Das Bildnis des Dorian Gray. Oscar Wilde

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Название Das Bildnis des Dorian Gray
Автор произведения Oscar Wilde
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726619256



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— hatten eine geheime Saite berührt, die nie vorher berührt worden war, die er aber jetzt in rätselhaften Schlägen schwingen und zittern fühlte.

      Musik hatte ihn so erregt. Musik hatte ihn oft verwirrt. Aber Musik war Dumpfheit des Gefühls. Was sie in uns schuf war nicht etwa eine neue Welt, sondern ein zweites Chaos. Worte! Nichts als Worte! Wie furchtbar waren sie! Wie klar, wie lebendig, wie grausam! Man konnte ihnen nicht entrinnen. Und doch, welche feine Magie lag in ihnen! War es nicht, als vermochten sie dem Gestaltlosen Gestalt zu geben und ihre Melodie in sich selbst zu tragen, süss wie die der Viola oder der Laute. Nichts als Worte! Was war wirklicher als Worte?

      Ja; es hatte Dinge in seiner Kindheit gegeben, die er nicht verstanden hatte. Jetzt verstand er sie. Das ganze Leben wurde plötzlich feuerfarben. Es schien ihm, er sei durch Feuer gegangen. Warum hatte er es nicht gewusst?

      Mit seinem feinen Lächeln beobachtete Lord Henry ihn. Er kannte genau den psychologischen Moment, wann er schweigen musste. Er war ganz Aufmerksamkeit. Der plötzliche Eindruck, den seine Worte hervorgerufen hatten, überraschte ihn. Ein Buch fiel ihm ein, das er mit sechzehn Jahren gelesen, das ihm damals viel enthüllt hatte, was er nicht wusste, und er fragte sich, ob Dorian etwas Ahnliches erlebe. Er hatte lediglich einen Pfeil ins Blaue geschossen. Hatte er ins Schwarze getroffen? Wie faszinierend der Junge war!

      Hallward malte und malte mit seinem wunderbar kühnen Strich, der jene echte Feinheit und vollendete Zartheit hatte, die, in der Kunst wenigstens, nur aus der Stärke kommt. Er hatte das Schweigen nicht einmal bemerkt.

      „Basil, ich bin müde“, rief Dorian Gray auf einmal. „Ich muss hinaus und im Garten sitzen. Die Luft ist drükkend hier.“

      „Mein lieber Junge, das tut mir leid. Wenn ich male, kann ich an nichts andres denken. Aber du bist nie besser Modell gestanden. Du warst vollkommen still. Und ich habe den Zug eingefangen, den ich brauchte — die halbgeöffneten Lippen und den Glanz in den Augen. Ich weiss nicht, was dir Harry vorerzählt hat, aber er hat jedenfalls den wunderbarsten Ausdruck in dein Gesicht gebracht. Wahrscheinlich hat er dir Komplimente gemacht. Du darfst ihm nicht ein Wort glauben.“

      „Er hat mir alles andere als Komplimente gemacht. Vielleicht ist das der Grund, warum ich ihm kein Wort glaube.“

      „Sie wissen, dass Sie jedes Wort glauben“, sagte Lord Henry und sah ihn mit seinen verträumten, schmachtenden Augen an. „Ich will mit Ihnen in den Garten hinausgehen. Es ist schrecklich heiss im Atelier. Basil, lass uns irgendein eisgekühltes Getränk bringen, etwas mit Erdbeeren darin.“

      „Gewiss, Harry. Klingle nur, bitte, und wenn Parker kommt, werde ich ihm sagen, was du möchtest. Ich muss noch diesen Hintergrund fertig malen, ich komme euch dann nach. Halte Dorian nicht zu lange zurück. Ich war nie in besserer Verfassung zum Malen als heute. Dieses Bild wird mein Meisterwerk. Es ist es schon, so wie es jetzt dasteht.“

      Lord Henry ging in den Garten hinaus und fand Dorian Gray mit dem Gesicht in die grossen, kühlen Fliederblüten vergraben und ihren Duft wie Wein fieberisch einsaugend. Er ging ganz nahe an ihn heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Sie haben recht, das zu tun“, murmelte er. „Nichts vermag die Seele zu heilen als die Sinne, sowie nichts die Sinne heilen kann als die Seele.“

      Der Jüngling schrak zusammen und trat einen Schritt zurück. Er war barhäuptig, und die Blätter hatten seine rebellischen Locken durcheinandergebracht und ihre goldenen Fäden verwirrt. Ein Ausdruck von Furcht war in seinen Augen, wie ihn Menschen haben, die unversehens geweckt werden. Seine fein geschwungenen Nasenflügel bebten, und ein verborgener Nerv erschütterte den Scharlach seiner Lippen und liess ein Zittern darauf zurück.

