Название | Das armenische Tor |
---|---|
Автор произведения | Wilfried Eggers |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783894257613 |
»Das ist meine Telefonnummer!« Schlüter schnappte nach Luft. Also doch, dachte er.
»Klar. War nur rhetorisch, die Frage. Wissen wir ja. Das kriegen wir grad noch raus. So dämlich sind wir nicht. Noch nicht.«
»Aber das ist nicht meine reguläre Nummer. Diese hier steht nicht im Telefonbuch. Das ist unsere Leitung, auf der wir nach draußen telefonieren.«
»Ist uns auch nicht neu.«
»Die muss einer aufgeschrieben haben, den ich schon mal angerufen habe, der hat meine Nummer auf seinem Display gesehen und abgeschrieben. Die steht nirgendwo.«
Schlüter fühlte, wie sein Blutdruck verrücktspielte. Er hatte plötzlich Schlieren vor den Augen, als würde er gleich die Besinnung verlieren.
»Wenn der das war …«, brachte er heraus.
Staschinskys Brauen führten einen Tanz auf.
Die Schlieren zogen sich zurück. Schlüter berichtete von dem mysteriösen Telefonat von Freitagabend, das so plötzlich unterbrochen worden war.
»Wann war das?«
Schlüter überlegte. »Neunzehn Uhr fünfunddreißig. Stand auf meinem Telefondisplay, als ich aufgelegt hatte.«
»Brav«, lobte Staschinsky. »Solche Zeugen wünschen wir uns. Bei uns ist nämlich ein Notruf eingegangen. Um neunzehn Uhr achtunddreißig am Freitagabend. Von einem der Gäste in diesem sogenannten Restaurant. Er habe einen Schrei gehört. Einen Hilferuf. Auf Englisch. ›Help!‹ Gibt ja noch aufmerksame Zeitgenossen. Ist etwas mit Ihnen?«
»So eine Scheiße«, murmelte Schlüter und klemmte seinen Kopf zwischen die Fäuste. Es sauste in seinem Schädel. Seine Hände zitterten.
Staschinsky verschwand hinter seinem Schreibtisch. Es raschelte. Als er wiederauftauchte, hielt er eine Flasche Kognak und ein schmieriges Glas in der Hand, schenkte ein und stellte es Schlüter unter die Nase.
»Notfalltropfen. Bitte.«
Schlüter goss den Kognak in die Kehle.
»Ein Mandant?«, fragte Staschinsky.
»Bestimmt nicht«, krächzte Schlüter. »Ich habe zurzeit keine Englisch sprechenden Mandanten.«
»Aber er wollte zu Ihnen.«
»Das schon. Vielleicht hat er die Nummer von einem meiner Mandanten. Oder von einem Gegner. Mitunter telefoniere ich auch mit Gegnern.«
»Hatte er einen Akzent?«
Der Anrufer habe ein Englisch gesprochen wie die Queen, wenn sie das neue Regierungsprogramm vortrug. Gefühlt akzentfrei. Jedenfalls habe er, Schlüter, diese Stimme nie zuvor gehört.
Staschinsky reckte die Schultern und nahm Schlüters Bericht auf, indem er laut vorlas, was er mit seinen zwei Fingern geschrieben hatte.
»Stimmt so?«, fragte er abschließend und begann mit den Korrekturen.
Schließlich druckte er das Geschriebene aus und ließ Schlüter unterschreiben.
»Verbindlichsten Dank«, sagte Staschinsky und erhob sich.
Dann setzte er sich wieder. »Weil wir so schön beisammensitzen. Ich frage Sie mal was. Sie wissen, dass ich das nicht darf.« Er öffnete den Ordner ein zweites Mal und zog eine weitere Klarsichtfolie hervor. »Hier. Dieser Zettel. Den haben wir im Gebüsch gefunden. Nass und zerrissen. Ein Fetzen nur. Sagt Ihnen das was?«
Ein Stück von einem groben Blatt Papier, zerknittert, etwa ein Fünftel eines normalen Bogens. Vergilbt. Und bedruckt. Mit merkwürdigen Zeichen.
Buchstaben einer fremden Schrift?
