Название | Die Residentur |
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Автор произведения | Iva Prochazkova |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783992002740 |
„Er war nur ein Jahr bei der Fahne“, sagte Viktor. „Statt zwei, wie’s damals eigentlich Pflicht war.“
„Alle, die studiert haben, waren nur ein Jahr bei der Armee. Schon vergessen?“
„Aber Chytil hat seinen Wehrdienst abgerissen, bevor er sein Wirtschaftsstudium angefangen hat. Und das war eher unüblich. Willst du wissen warum?“ Sein Blick deutete an, dass sie es wissen wollen sollte.
„Warum?“, fragte sie.
„Er hatte schon ein Studium hinter sich. Anfang der Achtziger hat er am MGIMO studiert.“
„Am Moskauer Institut für internationale Beziehungen?“
„1987 hat er dort seinen Abschluss gemacht. Damit geht er nirgendwo hausieren.“
„Er geht nirgendwo damit hausieren, aber du hast das ‚rein zufällig‘ auf der Party erfahren“, sagte sie schnippisch. „Wer hat’s dir gesagt?“
„Ach, so ’n Typ. Wir kennen uns von einer Norwegen-Reise, vor ein paar Jahren waren wir dort zusammen Lachse fischen. Besser gesagt, er hat gefischt, ich hab’s nur probiert. Wahnsinnig kalt isses gewesen.“
„Und wie heißt dein Typ?“
„Der Name spielt keine Rolle.“ Er ließ die Frage ins Leere laufen, genau wie sie es erwartet hatte. Immer schützte er seine Quellen. „Wichtig ist, dass er am MGIMO zu der Zeit seinen Abschluss gemacht hat, als Chytil dort angefangen hat zu studieren.“
„Dass ihr nicht schon in Norwegen auf das Thema gekommen seid?“
„In Norwegen haben wir nicht zusammen Wein getrunken. Außerdem hat’s Chytil damals für mich noch gar nicht gegeben. Hast du den etwa gekannt, bevor er sich ins Politgeschehen reingedrängelt hat?“
Helga schüttelte den Kopf. Je mehr sie darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr Viktors Information.
„Zu kommunistischen Zeiten in der Sowjetunion studiert … Auf einer Eliteschule für die zukünftige Nomenklatura … Das ist, glaube ich, nicht die allerbeste Reklame für einen EU-Parlamentskandidaten“, spekulierte sie laut.
„Er ist definitiv nicht der Einzige, der dort studiert hat. Manche prahlen sogar damit rum.“
„Aber Chytil hält sich bedeckt. Wie wohl seine Anhänger damit klarkommen, wenn sie’s rausfinden? Was meinst du?“
„Ich geh davon aus, dass sie nicht erfreut sind, dass sie’s aber auch nicht abschreckt“, urteilte Viktor nüchtern.
„Mich würde das definitiv abschrecken.“ Helga versetzte sich in Gedanken zurück in die Zeit ihrer Jugend in der ČSSR. Die Atmosphäre von Angst, Widerwillen und allgemeiner Frustration tauchte wieder vor ihr auf. Sie erinnerte sich an die Ohnmacht, die obligatorischen politischen Einstellungen und den Verlust der Selbstachtung bei praktisch jedem, den sie kannte. Sich selbst eingeschlossen. Sie hatte sich damals als Heuchlerin empfunden, schon allein, weil sie sich nicht offen auf die Seite einiger ehrenhafter Menschen gestellt oder vor vielen himmelschreienden Ungerechtigkeiten aus Furcht die Augen verschlossen hatte.
„Wenn ich potenzielle Chytil-Wählerin wäre, würde mich vor allem stören, dass er mir die Wahrheit verheimlicht hat. Zweitens fänd ich’s bemerkenswert, dass er überhaupt ans MGIMO wollte – zu einer Zeit, als die Sowjets von der absoluten Mehrheit bei uns als Besatzer gesehen worden sind – und vor allem, dass er’s auch noch geschafft hat, dort hinzukommen. Jeden haben die nämlich nicht genommen.“
„Und Chytils ehemalige Kommilitonen würden dich als seine Wählerin nicht interessieren?“, fragte Viktor. Nach dem Funkeln in seinen Augen zu urteilen, waren sie bei des Pudels Kern angelangt.
