Jockele und seine Frau. Max Geißler

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Название Jockele und seine Frau
Автор произведения Max Geißler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711467749



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Do ganz in Weiss, Gwendolin in Gelb — und brachten den Menschen, die sie vom Ufer aus sahen, den jauchzenden Glauben bei, dass nun der Frühling in vollem Gange wäre.

      „Jockele,“ sagte Gwendolin, „es ist furchtbar nett und delikat von euch, dass ihr vor der Mitwelt nicht ewig das Schauspiel der jungen Hochzeiter aufführt.“

      „Der Mensch kann schliesslich nicht alles auf einmal tun,“ sagte Jockele. „Jetzt bin ich dabei, mir Quasen an die Hände zu rudern — siehste nich?“

      Und: „Was meinst du, Jo — ist es nicht so herrlich und tatenreich hier, dass wir bis in den Herbst bleiben müssen?“ fragte Frau Doris.

      „Ich habe allbereits den gleichen Wunsch,“ sagte Jo. „Es ist gut, dass ich meine Mikroskope eingepackt habe. Ich werde also versuchen, mein Werk über ‚die Flechten‘ dem Abschluss nahezubringen. Später — etwa im Riesengebirge — will ich es vollenden. Und zweitens werde ich eine ‚spezielle Naturgeschichte der europäischen Froschlurche‘ in Angriff nehmen. Es ist da eine Lücke in der Literatur.“

      „Die Sache mit den Fröschen ist etwas Neues,“ warf Do überrascht ein.

      „Ja. Der Gedanke dazu ist mir in diesem Boote gewachsen.“

      „Indes werde ich mich mit der speziellen Naturgeschichte der ‚Sturmschwalben‘ beschäftigen,“ sagte Do mit bedeutendem Lächeln.

      „Hm,“ scherzte Jockele, „hm — ich werde also darüber nachdenken, ob sich eine so junge Frau dem praktischen Studium dieses Objektes ohne Gefahr aussetzen darf.“

      „Nun,“ rief Gwendolin in fröhlichem Verstehen, „man könnte ja im Notfalle dies gefährliche Studium durch eine jähe Abreise unterbrechen.“

      Henrik Tofte wurde ganz still vor dem Glück, das mit ihm im Boote sass. Er dachte, es ahnte niemand, welch ungeheure Erlebnisse diese liebliche Fahrt in ihn warf.

      Aber Gwendolin wusste es doch; denn Henrik Tofte war für sie nie beredter als in seinem Schweigen. Sie sah heimlich zu ihm hinüber und erkannte: das Glück dieser klaren und aufrechten Menschen nahm sein liebes und unstetes Herz in beide Hände und hielt es tief hinein in die Sonne. Und Henrik träumte das Märchen: es würde nie mehr ein Sturm durch dies Herz laufen. Ach, es war ein wunderschöner Traum!

      „Weisst du, Jo,“ begann Do nach einer Weile, „es wäre wohl gut, wir liessen uns zu unserem Vorhaben ein gemeinsames Laboratorium von drei kleinen Zimmern auf der Insel errichten.“ Darüber zog der Doktor die Ruder ein, und Henrik Tofte trieb das Boot mit leisen Schlägen voran. „Nun, einesteils zum Arbeiten, andernteils zu unserer Bequemlichkeit; drittens als ein heimeliges Nest für ‚Sturmschwalben‘, die nach uns auf der Osterinsel hausen möchten und unser dabei freundlich gedenken können; und viertens: wir verbessern damit der eifrigen Nane Thord ihre wirtschaftliche Lage. Was meinen Sie zu diesem Plane, lieber Doktor Jockele?“ fragte Do.

      Dem langen Henrik schauerte das Glück immer tiefer in sein grundgütiges Herz. Er liess die Ruder aus den Händen gleiten und vergass zu atmen — wie Lottchen, als es den ersten Christbaum sah.

      Er dachte nicht daran, dass man ihn auf solchen weichen Regungen des Gemüts ertappen könnte. Es focht ihn überhaupt nicht an, was man ihm bei seinem eichbaummässigen Wuchs als Schwäche aufrechnete. Pah — in diesem Hünenkörper flossen so viel Sanftmut und Gewaltart, so viel Allmacht und Unmacht, so viel Genie und Hilflosigkeit ineinander — der Teufel mochte dies Wirrsal ausfitzen! Haha, der Teufel! Als ob der ein Interesse daran gehabt hätte, dies wunderliche Stück Dasein, das man Henrik Tofte nannte, anders zu machen! Just so, wie er war, war er ihm herrlich verfallen. „Auf meinen Feingehalt kannst nur du mich läutern, Gwendolin Vogelgesang!“ hatte er an einem Winterabend zu ihr gesagt, als sie miteinander bei der Feuerstelle gesessen und dem Schneesturme gelauscht hatten.

      Nun, die Gwendolin hatte schon vor vier Jahren felsensicher auf sich selber gestanden — damals, als Jung-Jockele an ihr in den purpurroten Untergang geriet und am anderen Tage der Do gelobte: „Diese Gwendolin werde ich heiraten; sie ist ein süsses und heisses Mädel ...“

      Aber im Falle Henrik Tofte fehlte ihr das Vertrauen zu ihrer Kraft.

