Die Romantik. Ricarda Huch

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Название Die Romantik
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 4064066388836



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Schiller, fing Goethe an zu dichten, um zu dichten, z. B. um gewisse Kunstprobleme zu lösen. Alles was Novalis geschrieben hat, könnte man Tagbücher nennen, worin auch die Schwächen seiner Prosawerke liegen. Der vollkommenste Mensch und Künstler würde wohl der sein, dessen Tage- und Lebensbücher, so wie er sie natürlich niederschriebe, zugleich die schönsten Kunstwerke wären.

      Seine Schönheit war von der Art, die der Menge nicht auffällt, nur dem Kenner sichtbar ist als, wie Tieck von Novalis sagt, »die reinste und lieblichste Verkörperung eines hohen unsterblichen Geistes.« Diejenigen, die ihn kannten und verstanden, konnten die schlanke Gestalt mit den vornehmen Geberden, die Augen voll ätherischer Gluth in dem zartgebildeten Gesichte nicht vergessen. Ebenso wenig lag in seinem Wesen das Hervorstechende, was man zu häufig genial nennt; denn abgesehen davon, daß er sich nur ganz hingab, wenn er verwandte Geister sich entgegenkommen fühlte, war er zu einfach und ohne Affektation, um auf Ungeübte einen überraschenden Eindruck zu machen. Bei seinen großen Kenntnissen und reichem Geiste war er doch nicht hochmüthig, er liebte harmlosen Scherz in der Geselligkeit; weil auch das Geringste ihm bedeutende Ideen weckte, konnte er leicht durch Gespräche über scheinbar unbedeutende Gegenstände die Erwartung der mehr vom Stoffe Abhängigen enttäuschen.

      Darin bestand eben seine bewundernswürdige Kunst des Umganges, daß er mit allen aus allem etwas zu machen wußte. Wie er erscheinen konnte, wenn er einem verständnißvollen Geiste begegnete, das erfährt man aus Friedrich Schlegel's Schilderung, nachdem die beiden Jünglinge sich kennen gelernt hatten: seine schwarzen Augen seien von herrlichem Ausdruck, schrieb Schlegel seinem Bruder Wilhelm, wenn er mit Feuer – unbeschreiblich viel Feuer – von etwas Schönem rede; er rede drei Mal mehr und drei Mal schneller als ein Anderer; nie habe er, Schlegel, so die Heiterkeit der Jugend gesehen.

      Als er in die Welt hinaustrat, war er ein Jüngling, dem es bestimmt schien, die Fülle aller Erdengüter zu genießen; denn einer vornehmen, wohlsituirten Familie angehörend, fehlte es ihm für seine Laufbahn nicht an den besten Aussichten, er hatte eine einnehmende Erscheinung, eine Persönlichkeit alles anzuziehen und Herz und Sinn alles zu genießen. Ein Wechselverhältniß besteht zwischen dem Menschen und der Welt, daß sie demjenigen liebevoll entgegenkommt, der sie mit aufrichtiger Liebe sucht. Nicht die Liebe des Idealisten zu den Menschen und Dingen hatte Novalis, die in bittere Verachtung umschlägt, wenn die überirdischen Traumbilder sich nicht pünktlich verwirklichen; vielmehr das arglose Zutrauen eines gutartigen Kindes, das mit einem Herzen voll heimlicher Glückseligkeit in seinem kleinen Garten ein Paradies und in seinen Sträuchern und Büschen blühende Wunder sieht. »Tadle nichts Menschliches« sagte er; »Alles ist gut, nur nicht überall, nur nicht für alle.« Dieser Ausspruch seiner späteren Jahre bestätigt schön die Theorie, die er als noch nicht 20jähriger Jüngling gegenüber dem welt- und menschenhassenden Friedrich Schlegel verfocht: daß es nichts Böses auf der Welt gebe. Das war nicht die Unerfahrenheit hoffender Jugend, sondern es ist bezeichnend für den harmonischen Menschen, dessen Verstand wohl die Dissonanzen sieht, auch nicht etwa die Augen davon abwendet, der aber Kraft genug hat, bis zu ihrer Auflösung vorzudringen. In seinem Temperamente lag die Neigung zu diesem schönen und tiefen keineswegs flachen Optimismus, der aus der Ordnung des eigenen Innern sich unbewußt die Gewißheit der Ordnung außer sich schöpft, der an den Sieg des Guten glaubt, weil er die Kraft zum Guten in sich hat; eine Fähigkeit zum Glück lag darin, der äußere Unfälle nicht an's Leben können: wie eine Geistererscheinung bohrt sich einem solchen Menschen das Schmerzensschwert mitten durch die Brust, ohne zu tödten.

