Название | Die Residentur |
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Автор произведения | Iva Prochazkova |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783992002740 |
„Ich glaub nicht, dass sie unterwegs waren. Damit sind sie doch durch.“
Vom anderen Ende drang ein nachsichtiges Lachen an Alenas Ohr.
„Ein Kerl ist niemals mit irgendwas durch. Der will immer alles wieder von vorn ausprobieren“, versicherte ihr Hanka, die gründlich vom Verlauf ihrer Ehe belehrt worden war (vier Krisen inklusive der, die sie gerade durchmachte). „Als Richard dich angerufen hat, wie hat er sich denn da angehört?“
„Normal.“
„Was hat er gesagt?“
„Dass sie gestern Abend Pizza essen waren, dann haben sie angeblich noch eine Weile gelernt und sind schlafen gegangen.“ Erst jetzt, als sie sich die Unterhaltung wieder ins Gedächtnis zurückrief, fiel ihr auf, dass sie so ganz normal nicht gewesen war. Richard war beim Telefonieren meist sachlich, kurz angebunden. Diesmal hingegen hatte er fast schon zu viel geredet.
„Er hat sich ganz normal angehört“, sagte sie noch einmal, in einem Ton, der keinen Zweifel zuließ. Hanka konnte sie damit vielleicht überzeugen, aber ihren eigenen Körper überlisten nicht. Auf einmal war es wieder da: das Kribbeln im Bauch. Es kam genauso wie vor achtzehn Jahren – scheinbar ohne Grund.
„Das hat keinen Sinn, jetzt hier rumzuspekulieren. Ich hab gleich eine Sitzung, die kann ich leider nicht sausen lassen. Ruf Richard an. Wenn er rangeht, soll er Martin ausrichten, dass er sich umgehend bei mir melden soll!“, sagte Hanka energisch und legte auf.
Alena rief sofort bei Richard an. Ausgeschaltet. Sie schrieb ihm eine SMS, er möge sich bei ihr melden, und setzte drei Ausrufezeichen, die sie nach kurzem Überlegen wieder löschte und durch einen Smiley ersetzte; so würde er das Maß ihrer Sorge nicht mitbekommen. Sie vor Štěpán zu verbergen, hatte sie nicht vor. Sie wählte seine Nummer und konnte in sich kaum die nervöse Furcht bändigen, dass er nicht ans Telefon gehen würde. Er hatte jeden Tag mehrere Wahlkampfveranstaltungen, auf ihre Anrufe und Nachrichten reagierte er manchmal erst Stunden später. Diesmal hob er zum Glück sofort ab. Ehe er losredete, musste er sich räuspern.
„Ich wollte dich gerade anrufen.“
Seine Stimme war heiser, aber wie üblich beruhigend. Durch sie erschienen alle Hindernisse ohne Ecken und Kanten, als würde sie sie unter Wasser in einem Schwimmbecken sehen. Sie verließ sich auf ihren Mann. Genauso hatte sie sich einst auf sich selbst verlassen, aber diese Zeiten waren längst vorbei. Sie wusste nicht einmal mehr, wie sich das anfühlte: innere Sicherheit. Stattdessen hatte sie Štěpán. Er war die Stütze ihres Lebens, sie konnte alles bei ihm abladen, es erschütterte ihn nicht. Auch wenn sie sich manchmal fragte, ob es in seinem Leben nicht noch eine andere Frau gab. Eržika Tatarková, dieser Name tauchte manchmal in ihren Gedanken auf. Schnell floh sie immer wieder vor ihm, aber vergessen konnte sie ihn nicht.
„Wo bist du gerade?“, fragte sie.
„In Znojmo. Ich geh gleich was essen. Zu Hause alles in Ordnung?“
„Hast du mit Richard gesprochen?“
„Ich hab ihn angerufen, aber er geht nicht ran. Warum?“
„Ich glaube, er hat sein Telefon ausgeschaltet. Ich mach mir Sorgen.“
„Wenn unser erwachsener Sohn sein Handy mal abschaltet, dann bricht doch die Welt nicht zusammen, oder?“, sagte er ironisch.