      Jockele, der sich die Quasen unter der ungewohnten Tätigkeit nun errungen hatte, stieg nach vorn und setzte sich den Damen gegenüber. Sie besprachen den Plan. Do hatte die Sache ausgezeichnet bedacht. Der kleine Neubau sollte an die Westseite der Fischerhütte kommen, dem Krakesaal entgegengesetzt. Auf ein paar Stiegen sollte man von aussen hineingehen, aber man sollte durch Nane Thords Flur auch zum Saale gelangen können. Und es sollte alles stilecht aus Blockholz errichtet werden, und mit einem Rasendache.

      Henrik Tofte ruderte sich darüber im Grunde genommen in tiefe Zwiespältigkeit. Aber er dachte, dieser Tag wäre die Glückseligkeit selber und wäre für ihn die Schwelle zu einem neuen Leben. Ja, solch ein Mensch war er nun!

      Es fehlte auf der Leiter der Affekte, die die guten und schlimmen Mächte in ihn hineingestellt hatten, das Satansgeschenk des Neides. Dafür war bei den Übermassen seiner sonstigen Gaben offenbar kein Platz mehr gewesen. Und nicht vergeblich hatte für ihn das Doppelgestirn Do und Jo lange Winternächte hindurch im Haus auf der Insel geschienen — das hatte die berechnende Sorge Gwendolins getan. Nun fand er in diesen beiden alles, was ihm zu wünschen blieb.

      Er fing das Wünschen auf dieser Bootfahrt überhaupt zum erstenmal an. Denn was er bis zur Stunde an anderen Menschen wahrgenommen, das besass er selber in Hülle und Fülle. Sogar Geld, so viel er wollte. Früher hatte er sich auch darum den Teufel gekümmert. Aber seit ihm das Schicksal James und Johnny gesandt — eine Berliner Sturmschwalbe hatte sie in scharfem Spotte „die beiden Jötter“ genannt — seitdem hatte er auch davon mehr, als nötig war. Er brauchte nur den Pinsel in sein Genie zu tunken und — er vermöchte in einem Jahre die gesamte Kulturwelt mit Begeisterung für ihn zu übermalen, behauptete Gwendolin. Und die musste das wissen. Sie war ihm eine strenge Richterin. Aber er fühlte dazu — als ein richtiges Genie — nicht das Bedürfnis. Na, und wenn schon! Was hätte denn das alles zu sagen gehabt gegen die Taten des einzigen Menschen Jockele? Was denn? Dieser Jockele hatte sich geboren werden lassen in eine Sommernacht mitten im thüringischen Bergwald. Dann hatte er sich von der Zigeunerin, die seine Mutter war, auf die Schwelle der gütigsten, sehnsüchtigsten und weisesten Tante Veronika legen lassen. Diese Tante setzte sich von Stund’ an mit all ihrer Weisheit und ihrem Gelde für ihn ein. Und so früh es nur anging, nahm ihn das Schicksal auf wie einen goldenen Ball und warf ihn schönen oder klugen Mädchen zu, die ihn mit geschickten Händen fingen. Als die letzte hatte sich dies Schicksal Doris Rinkhaus aufgehoben. Die war ausgemachtermassen so etwas wie die Krone unter den Frauen. Ja. War es denn anders möglich, als dass bei solch einem Lebenswandel der Zigeunerbub in ein paar Jahren sogar ein Doktor hiess? Und dass er nun — acht Tage nach seiner Hochzeit mit der gescheitesten Frau der Welt — im Boote den Hardanger Fjord entlangglitt und mit Do die Wohltaten erwog, die sie ihm und den Sturmschwalben angedeihen lassen wollte? Wenn diese beiden morgen nach Ägypten und in ein paar Tagen nach Hinterindien fahren wollten, so fuhren sie — das Schicksal würde nicht das mindeste dagegen einwenden.

      Jawohl, Nührung und Freude weinte das lange Genie über diesen Erwägungen an die Ränder seiner Augen. So sah es nun in Henrik Tofte aus! In jeden Gedanken drängte sich der Begriff des Schicksals. Schicksal war das einzige Ding, vor dem der Riese auf der Osterinsel Respekt hatte — das heisst: wenn man Gwendolin Vogelgesang abrechnete. Schicksal — damit liess sich doch noch etwas anfangen! Aber bloss mit Genie? Pah! — Henrik Tofte war ein Fatalist.

      Das Leben der Sturmschwalben, die in jenem Frühling auf der Insel im Hardanger Fjord zusammengeflogen waren, war äusserlich wohl sehr arm an Ereignissen. Es war von der Art, welche Menschen aus dem Durchschnitt „grässlich langweilig“ finden. Wie es denn die einzige Eigentümlichkeit solcher Durchschnittsleute ist, jede Stunde fad und abgegriffen zu machen, in die sie treten. Von dieser Gattung kamen auch etliche. Sie flogen herzu, weil sie sich draussen in den Ländern hatten davon erzählen lassen. Genau so, wie Do und Jo durch Hanna von Fellner von der gastlichen Stätte erfahren hatten und neugierig geworden waren. Und da diese Wandervögel nicht fanden, was sie erwarteten, zogen sie rasch wieder fort.