Die Shokolev neigte sich hinunter. Ein verheißungsvolles Lächeln stand in ihrem hübschen Gesicht. Ihre Augen blitzten herausfordernd.
"Ich möchte Ihnen gratulieren, Marvin!"
"Danke, danke!"
"Ich habe Sie immer bewundert!"
"Ach, ja?"
"Sie sind einer der Größten Ihrer Branche."
Er lachte rau. "Zumindest hier im Big Apple!"
"Wir müssen uns unbedingt treffen, Marvin! Schließlich müssen wir besprechen, auf welche Weise die Geschäfte weiterlaufen sollen... Jetzt, nach Pitaschwilis Hinscheiden!"
"Okay", nickte Kingsroad. "Ein Treffen wäre nicht schlecht..."
"Ich habe einen Tisch im Antonio's reserviert. Ein Gourmet-Tempel in Little Italy..."
"Warum nicht?"
Sie warf ihm eine Kusshand zu und wirkte dabei wie eine billige Bordsteinschwalbe. Kingsroad schien das nicht zu stören. Im Gegenteil. Sein Gesichtsausdruck hatte in dieser Sekunde beinahe etwas Weiches.
"Heute Abend um acht?", säuselte sie.
"In Ordnung!"
21
"Die Witwe wird rund um die Uhr beschattet", erklärte Mr. McKee, während er an seinem Kaffeebecher nippte. "Sie kann ihre Festung in Paterson nicht verlassen, ohne dass sich einer unserer Leute an ihre Fersen heftet und sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Selbst wenn uns das in diesem Fall nicht weiterbringen sollte, bringt es doch nebenbei eine Reihe interessanter Erkenntnisse..."
Ich nickte. Milo und ich hatten unserem Chef einen kleinen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Ermittlungen geliefert.
"Mit Marvin Kingsroad hätten wir uns auch ganz gerne unterhalten", ergänzte Milo meine Ausführungen. "Aber der ist ja heute morgen wieder auf freien Fuß gekommen. Außerdem lässt sich das ja nachholen..."
Allerdings war fraglich, in wie weit das etwas bringen würde.
Mr. McKee sagte dann: "Ich habe übrigens schlechte Nachrichten von der SRD."
"Geht es um das Kaliber der Waffe, mit dem Pitaschwili erschossen wurde?", fragte ich.
"Die Kollegen vom Erkennungsdienst haben jede Menge Geschosse einsammeln müssen und einige stammten tatsächlich aus jener Waffe, mit der auch Shokolev umgekommen ist."
"Und die, die in Pitaschwilis Körper steckte?"
"Die auch." Mr. McKee schlug die Jacke zur Seite und steckte die Hand in die Hosentasche. "Auf einigen der Patronenhülsen waren Fingerabdrücke. Die Kollegen haben sie uns Online übermittelt."
"Dann waren sie also doch nicht solche Vollprofis, wie wir bisher geglaubt haben!", mischte sich Milo ein. Es war schon eine Ironie. Da bemühten diese Kerle sich peinlich genau, keinerlei Spuren zu hinterlassen. Und dann hatten sie ihre Waffen mit bloßen Händen geladen und dabei die Hülsen angefasst. Aber vermutlich waren sie auch nicht darauf eingestellt gewesen, sich mit ein paar G-men eine wilde Schießerei zu liefern.
"Sie sagen das, als ob es ein Problem dabei geben würde, Sir!", sagte ich.
Mr. McKee nickte.
"Die Routineabfrage per Computer war ergebnislos."
"Das bedeutet, dass die Männer, die wir suchen, bislang noch nie kriminell in Erscheinung getreten sind", stellte ich fest. Keine Verhaftung, kein Gerichtsverfahren...
"Klingt äußerst unwahrscheinlich, nicht wahr, Jesse?", erriet Mr. McKee meine Gedanken.
Ich nickte.
"Kann mal wohl sagen."
