Projekt Phoenix. Kevin Behr

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Название Projekt Phoenix
Автор произведения Kevin Behr
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783958751774



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schon fast ein bisschen beängstigend wirkt.

      Unwirsch fragt Wes: »Okay, Bill, was ist so wichtig, dass du deswegen einen aktuellen Sev-1-Ausfall unterbrichst?«

      Das ist eine gute Frage. Severity-1-Ausfälle sind ernst zu nehmende Zwischenfälle, die den Geschäftsbetrieb beeinflussen und so kritisch sind, dass wir normalerweise alles stehen und liegen lassen, um sie zu beheben. Ich atme tief durch. »Ich weiß nicht, ob ihr es schon gehört habt, aber Luke und Damon arbeiten nicht mehr für die Firma. Offiziell haben sie sich dazu entschieden, eine Auszeit zu nehmen. Mehr weiß ich leider auch nicht.«

      Die Überraschung in ihren Gesichtern bestätigt meinen Verdacht. Sie wussten es nicht. Ich fasse die morgendlichen Ereignisse kurz zusammen. Patty schüttelt den Kopf und gibt ein missbilligendes »ts, ts« von sich.

      Wes ist verärgert. Er hat viele Jahre mit Damon zusammengearbeitet. Mit rotem Gesicht sagt er: »Jetzt hast du also das Sagen? Ich will dich nicht beleidigen, aber ist das nicht eine Nummer zu groß für dich? Du hast die Midrange-Systeme betreut, die schon seit Jahren mehr oder weniger veraltet sind. Du hast dir eine angenehme kleine Aufgabe eingerichtet. Und weißt du was? Du hast keine Ahnung, wie man mit modernen, verteilten Systemen arbeitet – für dich sind die 90er doch immer noch Zukunftsmusik!«

      »Ganz ehrlich«, fährt er fort, »ich glaube, dir würde der Kopf explodieren, wenn du mit der unbarmherzigen Geschwindigkeit und Komplexität zurechtkommen müsstest, mit der ich tagtäglich zu tun habe.«

      Ich zähle ruhig bis drei. »Möchtest du Steve vorschlagen, meinen Job zu übernehmen? Gerne. Dann sorge aber dafür, dass die Geschäftsbereiche das bekommen, was sie brauchen, und dass jeder pünktlich bezahlt wird.«

      Patty antwortet schnell: »Ich weiß, du hast mich nicht gefragt, aber ich denke auch, dass wir uns vor allem um das Problem mit der Gehaltsabrechnung kümmern müssen.« Sie macht eine kurze Pause, dann sagt sie: »Meiner Meinung nach hat Steve eine gute Wahl getroffen. Meinen Glückwunsch, Bill. Wann können wir uns über ein größeres Budget unterhalten?«

      Ich lächle ihr kurz dankbar zu, dann schaue ich wieder zu Wes.

      Er scheint noch mit sich zu hadern, und ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht wirklich entziffern. Aber schließlich gibt er nach. »Okay, in Ordnung. Aber auf das mit dem Gespräch mit Steve werde ich noch zurückkommen. Er wird mir einiges zu erklären haben.«

      Ich nicke. Angesichts meiner Erfahrung mit Steve wünsche ich Wes ernsthaft Glück, wenn er ihn wirklich zur Rede stellen will.

      »Danke für eure Unterstützung. Die ist mir sehr wichtig. Also, was wissen wir über den – oder die – Fehler? Was ist mit diesem SAN-Upgrade von gestern? Gibt es da einen Zusammenhang?«

      »Das wissen wir nicht.« Wes schüttelt den Kopf. Wir haben gerade versucht, das herauszufinden, als du kamst. Gestern waren wir dabei, eine neue SAN-Firmware einzuspielen, als der Payroll-Lauf fehlschlug. Brent dachte, dass das SAN die Daten zerschießt, daher hat er vorgeschlagen, die Änderungen wieder zurückzunehmen. Das klang sinnvoll, aber wie du weißt, gibt es nun ein kleines Problem.«

      »Ein kleines Problem« – das ist wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Hier geht es ja nicht darum, dass ein Smartphone nach einem Update nicht mehr läuft.

      Brent arbeitet für Wes. Er ist bei den wichtigen IT-Projekten immer voll dabei, und ich habe schon häufig mit ihm zusammengearbeitet. Er ist echt pfiffig, aber er kann auch einschüchternd wirken, weil er so viel weiß. Und das Schlimme ist: Meist hat er recht.

