Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué. Friedrich de La Motte Fouque

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Название Gesammelte Werke von Friedrich de la Motte Fouqué
Автор произведения Friedrich de La Motte Fouque
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027207022



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an, und riß ihn heftig vor dem magischen Glase zurück.

      Und auf der geheimnisreichen Fläche wogte es, und dunkelte es, wie ein ungeheures Meer, wie ein Schaffen, das noch in den ersten Regungen begriffen sei, und nur unversehens, aller schonenden Hüllen beraubt, hervorgerissen werde an den Tag, davor es sich abscheulich entsetze, und sich ineinanderkräusle zu allerhand Ungestalten des Abgrunds. Bertha wollte es wieder mit dem Vorhang verhüllen, aber so, wie sie nur die zitternde Hand erhub, fing das Drehen und Wirbeln einen zwiefach grimmigen Kreislauf an, und sie blieb entsetzt, und festgebannt, und zweifelnd stehen. Endlich trat eine Menschengestalt in dem Spiegel hervor, aber sie war sehr bleich und sehr verzerrt von wildestem Zorn. Und wie sich es auch Bertha ableugnen wollte, sie mußte dennoch ihren Bruder Heerdegen darin erkennen. Über seinem Kopfe saß etwas mit zwei ungeheuern goldfarbigen Geierflügeln; sie wußte nicht, trug er einen Helm von so wunderlicher Gestaltung, oder war es ein Geier selbst, der ihn vielleicht mit seinem scharfen Schnabel so bleich gehauen hatte. Wie sie noch darüber nachsann, kam ein Frauenbild in dem Spiegelglase zum Vorschein, das war sehr blutig, und recht hinschauend, mußte Bertha mit ungeheuerm Entsetzen aufschreien: »Herr Gott, das bin ich ja selbst!« – Und gejagt von dem Bilde, gejagt von dem Klange ihres eignen Rufes, stürzte sie sträubenden Haares aus dem Gemach, in den Saal hinein, wo die Goldreifen hingen. Starr und regungslos hingen sie da, wie von unsichtbaren Banden gehalten, ohne den leisesten Ton, und Bertha hätte um alles jetzt das lauteste Schallen von ihnen begehrt, denn in dem nahen Gemache regte es sich wunderlich, als seien die Bilder aus dem Spiegel los, und übertäuben, überjubeln sollten die Reifen jenes schauerliche Geräusch, und die drückende Angst in der Jungfrau eignen Brust. Da dachte sie wohl daran, daß sie mit Lautenklängen oder mit Gesang erheischen solle, was sie von diesen Zaubereien verlange. Aber der Gesang war ihr wie eingefroren in Schreck und Bangen, die Laute lag fern jenseit des unheimlichen Spiegelgemachs. Ohne Wahl riß das Entsetzen Berthas Hand zu einem der nächsten Reifen hinan, und zu drehen begannen sich alle, und zu tönen, aber wie mit dem Tone des Sturmes und Donners, ein heisres Brüllen als von wilden Tieren zwischendurch; Schwertergezische klirrte hinein, und ein jämmerliches Wehklagen, wie von qualvoll sterbenden Sündern. Endlich kreisten die Reifen schneller und schneller, gräßlicher heulte der Lärmen, ein wüstes Lachen schmetterte hindurch, Berthas Haupt begann zu schmerzen und zu schwindeln, und da pochte es an die Tür vom Spiegelgemache her. Bertha meinte, sie werde sich nicht enthalten können, Wer da? zu rufen, und dann werde es ihr mit ihrer eignen Stimme antworten: »Ich selbst!« und sie werde dann sich selbsten hereintreten sehn, blutig und sehr verzerrt, durch die furchtbare Tür, und mit offenen Armen grinsend auf sich zu – im halben Wahnsinn stürzte sie aus den Gebäuden, und über den Burgplatz hin nach den Toren zu, pfeilschnell die Ufer des Weihers entlängst. Der zischte wie kochendes Wasser himmelan, und überhaupt sah alles verwildert und seltsamlich aus; unter anderm waren die mehrsten Blumen blutrot geworden, und schwankten wie ungeheure Flammen von den Zinnen herab, und schlugen auf die Flüchtige los. Wie stieg aber ihr Entsetzen, als sie sich dem Ausgange nahte, und ihr einfiel, daß sie die Schlüssel vergessen hatte. Sollte sie nun durch alle die wunderlichen Greuel wieder darnach zurück? Sie fühlte wohl, das ging nicht, denn sie wäre toll davon geworden. Und so rannte sie immer dem Tore zu, ängstlich nach ihrem Bruder rufend, ob sie gleich wußte, der könne ihr in diesen Mauern nicht helfen. Aber die Pforten standen auf, weit auf, obgleich sie sehr schwankten, und mit ungeheurer Schwere in jeglichem Augenblicke zusammenzuklappen drohten, zerschmetternd, was sich zwischen sie hineingewagt hätte. Dennoch faßte die Jungfrau einen Mut, und rannte gestreckten Laufes zwischen durch, und kaum war sie hinaus, da fielen die ehrnen Flügel mit betäubendem Gerassel hinter ihr zusammen, so daß sie im Entsetzen vor einem so nahen, kaum überstandenen Augenblicke des Zermalmens noch pfeilschneller den Hügel hinunterflog, unten aber in völlig ohnmächtiger Erschöpfung zu Boden sank. Sie hörte nur noch, daß von allen Seiten ein wildes Waffengetös sich erhub, und merkte, wenn sie bisweilen wieder zu sich kam, daß ihr Bruder sie in seinen Armen trug, und wie zu sich selber sagte: »Wir müssen machen, daß wir in den Kahn gelangen, und nach dem Eiland hinüber. Das Volk ist hier ganz toll worden vor dem Spuk auf der Burg.« – Dann flüsterte Bertha, ihrer vorigen Ahnungen gedenkend: »O nach dem Eiland; o ja, nach dem lieben Eiland hinüber!« schloß aber alsbald die ermatteten Augen wieder zu.

