Название | Die Romantik |
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Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066388836 |
In der Regel pflegen phantasiebegabte, künstlerisch veranlagte Menschen eine besondere Abneigung gegen die Mathematik zu haben, so daß sie gern völlige Untauglichkeit für dies Gebiet vorschützen und sogar stolz auf diese angebliche Lücke sind. Von dieser Einseitigkeit war Novalis weit entfernt, der in jeder Einzelwissenschaft den Grundriß zu einer allumfassenden Wissenschaft suchte, in jedem gesetzmäßigen Verlauf ein Gleichniß der Harmonie des Alls sah. Nicht nur, daß er mit Eifer Mathematik studirte, er poetisirte sie wie alles, womit er sich beschäftigte, durchdrang sie mit seiner lebendig warmen Seele; man lese nur seinen Hymnus an die Mathematik, wie man die Folge seiner Betrachtungen darüber nennen kann. Dieser Hymnus beginnt mit den Worten:
Die Mathematik ist echte Wissenschaft, weil sie gemachte Kenntnisse enthält, Produkte geistiger Selbstthätigkeit, weil sie methodisch genialisirt. Sie ist auch Kunst, weil sie genialisches Verfahren in Regeln gebracht hat, weil sie lehrt Genie zu sein, weil sie die Natur durch Vernunft ersetzt.
Er steigert sich im Verlaufe so:
Das Leben der Götter ist Mathematik.
Alle göttlichen Gesandten müssen Mathematiker sein.
Reine Mathematik ist Religion.
Zur Mathematik gelangt man nur durch eine Theophanie.
Die Mathematiker sind die einzig Glücklichen. Der Mathematiker weiß alles. Er könnte es, wenn er es nicht wüßte.
Daß er sich den Naturwissenschaften mit einer gewissen Leidenschaft ergab, setzt weniger in Erstaunen, da sie das Lieblingsstudium der Zeit waren, das auch die übrigen Romantiker mit mehr oder weniger Dilettantismus betrieben. Heute wird man den Schwung, womit er hier von Hypothese zu Hypothese stürmte, vielleicht unwissenschaftlich nennen; jedenfalls genügten seine Kenntnisse den Gelehrten seiner Zeit, die seine Lehrer waren, erregten sogar nicht selten ihre Bewunderung. Am meisten ist aber das zu rühmen, daß er sich auch in der Verwaltung, in der praktischen Seite seines Berufes, hervorthat. Wie erstaunte der Kreisamtmann Just, der ihn in die Geschäfte einführen sollte, daß diese Geschäfte unter der ungeübten Hand des jungen Denkers so interessant, so lebendig wurden; daß der Gesichtskreis, innerhalb dessen er lebte, sich so unendlich erweitern ließ. Er gestand sich, daß sein Schüler ihn viel mehr und viel Wichtigeres lehren konnte, als er ihm zu geben im Stande war.
Er selbst definirte Philosophie als Heimweh, Trieb überall zu Hause zu sein. Als ein solcher Philosoph war Novalis geboren. Sein Hang, die Dinge in der Art zu betrachten, daß er sich von Ursache zu Ursache tastete und sich daran wie an einer Strickleiter in ihre Tiefen herabließ, macht den echten Philosophen. An der Außenseite eines Dinges haften zu bleiben, war ihm durchaus unmöglich; ein ätherischer Körper drängte sein Geist sich überall in das Innerste hinein. So war er Philosoph immer, in jedem Augenblick, mit allen Kräften, soviel wie er Mensch war, weswegen es ihm nicht hätte begegnen können, daß er eine Theorie verfochten und ihr im Leben zuwider gehandelt hätte. Seine Philosophie war wie seine Poesie sein Leben: erlernt im Leben und darin angewandt.
