beherbergen, die dann die Wahl hätten zwischen zwei Terrassen, um entweder in der Sonne oder im Schatten zu frühstücken.

      Und bei Regen fänden alle Platz in der über 30 Quadratmeter großen Küche. Am besten gefällt mir die Patina des langen Eichentisches, an dem bequem zwölf ausgewachsene Menschen sitzen können. Das eindrucksvolle Möbelstück hält ohne Leim oder einen einzigen Nagel zusammen und sieht aus, als habe dort schon Kaiser Barbarossa mit bloßen Händen eine Wildschweinkeule verzehrt.

      Helena hat eine bauchige Teekanne, Tassen und einen Teller Gebäck aufgetischt. Ohne es darauf anzulegen, ist ihr ein bildhübsches Fotomotiv gelungen: feines Porzellan mit den handgemalten englischen Rosen auf einer schrundigen, rissigen Holzplatte. Perfekte Landlust-Ästhetik!

      Helena, gelernte Physiotherapeutin, ist Berlinerin. Eine Großstadtpflanze. Eigentlich. Dort lernte sie Paul kennen, der aus Kiel stammt und zum Studium der Ingenieurwissenschaften in die damals noch geteilte Stadt ging. Ende der 60er Jahre eröffnete er dort eine Kneipe, in der sich alles traf, was in der linken Polit- und Kulturszene Rang und Namen hatte. Von Dutschke bis Grützke. Seine Wohnung teilte er damals vorübergehend mit einem RAF-Sympathisanten und Lover von Ulrike Meinhof.

      »War ´ne wilde Zeit.« Er kratzt sich gedankenverloren am Kopf.

      »Aber irgendwann hatte ich keine Lust mehr, mir jede verdammte Nacht hinter der Theke um die Ohren zu hauen. War der Gesundheit auf Dauer auch nicht grade zuträglich.«

      Auf der Suche nach einer alternativen Lebensform landete das Paar schließlich im damaligen Zonenrandgebiet. Er lernte Lämmer zur Welt zu bringen und Gänse zu rupfen, sie befreite die Landbevölkerung von Schmerzen in den Knochen.

      »Seit mehr als 30 Jahren sind wir jetzt hier«, rechnet Helena nach, »wir haben es nie bereut, dass wir Berlin verlassen haben.«

      Pause.

      »Die Stadt ist uns auf die Nerven gegangen.«

      Der hübsche Blonde hat sich direkt neben meinen Stuhl gelegt und taxiert mich.

      »Guter Hund«, schmeichle ich und streichle ihm vorsichtig über die samtweichen Schlappohren. In einem unbeobachteten Augenblick schiebe ich ihm einen Vollkornkeks ins Maul. Der etwas plumpe Bestechungsversuch verfehlt seine Wirkung nicht. Leo schleckt mir dankbar über die Hand, wir schauen uns in die Augen und ich weiß: Das ist es. Der Beginn einer wunderbaren Wochenendbeziehung.

      Zum Abschied zieht mir Helena noch mit einem »Lass mich das mal versuchen« den Pulli über den Kopf.

      »Wir melden uns nächste Woche«, rufen wir den beiden zu.

      »War wirklich ein netter Ausflug«, sagt der Mann auf der Fahrt zurück nach Hamburg. »Aber es ist natürlich eine Schnapsidee, ein Haus auf dem Land zu mieten.«

      »Wieso denn?«, höre ich mich fragen, während ich im Geiste bereits Möbel rücke und kleine Renovierungsarbeiten plane.

      »Das engt uns doch nur ein. Wir werden uns verpflichtet fühlen, dauernd dorthin zu fahren. Immer an denselben Ort, das nervt doch nur.«

      »Quatsch«, protestiere ich, »das wäre ein wunderbares Gegengewicht zur Stadt, endlich ein Ort, um den Kopf frei zu kriegen, jeder Mensch braucht doch solche kleinen