Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Ricarda Huch |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4064066388829 |
Vielleicht ist diese groteske Geschichte mit Ausschluß der Hinrichtung, welche wirklich im Jahre 1509 stattgefunden hat, nicht wahr. Vieles spricht dafür, daß die Erscheinungen der Jungfrau Erfindungen des frechen, hysterischen Jetzer, und daß die unglücklichen Mönche Betrogene waren, denen durch die Folter ein falsches Geständnis erpreßt wurde. Dann wäre aber bewiesen, daß die Mönche noch dümmer und abergläubischer waren, als man allgemein für möglich hielt, und daß sie in allen Kreisen aufs äußerste verhaßt waren; denn sonst wären sie kaum das Opfer eines so unverschämten Betruges geworden.
Jakob Wimpheling stand der mönchischen Streitfrage nicht etwa gleichgültig gegenüber, sondern war überzeugter Anhänger der unbefleckten Empfängnis. Geiler von Kaisersberg, die Posaune von Straßburg, den alle Humanisten verehrten, spickte seine Predigten mit unterhaltenden Histörchen, wie es üblich war; aber er tat es, um von der erhabenen Lehre, die den Kern seiner Predigt bildete, einen Übergang ins alltägliche Leben herzustellen. Dem entarteten mittelalterlichen Denken und Treiben der Mönche gegenüber fühlten sich diese älteren Humanisten durchaus als Vertreter der Vernunft und ihre Arbeit als eine Reinigung; die Grundformen von Staat und Kirche sollten dadurch aber nicht zerstört, sondern im Gegenteil durch die Säuberung deutlich sichtbar werden. Inmitten chaotischer Verhältnisse und Meinungen wiederholten sie die Lehre von der gemeinsamen Herrschaft von Papst und Kaiser, wie das Mittelalter sie aufgestellt hatte. Die Ansicht von der Suprematie der Konzilien, die das erste Viertel des 15. Jahrhunderts beherrscht hatte, war von den Humanisten aufgegeben, sie hielten die Alleinherrschaft des Papstes innerhalb der Kirche für erforderlich zum Wohl derselben. Auch an der Vorherrschaft des Papstes über den Kaiser hielten sie fest; außerhalb der römischen Kirche gebe es kein Kaisertum, lehrte Hug, Leutpriester in Straßburg, ja nach ihm war der Kaiser des Papstes Vasall. Geiler von Kaisersberg, Sebastian Brant, Wimpheling waren alle Hörer des berühmten Rechtslehrers Peter von Andlau gewesen, der an der Universität Freiburg römische Rechte las und in seinem Libellus de Caesarea Monarchia die Linien eines Reichs-Staatsrechtes zu ziehen versucht hatte.
Das Fundament des Reiches, so sagte er, bildet die Doppelherrschaft von Papst und Kaiser. Duo sunt quibus hic mundus principaliter regitur; scilicet pontificales auctoritas et regalis potestas. Dies sind die beiden hauptsächlichen Mächte, durch welche Gott beschloß und wollte, daß ihm die schuldige Ehre dargebracht werde und daß durch sie das menschliche Geschlecht mittels der Regeln des Rechts heilsam unterrichtet werde, das Böse zu vermeiden und das Gute zu tun. Der Papst hat die Suprematie über den Kaiser nach den von Innocenz IV. 1245 auf dem Konzil zu Lyon aufgestellten Sätzen. Allerdings kann auch der Papst abgesetzt werden, aber nur im Falle der Ketzerei, der Kaiser noch dazu, wenn er unnütz ist; so war Wenzel als »unnützer Entgliederer des Reiches« entthront worden. An der konstantinischen Schenkung, deren Echtheit Nikolaus von Cusa und Piccolomini bezweifelt hatten, hielt Peter von Andlau fest; bei der Krönung habe der Kaiser sie dem Papst zu garantieren. Daß die Nachbarländer längst selbständige Staaten geworden waren, mächtiger als das zerfallende Reich, hinderte Peter von Andlau nicht, dem Kaiser das Imperium mundi zuzuschreiben; die Loslösung jener Staaten sei, sagte er, eine Tatsache, kein Recht. Es hat etwas Erschütterndes, wenn er die Verse Vergils anführt von dem Caesar Augustus: »Der zu den Sternen den Ruhm, zum Ozeanus dehnet die Herrschaft – Jenseits Garamanten und Inder – Dehnt er das Reich«, als wären sie, die inzwischen als Übungen in der Schule gelesen wurden, die Posaunenklänge von einst, dem Triumphzug der deutschen Träger des universalen Gedankens vorantönend. Als herrschende Staatslehre trug er vor, daß mit dem Ende des Römischen Reiches Deutscher Nation das Ende der Welt hereinbrechen werde, wie es St. Methodius in seinem Buche De consumtione saeculi gelehrt hatte. Das Zepter wird nicht vom Römischen Reich genommen werden, bis der Antichrist erscheint. Alle Völker werden sich dann vom Römischen Reiche lossagen. Alsdann wird der letzte Herr der Welt nach Jerusalem eilen, und an der Stelle, wo der König der Könige am Kreuze hing, wird er, angetan mit dem Zeichen der kaiserlichen Würde, seine Krone und damit sein Reich und seine Herrschaft niederlegen. Dann stirbt der Kaiser, und mit ihm stirbt der Erdkreis, der ihm einst gehorchte.