Sein größtes Erlebniß war der Verlauf seiner Liebe zu Sophie v. Khün. »Jeder geliebte Gegenstand ist der Mittelpunkt eines Paradieses;« das hatte Novalis an sich selbst erfahren. Er hatte dieses dreizehnjährige Mädchen zum Mittelpunkt seiner Welt gemacht, mit Bewußtsein und Absicht. Auf Alles, was die Erde Menschen bieten kann, hätte er mit herzlichem, ja muthwilligem Lächeln Verzicht gethan: diese war ihm nothwendig, der Mittler für die Gottheit, die er sonst nicht fassen, ohne die er nicht sein konnte. Es sind viele Nachrichten überliefert von der Frühreife und dem Zauber Sophien's, den sie ausgeübt habe; Novalis selbst hat ihre wechselnde Backfischseele, auf die er so stolz war, sorgfältig zerlegt und geschildert. Was hilft uns das, da nichts von Allem, nicht auch von hundert anderen Mädchen gesagt werden könnte? Möchte sie auch so oder so gewesen sein, wichtig ist nur, was sie ihm war, und das ist weit mehr in ihm als in ihr zu finden. Als sie krank wurde, ist es erstaunlich zu sehen, wie er ganz menschliche Verzweiflung und zugleich ganz Besonnenheit war; er war immer ebenso tief darin wie hoch darüber. Nicht nur daß sein Vertrauen in den melodischen Gang der Welt und instinktive Lebenszuversicht ihn davon zurückhielten, die Verwirklichung eines solchen Todesschmerzes, wie ihr Sterben ihm gewesen wäre, für möglich zu halten, er glaubte alles Ernstes durch die Kraft seines Willens, diese magische Kraft, die Welten aufbauen und vernichten, die Berge versetzen kann, es verhindern zu können. Er bedachte nicht, daß es ihr – unbewußter – Wille war, der sich dem Tode zuneigte. So erging die Prüfung über ihn, von der er nicht für möglich gehalten hatte, daß sie ihm zugemuthet würde: Sophie starb.
Bedenkt man, daß sie das Gestirn gewesen war, um das seine Welt sich bewegt hatte, muß man darauf gefaßt sein, daß eine so zarte, auch zu frühem Tode vorbestimmte Natur in sich zusammengebrochen wäre. »Es ist Abend um mich geworden«, schrieb er drei Tage nach ihrem Tode, »während ich noch in das Morgenroth hineinsah.« Daß sein Leben mit ihrem Leben erloschen sei, stand ihm fest. Es lag aber eine solche Anmuth in seiner Natur, die durch und durch erfüllt war von dem schwebenden Element seines Geistes, daß er sich nie bis zur Bewußtlosigkeit unter dem Schicksal krümmte. Selbst wo er sich in's Herz und zu Tode getroffen fühlte, blieb sein Haupt frei und immer seiner mächtig. »Einsam wie noch kein Einsamer war, von unsäglicher Angst getrieben, trostlos, nur ein Gedanke des Elends noch« gab er doch seinen Freunden niemals das Bild der Verzweiflung und Zerrüttung, sondern seine keusch erhaltene Klage ging sogleich über in ruhige Betrachtung der Bedeutung seines Schicksals. Denn in seinem wahrhaft frommen Gemüthe war der Glaube an eine himmlische Ordnung in jedem Leben nicht dauernd erschüttert. Am 19. März 1797 war Sophie gestorben, am 28. schrieb er an die Frau des Kreishauptmanns Just: »Gewiß hab ich zu sehr schwer an diesem Leben gehangen – und da ist freilich wohl ein gewaltsames Correctif nöthig« und noch einige Wochen später war es ihm klar geworden, daß ihr Tod ein himmlischer Zufall gewesen sei, ein wunderbar schicklicher Schritt. »Meine Liebe ist zur Flamme geworden«, schrieb er, »die alles Irdische nachgerade verzehrt.« Und weiter: »Meine Kräfte haben mehr zu als abgenommen – ich fühle es jetzt oft, wie schicklich es hat so kommen müssen. Zufrieden bin ich ganz – die Kraft, die über den Tod erhebt, habe ich ganz neu gewonnen. Einheit und Gestalt hat mein Wesen angenommen – es keimt schon ein künftiges Dasein in mir.« Sein die Consequenz über alles liebender Geist schöpfte Beruhigung daraus, daß er Folgerichtigkeit und Vernunft in seinem Schicksal erkannt zu haben glaubte, daß er es sich erklären konnte. Nach seiner Auffassung bezweckte ihr Verlust seine Läuterung und Loslösung vom Leben.
Man hat es für eine kindische Schwärmerei angesehen, die man nachsichtig entschuldigen müsse, daß er mit dem Tage ihres Todes eine besondere Zeitrechnung einführte und den Entschluß faßte, ihr nachzusterben. Das ist kurzsichtig oder oberflächlich geurtheilt. Kann man sich etwas Erhabeneres denken, als wenn ein Mensch seinem Geiste die Kraft zutraut, sich allmählich, aus freier Willkür, aus Sehnsucht nach dem Ueberirdischen vom jungen, genußfähigen Körper, von der geliebten Erde loszulösen? So innig erlebte er den Idealismus an sich, daß er sein Ich, das unsterbliche, zu dieser höchsten Freiheit und Unsterblichkeit zu erziehen sich getraute. Wie unendlich viel kühner, stolzer und menschlicher war dieser Plan als die rohe Abtödtung des Fleisches, durch welche mittelalterliche Heilige die Erde zu überwinden suchten. Weit entfernt war er ja die schöne Welt, aus der er sich ein so unerschöpfliches