      „Ja,“ fuhr Lord Henry fort, „das ist eines der grossen Geheimnisse des Lebens — die Seele durch die Sinne zu heilen und die Sinne durch die Seele. Sie sind ein wunderbares Wesen. Sie wissen mehr, als Sie ahnen, gerade wie Sie weniger wissen, als Sie möchten.“

      Dorian Gray runzelte die Stirne und wandte den Kopf ab. Er konnte nicht anders, als sich zu dem schlanken, anmutigen jungen Manne hingezogen fühlen, der neben ihm stand. Sein romantisches Gesicht mit der Olivenhaut und dem müden Ausdruck fesselte ihn. Es war etwas in seiner leisen, wohlklingenden Stimme, dem man einfach nicht widerstehen konnte. Selbst seine kühlen, weissen, blumenhaften Hände hatten einen eigenen Zauber. Sie bewegten sich, während er redete, wie Musik und schienen eine besondere Sprache zu haben. Aber er fürchtete sich vor ihm und schämte sich doch dieser Furcht. Warum war es einem Fremden überlassen geblieben, ihn sich selbst zu enthüllen? Er kannte Basil Hallward seit Monaten, aber diese Freundschaft hatte nichts in ihm verändert. Und nun war auf einmal jemand in sein Leben getreten, der ihm das Geheimnis des Lebens offenbart zu haben schien. Und doch, wovor sich fürchten? Er war kein Schulknabe und kein Mädchen. Es war sinnlos, Furcht zu haben.

      „Setzen wir uns doch in den Schatten“, sagte Lord Henry. Parker hat die Getränke gebracht, und wenn Sie noch länger in dieser prallen Sonne bleiben, so werden Sie sich den Teint verderben, und Basil wird Sie nie mehr malen. Sie dürfen sich wirklich keinen Sonnenbrand holen. Es stünde Ihnen nicht.“

      „Was läge daran?“ rief Dorian Gray lachend, indem er sich auf die Bank am Gartenende niederliess.

      „Es sollte Ihnen alles daran liegen, Herr Gray.

      „Warum?“

      „Weil Sie die wundervollste Jugend haben, und Jugend das einzige ist, was zu haben sich lohnt.“

      „Ich empfinde das nicht, Lord Henry.“

      „Nein, heute empfinden Sie es noch nicht. Später einmal, wenn Sie alt und runzlig und hässlich sein werden, wenn das Denken Ihre Stirn gefurcht und die Leidenschaft mit ihrer höllischen Glut Ihre Lippen gebrandmarkt hat, werden Sie es furchtbar empfinden. Heute bezaubern Sie die Welt, wohin immer Sie gehen. Wird es stets so sein? . . . Sie haben ein wunderbar schönes Gesicht, Herr Gray. Runzeln Sie nicht die Stirne. Es ist wahr. Und Schönheit ist eine Form von Genie — ja etwas Höheres als Genie, da sie keiner Erklärung bedarf. Sie ist eine der grössten Tatsachen dieser Welt, wie das Sonnenlicht oder der Frühling oder im dunklen Wasser das Spiegelbild jener Silberschale, die wir Mund nennen. Sie kann nicht in Frage gestellt werden. Sie hat das göttliche Recht der Herrschaft. Sie macht Fürsten aus allen, die sie besitzen. Sie lächeln? Ah, wenn Sie sie erst verloren haben, werden Sie nicht mehr lächeln. . . . Es heisst manchmal, Schönheit sei nur oberflächlich wie das Denken. Für mich ist Schönheit das Wunder der Wunder. Nur seichte Leute urteilen nicht nach dem Schein. Das wahre Mysterium des Lebens ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare . . . Ja, Herr Gray, die Götter sind gnädig gegen Sie gewesen. Aber was die Götter geben, nehmen sie rasch zurück. Sie haben nur ein paar Jahre, in denen Sie wirklich, voll und vollkommen, leben können. Wenn Ihre Jugend dahingeht, wird Ihre Schönheit mit vergehen, und dann werden Sie plötzlich entdecken, dass keine Triumphe mehr für Sie da sind, oder Sie werden sich mit jenen niedrigen Triumphen begnügen müssen, welche die Erinnerung an Ihre Vergangenheit bitterer machen wird, als Niederlagen. Jeder Monat bringt, indem er hinschwindet, Sie etwas Furchtbarem näher. Die Zeit ist eifersüchtig auf Sie und führt Krieg gegen Ihre Lilien und Rosen. Sie werden gelb werden, hohlwangig und stumpfäugig. Sie werden grauenvoll leiden . . . Ah! Werden Sie sich Ihrer Jugend bewusst, solang’ sie Ihnen gehört. Verschwenden Sie nicht das Gold Ihrer Tage, indem Sie den Langweiligen zuhören, hoffnungslos Missgeborene zu bessern suchen oder Ihr Leben an Unwissende, Gewöhnliche und Gemeine wegschenken. Das sind die krankhaften Ziele, die verkehrten Ideen unserer Zeit. Leben Sie! Leben Sie das wundervolle Leben, das in Ihnen ist! Lassen Sie sich nichts entgehen! Seien Sie immer auf der Suche nach neuen Sensationen. Fürchten Sie sich vor nichts . . . Ein neuer Hedonismus, das ist es, was unser Jahrhundert braucht. Sie könnten sein sichtbares Symbol sein. Mit einer Persönlichkeit wie der Ihren darf man alles. Die Welt gehört Ihnen für einen Lenz . . . Den Augenblick, als ich Sie traf, sah ich, dass es Ihnen noch nicht zum Bewusstsein gekommen ist, was Sie wirklich sind, was Sie sein könnten. Aber es war so viel in Ihnen, was mich entzückte, dass ich fühlte, ich müsse Ihnen etwas über Ihr wirkliches Selbst sagen. Ich dachte, wie ewig schade es wäre, wenn Sie verschwendet würden. Denn Ihre Jugend wird ja nur so kurz dauern — so schrecklich kurz. Die gewöhnlichen Wiesenblumen verwelken, aber sie blühen wieder. Der