Название | Die Clique |
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Автор произведения | Mary McCarthy |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783869152363 |
Man hätte das Fallen einer Nadel hören können, wie die Mädchen später einmütig bezeugten. Jede von ihnen hielt den Atem an. Dotties religiöse Skrupel waren einer neuen Besorgnis gewichen, welche die ganze Clique teilte. Das gemeinsame Wissen, dass Kay mit Harald »gelebt« hatte, erfüllte plötzlich alle mit einem Gefühl des Verbotenen. Sie blickten sich verstohlen in der Kirche um und stellten zum x-ten Male fest, dass weder Eltern noch irgendwelche älteren Personen anwesend waren. Das Abweichen vom Herkömmlichen, vor dem Gottesdienst noch so »herrlich«, kam ihnen jetzt unheimlich und unheilvoll vor. Sogar Elinor Eastlake, die sich voll Verachtung klarmachte, dass Unzucht nicht zu den Hindernissen gehörte, auf die im Gottesdienst angespielt worden war, erwartete beinahe, dass ein Unbekannter sich erheben und der Zeremonie Einhalt gebieten werde. Für sie bestand gegen die Ehe ein Hindernis seelischer Art: sie hielt Kay für eine rohe, gewissenlose, dumme Person, die Harald nur aus Ehrgeiz heiratete.
Alle Anwesenden glaubten jetzt, aus den Pausen und Betonungen in der Rede des Vikars etwas Ungewöhnliches heraushören zu können. Noch nie war ihnen das »dann sind sie nicht rechtens verheiratet« so nachdrücklich entgegen geschleudert worden. Ein hübscher, verlebt aussehender junger Mann mit kastanienbraunem Haar, der neben dem Bräutigam stand, ballte plötzlich die Faust und murrte vor sich hin. Er roch fürchterlich nach Alkohol und wirkte nervös. Während der ganzen Zeremonie hatte er die wohlgeformten kräftigen Hände geballt und wieder gestreckt und sich auf die schön geschnitten Lippen gebissen. »Er ist Maler, gerade erst geschieden«, flüsterte zu Elinors Rechten die hellblonde Polly Andrews, die zwar zu den Stillen gehörte, aber stets alles wusste. Elinor beugte sich vor und erhaschte auch sofort seinen Blick. Da ist jemand, dachte sie, der sich ebenso angewidert und unbehaglich fühlt wie sie. In seinem Blick lag tiefe, bittere Ironie, und dann zwinkerte er unmissverständlich zum Altar hinüber. Der Vikar, beim Hauptteil des Gottesdienstes angelangt, hatte es plötzlich sehr eilig, als sei ihm jetzt erst eingefallen, dass er noch einen Termin habe und daher mit diesem Paar so rasch wie möglich fertig werden wolle. Man merkte ihm geradezu an, dass es sich hier nur um eine Zehn-Dollar-Trauung handelte. Kay unter ihrem großen Hut schien von allem nichts zu spüren, aber Haralds Ohren und Hals hatten sich stärker gerötet, und seine Antworten, die er mit einer gewissen schauspielerischen Bravour gab, waren betont langsam und zwangen den Geistlichen wieder zu einem der feierlichen Handlung angemessenen Tonfall.
Das Paar neben dem Bräutigam lächelte verständnisvoll, als kenne es Haralds Schwächen, aber die Mädchen in ihren Bänken waren über die Ungezogenheit des Geistlichen empört und genossen den Sieg, den Harald in ihren Augen errungen hatte. Sie hatten vor, ihm dies bei der Gratulationsrunde auch zu sagen. Einige nahmen sich vor, mit ihren Müttern darüber zu sprechen, damit diese bei Dr. Reiland Beschwerde führten. Die Fähigkeit, sich zu entrüsten, das Vorrecht ihrer Klasse, war durch ihre Erziehung gleichsam in umgekehrte Bahnen gelenkt worden. Die Tatsache, dass Kay und Harald arm wie Kirchenmäuse leben würden, war keine Entschuldigung dafür, so dachten sie in ihrer Loyalität, dass der Geistliche sich so benahm, noch dazu in einer Zeit, da alle sich einschränken mussten. Sogar ein Mädchen aus ihren Kreisen hatte ein Stipendium in Anspruch nehmen müssen, um ihr Studium beenden zu können, und keiner dachte deswegen etwa schlechter von ihr. Polly Andrews blieb trotzdem eine ihrer liebsten Freundinnen. Sie waren, das konnten sie dem Geistlichen versichern, aus ganz anderem Holz als die Mädchen des vorigen Jahrzehnts: Unter ihnen war keine, die nicht vorhatte, im kommenden Herbst zu arbeiten, und sei es als Volontärin. Libby MacAusland hatte eine Zusage von einem Verleger. Helena Davison, deren Eltern in Cincinnati, ach nein, in Cleveland von den Zinsen ihres Einkommens lebten, wollte Lehrerin werden – sie