Die meisten fingen schließlich irgendwo klein an. Und wenn die Kerle, die sich mit uns eine Schießerei geliefert hatten, irgendwann einmal wegen eines kleineren Deliktes inhaftiert worden waren, wären Fingerabdrücke von ihnen genommen worden.
Eine halbe Stunde später saßen Milo und ich in unserem gemeinsamen Büro. Der Kaffee, den ich trank, kam nur aus dem Automaten und war mit Mandys Gebräu nicht zu vergleichen. Ich saß da und stierte auf den Computerbildschirm auf meinem Schreibtisch.
Ich ließ mir die Fingerabdrücke zeigen, die auf den Patronenhülsen gefunden worden waren. Täglich werden in den USA ungefähr 30.000 Fingerabdrücke der zentralen Kartei des FBI-Hauptquartiers in Washington angefügt. Insgesamt sind dort inzwischen Fingerabdrücke von mehr als 250 Millionen Menschen gespeichert. Die Hälfte davon stammt von Kriminellen, die erkennungsdienstlich behandelt wurden. Die andere Hälfte von registrierten Beamten und Angehörigen der US-Bundesbehörden sowie der Streitkräfte. Dazu kamen noch Leute, die sich dort um einen Arbeitsplatz beworben hatten, aber abgelehnt worden waren. Außerdem gab es noch Prints aller Einwanderer. Das Computerprogramm zum automatischen lesen der Abdrücke trug die Bezeichnung AIDS, was in diesem Fall die Abkürzung für Automated Identification Division System war. Es war kinderleicht. Man gab eine passende Rubrik an, zum Beispiel " Criminal", und dann suchte AIDS online und innerhalb von Sekunden nach demjenigen, zu dem die Abdrücke gehörten... Ich startete sicherheitshalber erneut eine Abfrage. Milo bedachte mich mit einem stirnrunzelnden Blick.
"Traust du den Kollegen nicht?", grinste er.
In der Rubrik Criminal - Krimineller - war tatsächlich nichts zu holen. Vermutlich haben die Kollegen nur in dieser Rubrik abgefragt! ging es mir durch den Kopf. Und das ergab auch Sinn! Ich ging per Mausklick in die anderen Rubriken. Es war lediglich ein Griff nach dem Strohhalm. Vielleicht waren die Kerle in der Army gewesen oder...
Im Polizeidienst!
"Sieh an", sagte ich, als die Daten endlich auf dem Schirm erschienen.
Der Mann, von dem die Fingerabdrücke stammten, hieß Chuck Belmont, 37 Jahre alt, hochgewachsen und blond.
Zunächst war er bei den Marines gewesen, danach im Polizeidienst. In Jersey City war er in verschiedenen Abteilungen der Kriminalpolizei gewesen. Einige Jahre in der Drogenfahndung, dann bei den Ermittler der Mordkommission. Er hatte einige Disziplinarverfahren hinter sich und war schließlich im Rang eines Lieutenants aus dem Dienst entlassen worden. In den Disziplinarverfahren ging es immer wieder um Misshandlung von Verdächtigen.
Für ein Gerichtsverfahren hatten die Vorwürfe offenbar nie ausgereicht. Jedenfalls war es nicht dazu gekommen. Daher war er auch nicht in der Rubrik Criminal zu finden gewesen.
Wie auch immer: Belmont war von seinen Vorgesetzten offenbar als untragbar angesehen und entlassen worden.
"Ich frage mich, was der heute treibt", meinte Milo, der über meine Schulter hinweg mitgelesen hatte.
Leider war das Bild, das bei den Daten war, wohl nicht mehr auf dem neuesten Stand. Aber eine gewisse Ähnlichkeit mit den Phantombildern war nicht zu leugnen...
Ich versuchte mich an Einzelheiten im Gesicht des Mannes mit der Spiegelbrille zu erinnern, der Pitaschwili umgelegt hatte.
Ich gab es wieder auf.
Es war zwecklos.
"Wir müssen alles zusammentragen, was wir über den Kerl herauskriegen können!", meinte Milo.