      Erwachend fand sie sich auf dem Rasen liegen, ihren Bruder neben sich kniend, und mit ängstlicher Sorgfalt um sie beschäftigt. Noch immer tönte ein verworren wildes Geräusch in ihr Ohr. Sie richtete sich in die Höhe, und sah, daß es staubig und waffenblitzend auf dem festen Lande tose, von welchem sie durch einen Arm des Meeres geschieden war. Der Nachen schaukelte sich angelegt zu ihren Füßen.

      »Gottlob, daß wir auf der Insel sind!« sagte sie zu ihrem Bruder, und Heerdegen erwiderte: »Ja freilich ist es recht gut. Denn vor dem wilden Donnern und Stürmen von der Mondesburg herab, hat sich das ganze Land in Waffen erhoben, teils um die Drude, welche sie gefährdet glauben, zu retten, teils um den eigenen Grimm, dieweil es ja selbst vom Sitze des Friedens hertoset, desto ungehinderter gegeneinander austosen zu lassen. Das ist nun fürder dort kein Wohnungsplatz für zarte Fräulein mehr, und wir müssen trachten, wie wir weiter von hinnen kommen.« – »Warum denn von hinnen?« fragte Bertha, »Warum denn von diesem Eilande weg? Hier blühet gewißlich Frieden und Liebe und Versöhnung, und alles, was man nur auf Erden wünschen kann. Folge mir nur, ich weiß Bescheid.« Und damit schritt sie in die tiefgrünen Schatten der Gebüsche hinein; überzeugt, sie müsse Otto und seine Siedlerhütte finden, der frühern Gaukelei ihrer Wünsche gemäß, welche sie mit den weissagenden Gebilden des Spiegels verwechselte. Heerdegen mochte wohl glauben, sie habe wirklich ein geheimes, wohltätiges Wissen mit aus der Burg gebracht, und ging ihr staunend nach in die Verschlingungen des unwirtbaren Forstes hinein.

      Aber da sahen sie nichts von geebneten Gängen, nichts von zierlich gepflegten und geordneten Blumen, nichts überhaupt, was den Sinn und die Hand einsam sehnender Liebe verraten hätte. Eifriger und erhitzter drang Bertha vor; sie stand fast im Begriff, nach Otto zu rufen, nur daß Scham und Furcht vor dem Bruder ihre Zunge band. Während dessen wanden die Gezweige der Bäume sich immer dunkler zusammen, die Wurzeln liefen wilder und kühner über den feuchten Boden hin, Schlangen und andre Untiere raschelten, von den ungewohnten Menschentritten erschreckt, scheu durch das hohe Gras. Da blitzte schon das Meer von der andern Seite wieder herdurch, und seinen Strand ereilend fand Bertha nur eine noch wildere Gegend, wo auf alten Runensteinen und Grabhügeln die Abendsonne ihre Scheidelichter wehmütig spielen ließ, wehmütig die Seelüfte im Moose rauschten, das über den grauen Denkmalen hervorgeschossen war. Weinend sank die getäuschte Bertha auf einen der verwitterten Steine hin, und rief in schmerzlicher Ergebung aus: »So war es denn nichts, als ein Grab?« – Je mehr nun ihr Bruder mit Fragen in sie drang, je bitterlicher mußte sie weinen, die Beschämung über ihr voreiliges Hoffen und dessen Vereitelung mit gleich heftigem Jammer empfindend.

      Heerdegen fing, in seiner Betrübnis und Ungewißheit über die Tränen der Schwester, auf die Muhme zu schelten an, die gewiß mit ihren tollen Zauberstücken das Gemüt der Jungfrau so wunderlich verwirrt habe. Da tat sich mit dieser Erinnerung eine neue Quelle schmerzhafter Tränen für Bertha auf. Mit all ihrer feierlichen Milde, mit ihrem Weinen am letzten Abende, mit ihren zärtlich warnenden Bitten stieg Frau Minnetrost vor dem Geiste des Mägdleins auf, und die Reue über das verletzte Versprechen, wie auch über das verlorene Glück, welches die Drude als nahe bei ihrer Heimkehr angedeutet hatte, löste die arme Bertha fast ganz in Wehmut auf, und machte ihren Bruder mit jedem Augenblick ungeduldiger.

      Da hörten sie dicht neben sich ein helle und liebliche Frauenstimme erklingen, welche ungefähr folgende Worte sang:

      »Beeren glührot, Blätter grün

       Brauen grimmen Heldentrank.«

      Und aufblickend gewahrten sie einer hohen, schlanken Gestalt, die am Ufer umherging, bisweilen sich nach dem Grase bückend, oder Laub von den Zweigen streifend, und alles in einen glänzenden Becher einstreuend, den sie unter dem Arme trug, und der wie ein großes goldnes Horn anzusehen war. Reiche blonde Haare wehten über den Nacken und die Schultern der Wandelnden hin, zugleich ihr das Antlitz, weil sie suchend nach der Erde sah, verhüllend. Ein reichgesticktes Gewand, wie nur vornehme Frauen es tragen, aber nachlässig gegürtet und wie zum Reisen aufgeschürzt, schmiegte sich um ihre zarten Glieder, von ihren Hüften hing ein