hatte sich bereits einen Job in einer privaten Vorschule gesichert. Polly Andrews – Hut ab vor ihr – würde als Laborantin im Medical Center tätig sein. Dottie Renfrew war für das Amt einer Fürsorgerin bei einer Bostoner Behörde ausersehen. Lakey ging nach Paris, wo sie Kunstgeschichte studieren und sich auf einen höheren akademischen Grad vorbereiten wollte. Pokey Prothero, die zur Abschlussprüfung ein Flugzeug bekommen hatte, machte gerade ihren Pilotenschein, um jede Woche für drei Tage zur Cornell Agricultural School zu fliegen. Und zu guter Letzt hatte die kleine Priss Hartshorn, die Streberin der Clique, gestern gleichzeitig ihre Verlobung mit einem jungen Arzt mitgeteilt und dass sie einen Job bei der National Recovery Administration bekommen habe. Nicht schlecht, fanden sie, für eine Clique, die mit dem Stigma der Hochnäsigkeit durch das College gegangen war. Und auch sonst, in Kays weiterem Freundeskreis, gab es eine ganze Reihe Mädchen aus besten Familien, die eine Laufbahn im Geschäftsleben, in der Anthropologie oder Medizin anstrebten, nicht etwa weil sie es nötig hatten, sondern weil sie sich imstande fühlten, zum weiteren Aufstieg Amerikas beizutragen. Die Clique fürchtete sich auch nicht davor, als radikal zu gelten. Sie erkannte das Gute an, das Roosevelt leistete, was immer ihre Mütter und Väter auch sagen mochten. Sie fiel nicht auf Parteiprogramme herein und fand, man solle den Demokraten eine Chance geben, damit sie zeigen könnten, was sie auf dem Kasten hätten. Erfahrung war nur eine Frage des Durch-Fehler-klug-Werdens. Selbst die Konservativsten der Clique gaben schließlich zu, dass ein ehrlicher Sozialist ein Recht darauf habe, gehört zu werden.
Das schlimmste Schicksal aber wäre, befanden sie einmütig, so konventionell und ängstlich zu werden wie ihre Eltern. Nicht eine würde, wenn es sich vermeiden ließ, einen Börsenmakler, einen Bankier oder einen eiskalten Firmensyndikus heiraten, wie das so viele aus der Generation ihrer Mütter getan hatten. Lieber würden sie entsetzlich arm sein und sich von billigem Seelachs ernähren, als so einen öden, versoffenen Jüngling mit rotgeäderten Augen aus dem eigenen Milieu heiraten, der an der Börse arbeitete und sich nur für Squash und Trinkgelage im Racquet Club mit alten Studienfreunden aus Yale oder Princeton interessierte. Da täte man besser daran – jawohl, erklärten sie ohne Scheu, obgleich Mama leise lächelte –, einen Juden zu heiraten, wenn man ihn liebte. Manche Juden waren äußerst interessant und kultiviert, wenn sie auch schrecklich ehrgeizig waren und wie Pech und Schwefel zusammenhielten, wie man gerade in Vassar nur zu gut beobachten konnte: Wenn man sie kannte, so musste man auch ihre Freunde kennenlernen.
In einer Hinsicht allerdings machte sich die Clique ehrliche Sorgen um Kay. Es war irgendwie schade, dass ein so begabter Mensch wie Harald, der obendrein eine gute Erziehung besaß, sich ausgerechnet dem Theater zuwenden musste statt der Medizin, der Architektur oder der Museumsarbeit, wo das Fortkommen leichter war. Wenn man Kay reden hörte, war das Theater eine ziemliche Mördergrube, obgleich natürlich auch einige Leute aus guter Familie dazugehörten, wie Katherine Cornell, Walter Hampden (eine Nichte von ihm war im Abschlussjahrgang 1932) und John Mason Brown, der alljährlich in Mutters Club einen Vortrag hielt. Harald hatte kurze Zeit an der Yale Drama School unter Professor Baker studiert, doch dann kam die Wirtschaftskrise, und er hatte nach New York gehen müssen, um als Inspizient zu arbeiten, statt Stücke zu schreiben. Das war natürlich genauso, als diene man sich in einer Fabrik von der Pike hoch, wie das so viele Jungens aus guter Familie taten, und wahrscheinlich bestand kein Unterschied zwischen einer Theatergarderobe, wo lauter Männer im Unterhemd vor dem Spiegel saßen und sich schminkten, und einem Hochofen oder Kohlenbergwerk, wo die Männer ebenfalls im Unterhemd arbeiteten. Helena Davison hatte erzählt, dass Harald während des Gastspiels seiner Truppe in Cleveland seine Zeit damit verbracht habe, mit den Bühnenarbeitern und Beleuchtern Poker zu spielen, weil sie die Nettesten der ganzen Truppe seien; und Helenas Vater selbst hatte ihm nach dem Besuch des Stücks recht gegeben.