„Er ist nicht in der Schule gewesen. Martin auch nicht. Die zwei haben sich irgendwo verkrochen.“
„Hast du schon mit Veronika gesprochen?“
„Das hab ich als nächstes vor.“
„Bestimmt weiß sie was von ihm. Und wenn nicht, dann ruf seine Kumpels an. Ein paar Nummern hast du doch, oder?“
Sie hatte zig Nummern. Mit krankhafter Sorgfalt notierte sie sich die Kontaktdaten aller Freunde und Mitschüler von Richard. So benahm sie sich schon jahrelang. Genau genommen seit dem Moment, als ihr erster Mann auf einer Landstraße bei Harrachov aus der Kurve gekommen war und innerhalb von Sekunden sein Leben und das ihrer gemeinsamen Tochter beendet hatte. Entsprechend dem Beschluss des Scheidungsrichters durfte er Johanka jedes zweite Wochenende abholen, aber Alena hatte sie ihm diesmal außerplanmäßig mitgegeben. Es herrschte Tauwetter und es war klar, dass schon in ein paar Tagen auf den Pisten im Riesengebirge kein Schnee mehr liegen würde. Johanka hatte sich dieses letzte Skiwochenende mit ihrem Vater regelrecht erbettelt. Seit der Zeit kam Alena keine Maßnahme übertrieben vor, nichts, was ihre Liebsten vor dem hinterlistigen Schicksal beschützen könnte. Štěpán kannte ihre Angststörung und hatte anfangs versucht, sie zu bekämpfen, allmählich war ihm aber klargeworden, dass gegen die Logik ihrer Phobien vernünftige Argumente nicht ankamen.
„Ich ruf dich gleich an, wenn die Versammlung vorbei ist“, versprach er und fügte eindringlich hinzu: „Vor allem keine Panik. Alles gut.“
In Gedanken wiederholte sie die zwei Wörter wie eine beruhigende Beschwörungsformel, während sie Veronikas Nummer wählte. Štěpán hatte recht, über ihren Sohn konnte niemand besser informiert sein als seine Freundin. Seine erste richtige Beziehung. Die drei oder vier Mädchen, die vorher durch sein Leben gehuscht waren, hatten keine Spuren hinterlassen, er redete auch nicht über sie. Von Veronika hingegen sprach er gern und mit Begeisterung. „Ich muss mir überhaupt keine Mühe geben, damit ich ihr interessant vorkomme. Sie nimmt mich so, wie ich bin. Und ich sie auch. Wir wollen uns nicht gegenseitig ummodeln. Ist doch super, oder?“ Alena nickte lächelnd und verspürte eine Traurigkeit. Die euphorische Phase der Beziehung, die ihr Sohn gerade durchlebte, konnte nicht ewig dauern. Die Verliebtheit würde früher oder später verfliegen, die Gefühle würden sich vielleicht vertiefen, aber gleichzeitig auch verkomplizieren. Das war immer so, alle Paare mussten da durch. Auch Alena und Štěpán.
„Ahoj, Alena hier. Stör ich?“
„Ahoj! Brauchst du was?“ Obwohl sie sich erst vor Kurzem aufs Duzen geeinigt hatten, bereitete das Veronika nicht die geringsten Schwierigkeiten.
„Ich kann Richard nicht erreichen. Weißt du, wo er ist?“
„Keine Ahnung.“
„Habt ihr euch gestritten?“
„Nein.“
„Wirklich nicht?“
„Ich schwör’s.“
„Hat er dich heute angerufen?“ Ihr fiel auf, dass das wie ein Verhör klang, und sie entschuldigte sich schnell. „Tut mir leid, dass ich dich nerve.“
„Überhaupt nicht, aber wenn ich nicht in zwei Sekunden im Seminar bin, krieg ich Ärger. Und der wird noch größer, wenn ich mit dem Telefon am Ohr da reinmarschiere.“
„Sag