Gesammelte Werke. Heinrich Mann

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Heinrich Mann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783869923963



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schon heftig die Tür versperrt, mit Schlüssel und Riegel. Da begann Diederichs Herz so stark zu klopfen, daß er anhalten mußte. Als er hinaufgelangt war, blieb ihm nur noch eine schwache, atemlose Stimme, um Einlaß zu verlangen. Keine Antwort, aber er hörte etwas klirren auf dem Waschtisch, – und plötzlich schwenkte er die Arme, schrie, schlug gegen die Tür und schrie unförmlich. Vor seinem eigenen Lärm hörte er nicht, wie sie öffnete, und schrie noch, als sie schon vor ihm stand. „Was willst du?“ fragte sie zornig, worauf Diederich sich sammelte. Von der Treppe spähten mit fragendem Entsetzen Frau Heßling und Guste hinauf. „Unten bleiben!“ befahl er, und er drängte Emmi in das Zimmer zurück. Er schloß die Tür. „Das brauchen die anderen nicht zu riechen“, sagte er knapp, und er nahm aus der Waschschüssel einen kleinen Schwamm, der von Chloroform troff. Er hielt ihn mit gestrecktem Arm von sich fort und heischte: „Woher hast du das?“ Sie warf den Kopf zurück und sah ihn an, sagte aber nichts. Je länger dies dauerte, um so weniger wichtig fühlte Diederich die Frage werden, die doch von Rechts wegen die erste war. Schließlich ging er einfach zum Fenster und warf den Schwamm in den dunklen Hof. Es platschte, er war in den Bach gefallen. Diederich seufzte erleichtert.

      [pg 423]

      Jetzt hatte Emmi eine Frage. „Was führst du hier eigentlich auf? Laß mich gefälligst machen, was ich will!“

      Dies kam ihm unerwartet. „Ja, was – was willst du denn?“

      Sie sah weg, sie sagte achselzuckend: „Dir kann es gleich sein.“

      „Na, höre mal!“ Diederich empörte sich. „Wenn du vor deinem himmlischen Richter dich nicht mehr genierst, was ich persönlich durchaus mißbillige: ein bißchen Rücksicht könntest du wohl auch auf uns hier nehmen. Man ist nicht allein auf der Welt.“

      Ihre Gleichgültigkeit verletzte ihn ernstlich. „Einen Skandal in meinem Hause verbitte ich mir! Ich bin der erste, den es trifft.“

      Plötzlich sah sie ihn an. „Und ich?“

      Er schnappte. „Meine Ehre –!“ Aber er hörte gleich wieder auf; ihre Miene, die er nie so ausdrucksvoll gekannt hatte, klagte und höhnte zugleich. In seiner Verwirrung ging er zur Tür. Hier fiel ihm ein, was das Gegebene sei.

      „Im übrigen werde ich meinerseits als Bruder und Ehrenmann natürlich voll und ganz meine Pflicht tun. Ich darf erwarten, daß du dir inzwischen die äußerste Zurückhaltung auferlegst.“ Mit einem Blick nach der Waschschüssel, aus der noch immer der Geruch kam.

      „Dein Ehrenwort!“

      „Laß mich in Ruhe“, sagte Emmi. Da kehrte Diederich zurück.

      „Du scheinst dir des Ernstes der Lage denn doch nicht bewußt zu sein. Du hast, wenn das, was ich fürchten muß, wahr ist –“

      „Es ist wahr“, sagte Emmi.

      „Dann hast du nicht nur deine eigene Existenz, zum mindesten deine gesellschaftliche, in Frage gestellt, sondern eine ganze Familie mit Schande bedeckt. Und wenn ich nun im Namen von Pflicht und Ehre vor dich hintrete –“

      „Dann ist es auch noch so“, sagte Emmi.

      Er erschrak; er setzte an, um seinen Abscheu zu bekunden vor so viel Zynismus, aber in Emmis Gesicht stand zu deutlich, was alles sie durchschaut und abgetan hinter sich ließ. Vor der Überlegenheit ihrer Verzweiflung kam Diederich ein Schaudern an. In ihm zersprang es wie künstliche Federn. Die Beine wurden ihm weich, er setzte sich und brachte hervor: „So sag’ mir doch nur –. Ich will dir auch –.“ Er sah an Emmis Erscheinung hin, das Wort Verzeihen blieb ihm stecken. „Ich will dir helfen“, sagte er. Sie sagte müde: „Wie willst du das wohl machen?“ und sie lehnte sich drüben an die Wand.