»Sehen aus wie kleine Krückstöcke. Kommt mir vor, als hätte ich so was schon einmal gesehen. Weiß ich aber nicht.«
»Na egal, das kriegen wir noch raus. Ich frage nachher gleich mal im Übersetzungsbüro nach, bei dem Demirkan, der hilft sicher weiter.« Dieses Dokument sei vermutlich dem Ermordeten zuzuordnen. Man werde es weiter untersuchen.
Staschinsky heftete die Klarsichtfolie wieder in seinen Ordner und wollte ihn zuklappen.
»Halt!«, rief Schlüter. »Was ist das?«
»Was?«
»Na, der Zettel da.«
Staschinsky folgte Schlüters Blick. »Ach, der. Ja. Haben wir in der äußeren Jackentasche gefunden, war nur eine Papierkugel. Wollen Sie das sehen?«
Er heftete die Folie aus und schob sie Schlüter hinüber. Schlüter sah ein längliches Stück Papier, oben und unten winzige Perforationszähne. Darauf eine fremde Schrift, eine andere, mikroskopisch klein, und oben mittig gesetzt und etwas größer ein Schriftzug, ungefähr so:
»Die Krümel da sind arabische Schrift, schätze ich. Deshalb hatte ich die originelle Idee, dass der Mann Ausländer ist. Äh, war.«
»Sieht wie eine Quittung aus«, bemerkte Schlüter. »Dem Format nach zu urteilen.«
»Die reinste Zettelwirtschaft«, meinte Staschinsky und verstaute die Hülle wieder in seinem Ordner.
Ein Zettel mit arabischer Schrift in der Tasche eines Toten, der akzentfreies Englisch gesprochen hatte. Und ein zweiter Zettel mit einer unbekannten Schrift. Ein dritter mit der Telefonnummer von Schlüters Büro.
»Ein Brite mit arabischen Wurzeln?«, mutmaßte Schlüter.
»Das kriegen wir raus.«
Das schien der Lieblingsspruch des Polizisten zu sein.
Staschinsky erhob sich. »Dann werden wir wohl ins Kühlhaus müssen«, erklärte er. »Haben Sie Zeit?«
»Muss ich?«, fragte Schlüter. Ob der Tote noch leben könnte, wenn ich sofort gesagt hätte, er soll kommen, dachte er. Er hat ins Telefon gekeucht, er war weggelaufen und aus der Puste, und er hat voller Angst auf meine Antwort gewartet, ist vielleicht sogar stehen geblieben, denn wer kann telefonieren, wenn er um sein Leben rennt? Einen Moment nur, während ich nach dem vermaledeiten Terminkalender gesucht und mich umständlich bis zum nächsten Montag durchgeblättert habe, und das nur, weil das verfluchte Leseband nicht eingelegt war – und dann hat ihn der Mörder erwischt. Zufälle, die über ein Leben entscheiden, Sekunden, die verstrichen waren, wertvolle Fluchtsekunden, die ein Bürokrat namens Schlüter verschwendet hatte. Denn die andere Stimme, das musste der Mörder gewesen sein. Der Gedanke war ein Schlag mit der Peitsche.
Das Glas war wieder voll.
Staschinsky wartete, bis Schlüter getrunken hatte. »Zur Sicherheit. Nicht auszuschließen, dass Sie ihn kennen. Der Mann liegt im Krematorium. Er kommt heute noch zur Gerichtsmedizin nach Hamburg.«
Schlüter hustete und erhob sich. Er kam sich so alt vor, wie er war. Der Alkohol verbreitete Wärme im Gedärm.
Staschinsky sah auf seine Uhr, ziemlich lange.
»Rechnen Sie aus, wann Sie in Pension gehen, oder was?«, krächzte Schlüter.
»Ich gebe Ihnen nie wieder Schnaps, Sie Sadist!«
»’tschuldigung. Ist Galgenhumor. Geben Sie mir noch einen.«
Staschinsky sah Schlüter prüfend an. »Können Sie dann noch gucken?«
»Und wie!«
Gemeinsam gingen sie am Pförtner vorbei, dessen Blick nicht weniger misstrauisch war als vorhin. Sie nahmen den Dienstwagen des Polizisten. Schlüter dachte, jetzt sehe ich aus wie verhaftet. Bin ja auch fast blau.
Sie fuhren durch verwinkelte kopfsteingepflasterte Wohnstraßen und landeten nach einigen Minuten