Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 4064066388829



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Papst unterworfen hatte, bereitete ein Angelsachse eine Losreißung vom römischen Papst vor. Siegmund war zu sehr Kaiser, um nicht, wie vorurteilsfrei er auch war, an der Idee der Einheit des Abendlandes unter Papst und Kaiser festzuhalten. Wenn er den Hussiten Zugeständnisse machte, hatte er dabei den Hintergedanken, daß er sie doch vielleicht allmählich zur allgemeinen Kirche zurückführen könnte, und begann mit Begünstigung der katholischen Böhmen, kaum daß er die Zügel wieder in der Hand hatte. Als er Widerstand merkte, lenkte er ein und versuchte es mit mündlichen Verhandlungen, bei denen seine Beredsamkeit so manchen Erfolg verzeichnen konnte. Diese Haltung Siegmunds brachte einen Teil der Böhmen gegen ihn auf und entfachte das nationale Bewußtsein, das von Anfang an die hussitische Bewegung genährt hatte; man verargte es ihm in diesen Kreisen, daß er einen deutschen Fürsten, Albrecht von Österreich, als seinen Nachfolger bezeichnet hatte. An der Verschwörung, die sich vorbereitete, hatte Siegmunds eigene Frau, Barbara von Cilly, Anteil, die er aus Dankbarkeit gegen ihren Vater, seinen Retter in der Schlacht von Nikopolis, geheiratet hatte. Es mag sein, daß Siegmund, der schöne Frauen gern sah, nicht immer ein treuer Ehemann gewesen war; aber wenn das auch ihre Treulosigkeit entschuldigt, so macht es sie und ihre Handlungsweise doch nicht anziehender. Die Cilly waren ein leidenschaftliches, grundsatzloses, wildes Geschlecht, und die Gnaden, mit denen Siegmund sie überhäufte, nahmen sie an, ohne sich dadurch gebunden zu fühlen. Der Plan der Verschworenen war, daß Barbara einen als Thronfolger in Aussicht genommenen, jungen polnischen Prinzen heiraten sollte, eine Verbindung, welche ein polnisch-böhmisch-ungarisches Reich begründen würde. Es sollte, so war die Meinung, eine eigene hussitische Kirche haben. Das bedeutete die Ausschaltung der Deutschen aus dem großen Österreich, in das seit Jahrhunderten so viel deutsches Wesen eingeströmt war. Albrecht von Österreich, Siegmunds Schwiegersohn, der von der Verschwörung Kunde bekommen hatte, riet dem König, zu fliehen; da er sehr leidend war, konnte die Notwendigkeit einer Luftveränderung den Vorwand zur Reise liefern. Es war im November des Jahres 1437, als der 69jährige von Prag aufbrach, um sich nach Znaym zu begeben; einige böhmische und einige ungarische Edle begleiteten ihn, auch seine Frau zwang er, ihm zu folgen. Sein Schwager Friedrich und dessen Sohn, die er kurz vorher zu Reichsfürsten erhoben hatte, entflohen.

      Als Siegmund im Jahre 1416 in Paris war, wohnte er als Zuschauer einer Sitzung des Parlamentes bei. Da gerade ein Fall verhandelt wurde, bei dem eine Partei als nicht zum Ritterstande gehörig abgewiesen wurde, sprang Siegmund auf und schlug den Betreffenden, der ein Knappe war, zum Ritter, damit er sein Recht erlangen könne. Dies Feuer des Mitlebens aller Dinge erlosch dem König im Alter nicht, wenn auch sein lockiges Blondhaar früh ergraute. Mühselig, gefährlich, von Kämpfen und vergeblichen Anstrengungen erfüllt war sein Leben; demgegenüber waren seine nie versagende Lebendigkeit und die Anhänglichkeit einiger Freunde die einzigen Mittel, die dem nicht selten Bettelarmen stets zu Gebote standen. Von einem Reichstag zum anderen, von einem Schlachtfeld zum anderen, war er getrabt, immer Streitende beschwichtigend, immer irgendwelche Widerstände überwindend, und dazwischen, fast den Fuß im Steigbügel, leerte er mit erprobten Freunden und anmutigen Frauen einen vollen Becher der Freude. Im Kaiserornat und frischen Lorbeerkranz trat er die letzte Fahrt an. Während der Hussitenkriege hatte er die Reichsinsignien, die sein Vater nach Prag und sein Bruder Wenzel später auf die Burg Karlstein hatte bringen lassen, heimlich nach Ungarn befördert und hatte dann, da die deutschen Fürsten sie in Deutschland wissen wollten, die Reichsstadt Nürnberg zum Aufbewahrungsort bestimmt. Die Stadt ließ es sich tausend Goldgulden kosten, das ehrenvolle Recht zu erwerben, und hat die Kleinodien bis zum Ende des Reiches behalten. Schöner als die Reichskrone von massivem Golde schmückten die frischen grünen Blätter das geniale Haupt des Königs, der verraten, fliehend, sterbend in der Würde seines guten Willens ruhte. Wenn er bedachte, wie er den ihm zugefallenen Aufgaben genügt hatte, konnte er sich manches Erfolges freuen. Als die Kurfürsten ihn wählten, hatte es drei Päpste und drei Kaiser gegeben, Verwirrung und Auflösung in der Christenheit. Er hatte die Einheit wiederhergestellt, er hatte erst das Konzil gegen den Papst, dann, als die in Basel versammelten Väter den Papst ganz entrechten wollten, diesen gegen das Konzil gestützt. Vor noch nicht langer Zeit war er unermüdlich hin und her gereist, um zu vermitteln, fast immer zu Pferde; einmal hatte er den Baseler Stadtrat um Schuhe bitten müssen, weil er nicht in Reiterstiefeln das Münster betreten wollte. Selten, eigentlich niemals hat er durchgesetzt, was ihm als das Rechte vorschwebte; während er eine Erneuerung wollte, hatte er helfen müssen, das Alte zu befestigen. Aber die Türken, die gegen die Christenheit anstürmten, hatte er aufgehalten, und den furchtbaren Kriegsbrand, mit dem die Hussiten das Reich zu vernichten drohten, hatte er gestillt. Es war Frieden im Reich, Frieden hatte er mit liebenden Händen über die schöne Erde ausgebreitet, die nun winterlich schlummerte. In Znaym erwies es sich als notwendig, daß ihm eine Zehe seines kranken Fußes abgenommen wurde; er ließ es unbeweglich geschehen, als ob es einen anderen anginge. Nachdem er von dem Arzt, dem er befohlen hatte, ihm die Wahrheit über seinen Zustand zu sagen, erfahren hatte, daß sein Tod bevorstehe, ließ er sich mit dem kaiserlichen Ornat bekleiden und hörte eine Messe. Dann sagte er: »Nun tut mich an, als man mich begraben wird.« Wenn er gestorben sei, solle man ihn zwei oder drei Tage lang ausstellen, ordnete er an, damit alle sehen könnten, daß der Herr der Welt tot sei. Das wurde ausgeführt und dann die Leiche in Großwardein, in der Begräbniskirche der ungarischen Könige, beigesetzt.