      Daß er äußerte, er wolle, um alle die Herrlichkeiten der Erde zu genießen, eine reiche Heirath machen, klingt anmuthig komisch im Munde eines Menschen, dessen geflügelte Seele der Anziehung der Materie so wenig unterworfen war, daß sie sich fast in jedem Augenblick himmelhoch über die Erde aufschwingen konnte. Er gehörte eben nicht zu jenen Idealisten, die die Augen an den Sternen hängend mit den Füßen durch den Sumpf waten, im Gegentheil pflegte er nach Art des guten Realisten mehr zu leisten als er versprach, indem seine Aeußerungen über sich selbst sich immer nur mit dem Nächstliegenden beschäftigten, was er in sich erlebt hatte und wofür er einstehen konnte. So schrieb er z. B. als Jüngling an Friedrich Schlegel, seine Bestimmung sei die häusliche der Familie, während Schlegel nach Aufgang der Sonne gehe, gehe er den gewöhnlichen Weg nach Westen; was einen seltsam berührt, wenn man die Lebenswege der beiden Freunde vergleicht: wie der Schlegel's in den Niederungen hausbackener Sinnlichkeit sich verflachte, während Novalis immer mehr dem morgenrothen Himmel sich zu nähern schien. Schlegel ersehnte immer die äußersten Höhen, aber ein irdischer Hang ließ ihn in bequemer Häuslichkeit sich selbst und seine Schwungkraft verlieren; einfache Thätigkeit im traulichen Familienkreise war immer Novalis Ideal, doch ließ sein Genius es ihn nie erreichen und entrückte ihn den Augen der Menschen, ehe seine leichten Füße jemals fest auf der Erde gehaftet hatten.

      Der erste Gegenstand seines Hanges und seiner Kraft zu verehren war Schiller, dessen Vorlesungen er als Student in Jena besuchte. Was Novalis so mächtig zu Schiller hinzog, war seine sittliche Größe, die Kraft, mit der dieser heroische Mensch den Widerstand des Irdischen überwinden konnte, nicht seine Poesie, für welche Novalis damals noch weniger Interesse und Verständniß hatte. Daß er in Schiller, ohne es zu wissen, sein eigenes Ideal verkörpert sah und liebte, sieht man deutlich aus dem, was er vorzüglich an ihm rühmte: »dieses Weltbürgerherz, das für mehr als Menschheiten schlägt und doch diese idealische Liebe auf reine Seelen um sich überträgt und nicht den einzelnen entgelten läßt, was die Natur minder für sie als fürs ganze Geschlecht that, eben das nicht auf Erden Heimische und doch Zufriedene, nicht Klagende, Heilige, Resignirende;« denn gerade das, auf der Erde nicht heimisch und doch auf ihr glücklich zu sein, bezeichnet, was so ganz sein eigenes Wesen werden sollte.

      Gewiß verdiente Schiller diese Hingebung; aber ebenso wie für ihn nimmt es für den Jüngling selbst ein, wenn er schreibt: »Ihm zu gefallen, ihm zu dienen, nur ein kleines Interesse für mich bei ihm zu erregen, war mein Dichten und Sinnen bei Tag und der letzte Gedanke, mit welchem mein Bewußtsein Abends erlosch. Eine Geliebte hätte ich für ihn weinend aus dem Herzen gerissen, wenn die Vorsehung ein so hartes Opfer verlangt hätte, meinem liebsten Jahre lang gehegten Wunsche am Rande seiner Erfüllung entsagt; denn das Leben ist nicht das stärkste Opfer, was Enthusiasmus und Liebe ihrem angebeteten Gegenstande bringen können, denn wir fühlen nicht seinen Verlust.« Merkwürdig ist das rednerische Pathos in Novalis' Briefen, an und über Schiller, das sonst, seinem Styl durchaus entgegengesetzt, sich nirgends bei ihm findet.

      Mit diesem Bedürfniß, zu verehren, ja sich aufzuopfern hätte er ein ewig sich um andere schwingender Trabant, mit dieser Empfänglichkeit ein Nachahmer und Anempfinder, mit dieser Lust alles, was er so innig fühlen und verstehen konnte, zu genießen ein zerstreuter, vielgeschäftiger, liebenswürdiger aber oberflächlicher Schwärmer werden können. Aber er hatte weit mehr Kraft und Festigkeit als seine Zartheit vermuthen ließ. Wenn er auch aus den Versuchungen des Studentenlebens nicht unberührt hervorging, denn er verstrickte sich leichtsinnig in Schulden, so blieb doch das schöne Gleichgewicht seines Innern ungestört oder stellte sich rasch wieder her. Eine gewisse Keuschheit der Empfindung, von der Friedrich Schlegel sagte, daß sie ihren Grund in seiner Seele nicht in Unerfahrenheit habe, bewahrte ihn vor solchen Ausschreitungen, die zu Zwiespalt, Ekel an der eigenen Natur und kränklichem Ueberdruß führen. Kurz, wie auch der Leichtsinn seiner Jünglingsjahre beschaffen gewesen sein mag, sein elastischer Geist war nicht zu zerdrücken, sondern strebte immer und immer wieder empor, seine Vernunft, wie er selbst sich ausdrückte, erhielt das entschiedene Uebergewicht über Sinnlichkeit und Phantasie. Das entwickelte sich nicht nur so von ungefähr, ohne sein Zuthun, sondern unter der Aufsicht seines Bewußtseins. Er hatte die Tugend der Besonnenheit, jene Klarheit und leichte Gegenwärtigkeit des Geistes, die alle Handlungen wie eine sanfte Musik begleitet und auch die wildesten, mit der ganzen Blindheit des Instinkts einstürmenden durch ihren Rhythmus zähmt und erheitert. Allen andern Romantikern, Schleiermacher etwa ausgenommen, war er durch diese Kraft, sich selbst zu fassen und zu lenken, überlegen; aber Schleiermacher, wenn man ihn überhaupt unter die Romantiker rechnen will, hatte weit weniger Sinnlichkeit und Phantasie zu bändigen. Auch Novalis hatte, wie Tieck und Wackenroder und die Schlegel und unzählige Dichter älterer und neuerer Zeit, die natürliche Abneigung gegen die Trockenheit eines Berufes; aber nicht nur aus Willfährigkeit gegen die Wünsche seines Vaters