      »Du hast es ja gehört«, sagt Wes und weist auf den Konferenztisch, an dem die Diskussion unvermindert weitergeht. »Das SAN startet nicht, rückt keine Daten raus, und wir können nicht einmal die Fehlermeldungen entziffern, weil sie in irgendeiner seltsamen Sprache ausgegeben werden. Jetzt sind eine ganze Reihe von Datenbanken unten, natürlich einschließlich der Payroll.«

      »Um an dem SAN-Problem zu arbeiten, mussten wir Brent von einer Phoenix-Aufgabe abziehen, deren Erledigung wir Sarah versprochen hatten«, sagt Patty unheilvoll. »Das wird uns noch teuer zu stehen kommen.«

      »Oh, oh. Was genau haben wir ihr versprochen?«, frage ich alarmiert.

      Sarah ist Senior Vice President of Retail Operations, und sie arbeitet ebenfalls für Steve. Sie hat die unheimliche Begabung, immer anderen Leuten die Schuld in die Schuhe zu schieben, wenn bei ihr etwas schiefgeht – insbesondere den IT-Leuten. Schon seit Jahren drückt sie sich vor jeder Form von echter Verantwortung.

      Auch wenn ich Gerüchte hörte, dass Steve sie als seine Nachfolgerin aufbauen will, habe ich sie immer als völlig ausgeschlossen abgetan. Ich bin sicher, dass Steve sie durchaus durchschaut.

      »Sarah hat von irgendwem gehört, dass wir Chris einen Haufen virtueller Maschinen zu spät liefern würden«, antwortet sie. »Wir haben alles stehen und liegen gelassen, um das fertigzubekommen – bis wir uns um das SAN kümmern mussten.«

      Chris Allers, VP of Application Development, ist für die Anwendungen und den Code verantwortlich, den die Geschäftsbereiche brauchen. Wir kümmern uns dabei um Betrieb und Wartung. Bei Chris dreht sich im Moment alles um Phoenix.

      Ich kratze mich am Kopf. Unsere Firma hat viel in Virtualisierung investiert. Auch wenn das Ganze verdächtig nach den Mainframe-Umgebungen der 1960er aussieht, hat die Virtualisierung in Wes Welt viel geändert. Man musste plötzlich nicht mehr Tausende realer Server verwalten. Nun sind es logische Instanzen innerhalb eines fetten Servers oder sogar irgendwo in der Cloud.

      Das Erstellen eines neuen Servers beschränkt sich auf einen Rechtsklick in einer Anwendung. Verkabelung? Nur eine Anpassung der Konfiguration. Aber trotz der Versprechen, dass die Virtualisierung all unsere Probleme lösen würde, schaffen wir es gerade nicht, eine virtuelle Maschine pünktlich an Chris zu liefern.

      »Wenn Brent am SAN-Problem arbeiten muss, dann lassen wir ihn da. Ich kümmere mich um Sarah«, sage ich. »Aber wenn das Payroll-Problem durch das SAN verursacht wurde – warum sehen wir dann nicht mehr Fehler und Ausfälle?«

      »Sarah wird definitiv nicht erfreut sein. Weißt du, plötzlich möchte ich deinen Job doch nicht haben wollen«, sagt Wes und lacht laut. »Lass dich bloß nicht gleich am ersten Tag feuern. Denn dann werden sie mich fragen!«

      Er denkt einen Moment nach. »Aber mit dem SAN – da hast du recht. Brent arbeitet gerade daran. Lass uns bei ihm vorbeischauen und ihn fragen, was er davon hält.«

      Patty und ich nicken. Das ist eine gute Idee. Wir müssen genau herausfinden, was wann passiert ist. Und bisher basiert alles nur auf Hörensagen.

      Das reicht aber nicht, um Kriminalfälle zu lösen, und erst recht nicht, um IT-Probleme zu heben.

      KAPITEL 3

       Dienstag, 2. September

      Ich folge Patty und Wes am NOC vorbei zu den Cubicles. Wir landen in einem größeren Bereich, der den Platz von sechs Cubicles einnimmt. An einer Seite steht ein langer Tisch mit einer Tastatur und vier LCD-Monitoren – wie bei einem Wall-Street-Händler. Überall stehen Server herum, an denen kleine Lämpchen blinken. Jeder Bereich des Tischs ist mit weiteren Monitoren vollgestellt, auf denen Diagramme, Anmeldefenster, Codeeditoren, Word-Dokumente und unzählige Anwendungen zu sehen sind, die ich nicht kenne.

      Brent tippt etwas in einem Fenster ein und hat dabei alles um sich herum ausgeblendet. Am Telefon ist die Telefonkonferenz zu hören, die auch im NOC läuft. Es scheint ihm offensichtlich egal zu sein, ob das laut gestellte Telefon seine Kollegen stört.

      »Hey Brent, hast du eine Minute?«, fragt Wes laut und legt eine Hand auf seine Schulter.

      »Kann das warten?«, antwortet Brent, ohne aufzuschauen. »Ich bin gerade ziemlich beschäftigt. Weißt du, ich arbeite an dem SAN-Problem.«

      Wes stellt das Telefon leise und schnappt sich einen Stuhl. »Ja, genau darum sind wir ja hier.«

      Als