       Inhaltsverzeichnis

      »Bei solchen seltsamen, wundersamen Ereignissen kam mir der Gedanke, der mir die Welt verleidete, daß ich nie eine niedrige Handlung hörte oder sah, bei der nicht die großen Häupter der Christenheit im Unrecht gewesen wären, und zwar die geistlichen mehr als die weltlichen.« So sagt Eberhard Windecke, der Sekretär König Siegmunds, der das Leben seines Herrn mit bewegter Anteilnahme geschildert hat. Wie vielen Menschen mag vor ihm und nach ihm diese Erfahrung das Gemüt erschüttert haben, daß die Hochstehenden, die die Geschicke der Völker leiten, nicht zugleich die Einsichtigen, noch weniger die Guten, sondern oft die Eigennützigsten und Unbedenklichsten sind. Eine Erfahrung, die einem Menschen den Frieden rauben und seinen Geist zerstören kann. Sicherlich bezog Windecke sie nicht auf den König, sondern vor allen Dingen auf die Geistlichen. »Alle Feindseligkeit und Bosheit kommen von den geistlichen Einkünften her«, sagt er, »die so reich und mächtig geworden waren – alle Ränke, Künste und schlimme Behendigkeit lernt man von den Pfaffen. Und alles, was ich diese tun und treiben sah, das drehte sich um Geld; Geld mußte sein, mochte es mit Recht oder Unrecht zugehen.« Und als er von einem Streit der Bischöfe mit den Städten erzählt: »Wo man Böses hörte, wo Krieg war und man fragte, wer tat das? So hörte man: der Bischof, der Dompropst, der herrliche Dechant, der Geistliche. Es wäre kein Wunder, wenn die Hussiten und Ketzer noch mächtiger geworden wären, denn solchen Frevels war zuviel auf Erden.« Zieht man auch in Betracht, daß Eberhard Windecke ein Bürger der Stadt Mainz war, die in beständigem Unfrieden mit ihrem Bischof lebte und deshalb geistlichen Fürsten von vornherein nicht gewogen war, so lauten doch die Äußerungen von allen Seiten zu übereinstimmend, als daß man ihn parteiischer Übertreibung zeihen könnte! Das Mißverhältnis zwischen den verkündeten Idealen des Christentums und dem Leben und Treiben der Kirche und der weltlichen Stände, die sich zur Lehre der Kirche bekannten, war ein öffentliches Ärgernis geworden. »Daher möchte ich«, sagt Windecke, »den Hussiten recht geben in dem Punkte, daß sie meinten, man solle den Geistlichen nichts geben, wohl aber das nehmen, was sie hätten, und sie als Pfaffen erhalten, dann könnte man Frieden erlangen.«

      Die Überhäufung der Kirche mit weltlichen Gütern, die anfangs aus warmen menschlichen Antrieben hervorgegangen war und edlen Zwecken diente, die Verschmelzung kirchlicher Würden mit weltlichen Rechten und Pflichten, die anfangs der Erhaltung der Reichseinheit zugute gekommen war, hatte zu einer Entstellung der Kirche und zu einer Entweihung und Verwirrung aller religiösen und sittlichen Begriffe geführt, die das Volksgewissen schließlich nicht mehr ertragen konnte. Die Gebildeten, Denkenden, Redlichen erkannten die Schäden und Gefahren und drangen auf Besserung, unter den Herrschenden und Mächtigen gaben einige Wohlmeinende dem allgemeinen Drange nach, während diejenigen, die von der Reform betroffen worden wären, sich mehr oder weniger offen sträubten und die Reform entweder in eine ihnen unschädliche Bahn abzulenken