Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066388829 |
Als Siegmund im Jahre 1416 in Paris war, wohnte er als Zuschauer einer Sitzung des Parlamentes bei. Da gerade ein Fall verhandelt wurde, bei dem eine Partei als nicht zum Ritterstande gehörig abgewiesen wurde, sprang Siegmund auf und schlug den Betreffenden, der ein Knappe war, zum Ritter, damit er sein Recht erlangen könne. Dies Feuer des Mitlebens aller Dinge erlosch dem König im Alter nicht, wenn auch sein lockiges Blondhaar früh ergraute. Mühselig, gefährlich, von Kämpfen und vergeblichen Anstrengungen erfüllt war sein Leben; demgegenüber waren seine nie versagende Lebendigkeit und die Anhänglichkeit einiger Freunde die einzigen Mittel, die dem nicht selten Bettelarmen stets zu Gebote standen. Von einem Reichstag zum anderen, von einem Schlachtfeld zum anderen, war er getrabt, immer Streitende beschwichtigend, immer irgendwelche Widerstände überwindend, und dazwischen, fast den Fuß im Steigbügel, leerte er mit erprobten Freunden und anmutigen Frauen einen vollen Becher der Freude. Im Kaiserornat und frischen Lorbeerkranz trat er die letzte Fahrt an. Während der Hussitenkriege hatte er die Reichsinsignien, die sein Vater nach Prag und sein Bruder Wenzel später auf die Burg Karlstein hatte bringen lassen, heimlich nach Ungarn befördert und hatte dann, da die deutschen Fürsten sie in Deutschland wissen wollten, die Reichsstadt Nürnberg zum Aufbewahrungsort bestimmt. Die Stadt ließ es sich tausend Goldgulden kosten, das ehrenvolle Recht zu erwerben, und hat die Kleinodien bis zum Ende des Reiches behalten. Schöner als die Reichskrone von massivem Golde schmückten die frischen grünen Blätter das geniale Haupt des Königs, der verraten, fliehend, sterbend in der Würde seines guten Willens ruhte. Wenn er bedachte, wie er den ihm zugefallenen Aufgaben genügt hatte, konnte er sich manches Erfolges freuen. Als die Kurfürsten ihn wählten, hatte es drei Päpste und drei Kaiser gegeben, Verwirrung und Auflösung in der Christenheit. Er hatte die Einheit wiederhergestellt, er hatte erst das Konzil gegen den Papst, dann, als die in Basel versammelten Väter den Papst ganz entrechten wollten, diesen gegen das Konzil gestützt. Vor noch nicht langer Zeit war er unermüdlich hin und her gereist, um zu vermitteln, fast immer zu Pferde; einmal hatte er den Baseler Stadtrat um Schuhe bitten müssen, weil er nicht in Reiterstiefeln das Münster betreten wollte. Selten, eigentlich niemals hat er durchgesetzt, was ihm als das Rechte vorschwebte; während er eine Erneuerung wollte, hatte er helfen müssen, das Alte zu befestigen. Aber die Türken, die gegen die Christenheit anstürmten, hatte er aufgehalten, und den furchtbaren Kriegsbrand, mit dem die Hussiten das Reich zu vernichten drohten, hatte er gestillt. Es war Frieden im Reich, Frieden hatte er mit liebenden Händen über die schöne Erde ausgebreitet, die nun winterlich schlummerte. In Znaym erwies es sich als notwendig, daß ihm eine Zehe seines kranken Fußes abgenommen wurde; er ließ es unbeweglich geschehen, als ob es einen anderen anginge. Nachdem er von dem Arzt, dem er befohlen hatte, ihm die Wahrheit über seinen Zustand zu sagen, erfahren hatte, daß sein Tod bevorstehe, ließ er sich mit dem kaiserlichen Ornat bekleiden und hörte eine Messe. Dann sagte er: »Nun tut mich an, als man mich begraben wird.« Wenn er gestorben sei, solle man ihn zwei oder drei Tage lang ausstellen, ordnete er an, damit alle sehen könnten, daß der Herr der Welt tot sei. Das wurde ausgeführt und dann die Leiche in Großwardein, in der Begräbniskirche der ungarischen Könige, beigesetzt.