„Spann mich nicht auf die Folter. Was weißt du über sie?“
„Im selben Jahrgang mit ihm hat Jiří Rak studiert“, sagte er beiläufig, und als er sah, dass sie in ihrem Gedächtnis kramte, fügte er noch eine Fußnote hinzu: „Erfolgreicher Unternehmer.“
„Welche Branche?“
„Nanotechnologie.“
„Die boomt gerade“, sagte Helga. „Angeblich ist das eins der lukrativsten Geschäftsfelder überhaupt. Ich würde mal behaupten, der braucht sich keinen Kopf um seine Rentenhöhe zu machen.“
„Denk ich auch. Aber das ist für uns bei Weitem nicht so interessant wie die Tatsache, dass er der Sohn von einem anderen Rak ist …“ Er machte eine Pause und forderte sie mit seinem Blick auf, den Satz zu vollenden. Als er sah, dass keine Antwort kam, zückte er seinen Trumpf: „Von Svatopluk Rak, damals tschechoslowakischer Konsul in Moskau. Štěpán Chytil und Jiří Rak waren angeblich die besten Freunde.“
Helga brauchte einen Moment, bis ihr die Bedeutung des Gehörten komplett klar wurde. „Das ist keine schlechte Info“, musste sie zugeben. „Wie gehen wir damit um?“
„Weiß noch nicht.“
„Wenn ich mich recht erinnere, ist der Herr Konsul a. D. seinerzeit wegen Steuerhinterziehung, Korruption und Gott weiß was noch in die Mangel genommen worden. Angeblich hat er damals beim Anlagebetrug in Sachen Harvardské fondy mitgemischt.“
„Beweisen konnten sie ihm nie was.“
„Wenn du dir über deine ehemaligen Journalistenkollegen mal irgendein meinetwegen unbewiesenes krummes Ding von Rak senior vornimmst und gleichzeitig ganz ‚zufällig‘ Chytils Studium in Moskau und die Freundschaft zu Rak junior rauskommt, dann bleibt an ihm was hängen, und wenn er rein ist wie eine Lilie.“
„Ich glaub nicht, dass er rein ist wie eine Lilie. Keiner, der an dem Institut studiert hat, konnte absolut sauber bleiben. Auch Chytil nicht. Der weiß schon, warum er das mit dem Studium nicht rumposaunt. Ich kann bestimmt was über ihn ausgraben.“
„Bis zur Wahl sind’s nur noch ein paar Tage“, erinnerte ihn Helga.
„Die Nächte gibt’s auch noch“, wischte Viktor ihren Einwand beiseite. „Und wir haben die Freiwilligen. Die sollen Chytils Sponsoring mal gründlich unter die Lupe nehmen. Und ich guck mir das Geschäftsgebaren von Rak junior an, vor allem seine Exportaktivitäten.“
„Du denkst an Berührungspunkte mit dem Amt für Ein- und Ausfuhrkontrolle?“ Wieder einmal spürte sie Ehrfurcht vor Viktors Kombinationsfähigkeiten. „Du hast recht. Ein aufstrebender Geschäftsmann und ein einflussreicher Ministerialbeamter, das ergänzt sich super. Vor allem, wenn sie seit vielen Jahren befreundet sind.“
„Ist nur eine Vermutung, aber sie bietet sich an. Ich fang mal damit an, dass ich nach Liberec fahre. Dort an der Uni kenn ich einen, der sich mit Nanotechnologie beschäftigt. Von dem lass ich mich mal auf den neuesten Stand bringen.“
„Und ich nehm mir den Exkonsul vor. Ich treib alles auf, was sich finden lässt.“
„Ein Interview mit ihm ist, glaube ich, in der Politika erschienen. Ich weiß aber nicht mehr genau, wann das war. Das kann man sicher raussuchen. Falls nicht, dann ruf dort an und frag nach. Aber Vorsicht …“
„Na klar, ich erzähl denen einen vom Pferd.“
„Und lass Zora außen vor. Die soll sich auf konstruktive Themen konzentrieren.“
„Bis jetzt ist sie super, oder?“
„Spitze.“ Er nickte. „Und sie wird noch mehr brillieren, wenn über ihren Gegenspieler plötzlich ein Kübel mit seinem eigenen Dreck ausgekippt wird.“
Sie schwiegen, schauten sich an, bemühten sich, ihre Erregung im Zaum zu halten. Ihnen war klar, dass der Wahlkampf gerade seinen