Paul Janes und die Fliege am Torpfosten. Michael Bolten

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Название Paul Janes und die Fliege am Torpfosten
Автор произведения Michael Bolten
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783895338618



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insgesamt fünf Länderspielen, die in jenem Jahr absolviert wurden. Deutschland spielte mit Kreß im Tor, Schütz und Weber als Verteidiger, Geiger, Leinberger und Knöpfle als Läufer, und im Sturm setzte Trainer Otto Nerz Albrecht, Sobek, Horn, Richard und Ludwig Hofmann ein. 52.000 Zuschauer kamen zum Spiel und sahen einen ungefährdeten 3:0-Erfolg der Deutschen. Alle Tore schoss der Dresdner Richard Hofmann, der zudem noch drei weitere Treffer erzielte, die aber vom österreichischen Schiedsrichter Braun nicht anerkannt wurden. Nach dem Schlusspfiff nahmen die Zuschauer die siegreichen Spieler auf ihre Schultern, und „im Triumphzug“ ging es in die Kabinen, berichtete der Hofmann-Biograf.14 Janes erlebte dieses Spiel und dessen spektakuläres Ende „vom billigen Stehplatz aus fiebernden Herzens“.15 Vielleicht ist ihm bereits zu dem Zeitpunkt in den Sinn gekommen, wie es wäre, selbst einmal auf den Schultern der Zuschauer vom Platz getragen zu werden.

      Abmeldung aus Küppersteg.

      ABSCHIED AUS KÜPPERSTEG

      Der Aufstieg in die 1. Bezirksklasse gelang Jahn Küppersteg zur Saison 1930/31, als Janes schon nicht mehr die grün-weißen Farben Jahns, sondern die rot-weißen der Fortuna trug. Denn Anfang November 1930 meldete sich Paul Janes bei seinem alten Verein mit folgenden Worten ab: „Unterzeichneter meldet sich mit dem heutigen Tage, dem 5.11.30, vom Turn- u. Spielverein ‚Jahn‘ Küppersteg ab. Grund: Wirtschaftliche Notlage.“16

      Damit „ging der Stolz und die Seele unserer Mannschaft“, heißt es zum Abschied des gerade einmal 18-jährigen Paul Janes in der Jahn-Chronik aus dem Jahre 1939.17 Leider liegt der Jahresbericht über das Jahr 1930 nicht vor, so dass die konkrete damalige Situation mitten in den Turbulenzen der Weltwirtschaftskrise nicht bekannt ist. Für Paul Janes spielte der Börsenkrach aus dem Jahr 1929 und dessen Folgen keine Rolle – wenigstens nicht in seiner Biografie. Im Vereinsbericht über das Folgejahr, das Aufstiegsjahr, ist die Rede von „einer Zeit größter Not. Wie jede Bewegung, so blieb auch unser Verein nicht ganz von den vielen Krisen verschont, und viele unserer Mitglieder sind heute ohne Arbeit.“18 Der Bericht wurde im Januar 1932 verfasst und verdeutlicht, welche Auswirkungen die Wirtschaftskrise in einer ehemals prosperierenden Region hatte.

      Da Paul Janes zum Zeitpunkt seiner Vereinsabmeldung nach wie vor in Lohn und Brot stand und er bei Munkel auch noch im Jahre 1931 beschäftigt war, erscheint die Begründung für den Vereinswechsel nicht schlüssig. Es ist davon auszugehen, dass Janes mit gewissen, damals zwar verbotenen, jedoch üblichen Zusatzleistungen nach Düsseldorf zur Fortuna geholt wurde. Denkbar ist auch, dass seitens der Fortuna Leistungen gegenüber dem abgebenden Verein versprochen wurden. Denn Jahre später, nämlich 1934, wurde die Fortuna von Jahn Küppersteg beim WSV angeklagt, um sie zu einem Privatspiel gegen den kleinen Verein aus Leverkusen zu verpflichten. Die Entscheidung des Gaurechtswarts zitierte das WSV-Organ „Fußball und Leichtathletik“ („FuL“) ausführlich: „Der Antrag stützt sich auf eine Abmachung aus März 1931. Nach eigenem Vortrag Jahns sollte die Austragung des Privatspiels die Gegenleistung sein für die Freigabe des damals von Jahn nach Fortuna abgewanderten Spielers Janes. Eine derartige Abmachung ist nichts anderes als ein getarnter Spielerkauf und daher nichtig. Ansprüche irgendwelcher Art können daher aus dieser Abmachung nicht hergeleitet werden.“19 Erst im Mai 1935 kam es zu einer freundschaftlichen Begegnung zwischen Jahn Küppersteg und Fortuna Düsseldorf. Die Düsseldorfer, die mit all ihren Stars antraten, siegten mit 4:1. Dieses Spiel und das damit verbundene Frühlingsfest mit Tanz bildeten laut Jahresbericht „das größte Ereignis des Jahres 1935“. Da der Vertragsabschluss mit dem Meister des Jahres 1933 laut Aussage der Küppersteger Funktionäre zu akzeptablen Bedingungen erfolgte, ergab sich „ein finanzieller Gewinn für den Verein.“20 So zahlten die Düsseldorfer doch noch eine Art Ablösesumme für Paul Janes, der weiterhin engen Kontakt zu seiner alten Heimatstadt unterhielt.