Diesen merkwürdig seherisch geheimnisvollen Worten lauschten die Söhne einer neuen Zeit, auf denen die Ahnung des Untergangs lastete. Sie vernahmen sie in den knappen, festverschränkten Sätzen der lateinischen Sprache, die etwas Unumstößliches zu verkünden schienen. Es war für sie kein Widerspruch, daß sie gleichzeitig den Gebrauch der deutschen Sprache förderten, obwohl sie selbst sich des schriftlichen Ausdrucks in ihr nicht sicher fühlten. Römische und deutsche Geschichte, lateinische und deutsche Sprache, das bildete höchstens einen solchen Gegensatz, der ein fruchtbares Zusammenwirken in höherer Einheit vorbereitete.
Eher ablehnend verhielten sich die Humanisten zu Peter von Andlaus Hochschätzung des römischen Rechts. Mehrere von ihnen hatten anfangs die Rechte studiert, sich aber enttäuscht davon zurückgezogen, fast alle waren den Juristen und dem römischen Recht feind, verteidigten das deutsche. Peter von Andlau dagegen erwartete von der zunehmenden Kenntnis des römischen Rechtes nicht nur eine Verbesserung des Rechtszustandes im Reich, sondern im Zusammenhang damit die allgemeine Reformation, nach der alle strebten und sich sehnten. Denn das römische Recht würde die kaiserliche Macht verstärken, also diejenige Lösung des Problems herbeiführen, die allgemein als die Vorbedingung der Reformation betrachtet wurde. Die Willkür würde auf allen Gebieten dem Gesetz und der Ordnung weichen. Darin stimmten die Humanisten mit Peter von Andlau und Ulrich Zasius, den beiden großen Juristen, überein, daß sie das Ansehen des Kaisers erhöht sehen wollten und daß sie als Quell der Erneuerung die Wissenschaft, die Erziehung, die bessere Einsicht ansahen.
Der bedeutendste Mann, der diesen Gedanken in literarischen Werken entwickelte und in seiner Persönlichkeit darstellte, war Erasmus von Rotterdam. Sein Geburtsland war dem Reich entfremdet, blieb ihm aber doch durch Stammverwandtschaft, gemeinsame Geschichte und geistige Strömung verbunden, wie denn auch Erasmus nach langen Wanderungen sich in Deutschland am meisten heimisch fühlte und es sein Vaterland nannte. Erasmus war konservativ wie alle die älteren Humanisten, insofern er einen Umsturz des Bestehenden nicht wollte; aber weiteren und freieren Geistes, war er viel kühner, witziger und treffender in der Bekämpfung des Überalterten und Versumpften. Das ungeheure Aufsehen, das seine Werke erregten, und die Vergötterung seiner Person, heute nicht leicht zu verstehen, erklären sich am ehesten, wenn man ihn als die erste Erscheinung eines germanischen Menschen ansieht, der ganz frei von Vorurteilen der Kirche und des Staates, allen Bindungen, an die man gewöhnt war, von seiner Natur, seiner Einsicht, seinem Empfinden sich leiten ließ. Er wollte eine Revolution, aber eine geräuschlose, die nicht zertrümmerte, sondern durch einen ätzenden Hauch, der von ihm ausging, den Kitt zwischen den Fugen auflöste und durch ein fröhliches Gelächter den Schutz der Feierlichkeit und Unantastbarkeit von den unbrauchbar gewordenen alten Ordnungen, gleichsam Verkehrsstörungen, wegblies. Er war ein moderner Mensch, insbesondere könnte man ihn einen Menschen des 18. Jahrhunderts nennen, wenn auch die Beziehung zum Göttlichen im Mittelpunkte seiner Weltanschauung stand. Das war nicht nur eine Folge seiner Erziehung und Umgebung, sondern ihm natürlich; er verehrte Gott als den Schöpfer aller Dinge und den Geber alles Guten, als die Vernunft und den Geist des Friedens, der den Menschen zur Vervollkommnung berufen hat und führt. Er sah nicht so sehr Böses in der Welt als Torheit und Vorurteil, die durch Lachen und bessere Einsicht überwunden werden können. In einer Welt, die voll von plumpem Aberglauben, von Verfolgungswut, pedantischer Beobachtung halbverstandener Zeremonien und krassem Sinnengenuß war, führte er ein gebildetes Christentum ein, dessen Grundlage das Leben und die Worte des Erlösers waren. Aus ihnen sollte man Ergebung in den göttlichen Willen, Sittenreinheit, Hilfsbereitschaft gegen Schwache und Kranke und Duldung der Andersgearteten lernen. In der klaren Luft der durch Erkenntnis geläuterten Welt würde das Böse und Häßliche, würde der Irrtum nicht gedeihen können. Christus war