Die Reformation des Kaisers Siegmund
»Bei solchen seltsamen, wundersamen Ereignissen kam mir der Gedanke, der mir die Welt verleidete, daß ich nie eine niedrige Handlung hörte oder sah, bei der nicht die großen Häupter der Christenheit im Unrecht gewesen wären, und zwar die geistlichen mehr als die weltlichen.« So sagt Eberhard Windecke, der Sekretär König Siegmunds, der das Leben seines Herrn mit bewegter Anteilnahme geschildert hat. Wie vielen Menschen mag vor ihm und nach ihm diese Erfahrung das Gemüt erschüttert haben, daß die Hochstehenden, die die Geschicke der Völker leiten, nicht zugleich die Einsichtigen, noch weniger die Guten, sondern oft die Eigennützigsten und Unbedenklichsten sind. Eine Erfahrung, die einem Menschen den Frieden rauben und seinen Geist zerstören kann. Sicherlich bezog Windecke sie nicht auf den König, sondern vor allen Dingen auf die Geistlichen. »Alle Feindseligkeit und Bosheit kommen von den geistlichen Einkünften her«, sagt er, »die so reich und mächtig geworden waren – alle Ränke, Künste und schlimme Behendigkeit lernt man von den Pfaffen. Und alles, was ich diese tun und treiben sah, das drehte sich um Geld; Geld mußte sein, mochte es mit Recht oder Unrecht zugehen.« Und als er von einem Streit der Bischöfe mit den Städten erzählt: »Wo man Böses hörte, wo Krieg war und man fragte, wer tat das? So hörte man: der Bischof, der Dompropst, der herrliche Dechant, der Geistliche. Es wäre kein Wunder, wenn die Hussiten und Ketzer noch mächtiger geworden wären, denn solchen Frevels war zuviel auf Erden.« Zieht man auch in Betracht, daß Eberhard Windecke ein Bürger der Stadt Mainz war, die in beständigem Unfrieden mit ihrem Bischof lebte und deshalb geistlichen Fürsten von vornherein nicht gewogen war, so lauten doch die Äußerungen von allen Seiten zu übereinstimmend, als daß man ihn parteiischer Übertreibung zeihen könnte! Das Mißverhältnis zwischen den verkündeten Idealen des Christentums und dem Leben und Treiben der Kirche und der weltlichen Stände, die sich zur Lehre der Kirche bekannten, war ein öffentliches Ärgernis geworden. »Daher möchte ich«, sagt Windecke, »den Hussiten recht geben in dem Punkte, daß sie meinten, man solle den Geistlichen nichts geben, wohl aber das nehmen, was sie hätten, und sie als Pfaffen erhalten, dann könnte man Frieden erlangen.«
Die Überhäufung der Kirche mit weltlichen Gütern, die anfangs aus warmen menschlichen Antrieben hervorgegangen war und edlen Zwecken diente, die Verschmelzung kirchlicher Würden mit weltlichen Rechten und Pflichten, die anfangs der Erhaltung der Reichseinheit zugute gekommen war, hatte zu einer Entstellung der Kirche und zu einer Entweihung und Verwirrung aller religiösen und sittlichen Begriffe geführt, die das Volksgewissen schließlich nicht mehr ertragen konnte. Die Gebildeten, Denkenden, Redlichen erkannten die Schäden und Gefahren und drangen auf Besserung, unter den Herrschenden und Mächtigen gaben einige Wohlmeinende dem allgemeinen Drange nach, während diejenigen, die von der Reform betroffen worden wären, sich mehr oder weniger offen sträubten und die Reform entweder in eine ihnen unschädliche Bahn abzulenken