      DER WEG ZUM NATIONALSPIELER

      HOLPRIGER START IN DÜSSELDORF

      An einem nasskalten Tag im Herbst des Jahres 1930 fand ein Fußball-spiel auf dem alten Fortunaplatz im Düsseldorfer Stadtteil Flingern statt. Ein Spiel, bei dem das Ergebnis zweitrangig war, wie ein Sportredakteur der „Düsseldorfer Nachrichten“ („DN“) in einem Janes-Portrait aus dem Jahre 1937 feststellte.21 An jenem Tag trat eine Shell-Betriebsmannschaft aus Monheim zu einem Gastspiel bei den Düsseldorfer Kollegen an. Der Begriff Kollegen ist in diesem Fall recht weit gefasst, denn auf beiden Seiten kamen Gastspieler zum Einsatz – eine damals häufig angewandte Methode mit Vorteilen für beide Seiten: Die prominenten Gastspieler erhielten ein Handgeld oder eine vergleichbare Leistung. Im Gegenzug steigerten sie durch ihre Teilnahme die Attraktivität einer ansonsten nahezu bedeutungslosen Begegnung. Im Monheimer Dress spielte Paul Janes, bei den Düsseldorfern wirkten unter anderem zwei Fortunen mit, nämlich Torwart Willy Pesch und der Halblinke Heinrich „Heini“ Köhler. Außerdem verstärkte der spätere Fortune und Nationalspieler Stanislaus „Tau“ Kobierski, damals noch bei Turu Düsseldorf aktiv, das gastgebende Shell-Team.

      Die Spielweise des als Mittelläufer eingesetzten Janes’ fand Beachtung bei den Kiebitzen am Spielfeldrand – trotz der 0:3-Niederlage der Monheimer. Beim gemütlichen Beisammensein im Anschluss an die Partie begann sogleich das Werben um das 18-jährige Talent aus Küppersteg, so Janes in seiner Biografie: „Die Fortunaten fragten mich während des Essens, ob ich nicht geneigt sei, bei ihnen Fußball zu spielen. Ich könnte mir zunächst jedenfalls einmal den Trainingsbetrieb bei ihnen anschauen und an diesen für mich vielbedeutenden Trainingsstunden auch teilnehmen. Ich vermochte ihnen nichts anderes zu sagen, als zunächst einmal mit meinen Eltern zu sprechen. Denn bisher hatte ich meinen Heimatort Küppersteg nie verlassen. Es sei denn, dass wir Fußballspiele in Köln und Umgebung ausgetragen hatten.“22

      Selbstverständlich fiel Janes’ Talent auch weiteren Vereinen auf, und es gab den einen oder anderen Abwerbeversuch, doch der Küppersteger entschied sich für einen Wechsel rheinabwärts nach Düsseldorf. Wem die Fortuna dies letztendlich zu verdanken hat, ist nicht mehr herauszufinden. In Janes’ Biografie aus dem Jahre 1947 heißt es, dass Fortunas Trainer Heinz Körner bei seinen Eltern erschien und ihre Zustimmung zum Wechsel zur Fortuna erwirkte. Der Wiener Körner war zwar früher und auch in späteren Jahren als Coach bei der Fortuna tätig, nur von der Saison 1929/30 bis zum Abschluss der Saison 1930/31 hieß der Düsseldorfer Übungsleiter Otto Keßler. Wer auch immer die erfolgreiche Überzeugungsarbeit vollbrachte, ist letztendlich egal, denn das Ergebnis stimmte. Janes meldete sich noch im November 1930 polizeilich in Leverkusen ab und in Düsseldorf an. Dort zog er zunächst in die Mettmanner Straße 65. Seine Wohnung lag im Stadtteil Flingern, einem vorwiegend von Arbeitern, Handwerkern und kleinen Angestellten bewohnten Bezirk, und hatte einige Vorteile: Sie lag fußläufig zum Fortunaplatz und genauso günstig zum Hauptbahnhof.

      Janes absolvierte zunächst einige Spiele mit der zweiten und dritten Mannschaft und gehörte Weihnachten 1930 zum ersten Mal zur ersten Mannschaft.23 Es ging zur Turu, dem Lokalrivalen aus Düsseldorf-Oberbilk, und Keßler ließ den jungen Janes als Halbrechten spielen, der später dazu anmerkte: „Trotz der ungewohnten Position fand ich mich dennoch gut zurecht und schoss auf Vorlage des neben mir stürmenden Angriffsführers Georg Hochgesang das zweite Tor. Mit 2:0 gewannen wir auch. Dieses zweite Tor verschaffte mir zwar kein Dauerabonnement in der Mannschaft. Aber immerhin: Ich hatte mich bewährt und wurde jetzt häufiger herangezogen.“24 Außenstehende trafen eher zurückhaltende Bewertungen seiner Leistung an jenem Weihnachtstag. Janes zeigte zwar einige „Kabinettstückchen“ und erzielte ein „Bombentor“, doch das zusammenfassende Urteil des „DN“-Reporters lautete: „zu kalt, zu temperamentlos, nicht beweglich genug für den Sturm“.25

      Als Paul Janes an Weihnachten 1930 zum ersten Mal die rot-weißen Farben von Fortunas erster Mannschaft trug, spielte er drei Klassen höher als zuletzt in Küppersteg. Fortuna Düsseldorf gehörte seit der Saison 1922/23 ununterbrochen der höchsten Spielklasse an – ob sie nun Gauliga, Bezirksklasse oder Bezirksliga genannt wurde. Der Aufschwung der Mannschaft ab Mitte der 1920er Jahre war eng mit dem Wirken ihres 1924 verpflichteten Trainers Heinz „Krczal“ Körner verbunden.