      Er sah vor sich nieder. „Du mußt mir freilich einige Aufklärungen geben: ich meine, über gewisse Einzelheiten. Ich vermute, daß es schon seit deinen Reitstunden dauert?...“

      Sie ließ ihn weiter vermuten, sie bestätigte nicht, noch widersprach sie – wie er aber zu ihr aufsah, hatte sie weich geöffnete Lippen, und ihr Blick hing an ihm mit Staunen. Er begriff, daß sie staunte, weil er vieles, das sie allein getragen hatte, ihr abnahm, indem er es aussprach. Ein unbekannter Stolz erfaßte sein Herz, er stand auf und sagte vertraulich: „Verlaß dich auf mich. Gleich morgen früh gehe ich hin.“

      Sie bewegte leise und angstvoll den Kopf.

      „Du kennst das nicht. Es ist aus.“

      Da machte er seine Stimme wohlgemut. „Ganz wehrlos sind wir auch nicht! Ich möchte doch sehen!“

      Zum Abschied gab er ihr die Hand. Sie rief ihn nochmals zurück.

      „Du wirst ihn fordern?“ Sie riß die Augen auf und hielt die Hand vor den Mund.

      „Wieso?“ machte Diederich, denn hieran hatte er nicht mehr gedacht.

      „Schwöre mir, daß du ihn nicht forderst!“

      Er versprach es. Zugleich errötete er, denn er hätte gern noch gewußt, für wen sie fürchtete, für ihn oder für den anderen. Dem anderen würde er es nicht gegönnt haben. Aber er unterdrückte die Frage, weil die Antwort ihr peinlich sein konnte; und er verließ das Zimmer beinahe auf den Fußspitzen.

      Die beiden Frauen, die noch immer drunten warteten, schickte er streng zu Bett. Er selbst legte sich erst dann neben Guste, als sie schon schlief. Er hatte zu bedenken, wie er morgen auftreten würde. Natürlich imponieren! Zweifel am Ausgang der Sache überhaupt nicht zulassen! Aber anstatt seiner eigenen, schneidigen Gestalt erschien vor Diederichs Geist immer wieder ein gedrungener Mann mit blanken bekümmerten Augen, der bat, aufbrauste und ganz zusammenbrach: Herr Göppel, Agnes Göppels Vater. Jetzt verstand Diederich in banger Seele, wie damals dem Vater zumute gewesen war. „Du kennst das nicht“, meinte Emmi. Er kannte es – weil er es zugefügt hatte.

      „Gott bewahre!“ sagte er laut und wälzte sich herum. „Ich lasse mich auf die Sache nicht ein. Emmi hat doch nur geblufft mit dem Chloroform. Die Weiber sind raffiniert genug dafür. Ich werf’ sie hinaus, wie es sich gehört!“ Da stand vor ihm auf regnerischer Straße Agnes und starrte, das Gesicht weiß von Gaslicht, zu seinem Fenster hinauf. Er deckte das Bettuch über seine Augen. [pg 426]„Ich kann sie nicht auf die Straße jagen!“ Es ward Morgen, und er sah verwundert, was mit ihm geschehen war.

      „Ein Leutnant steht früh auf“, dachte er und entwischte, bevor Guste wach wurde. Hinter dem Sachsentor die Gärten zwitscherten und dufteten zum Frühlingshimmel. Die Villen, noch verschlossen, sahen frisch gewaschen aus und als seien lauter Neuvermählte hineingezogen. „Wer weiß,“ dachte Diederich und atmete die gute Luft ein, „vielleicht ist es gar nicht schwer. Es gibt anständige Menschen. Auch liegen die Dinge doch wesentlich günstiger als –“ Er ließ den Gedanken lieber fallen. Dort hinten hielt ein Wagen – vor welchem Haus denn? Also doch. Das Gitter stand offen, auch die Tür. Der Bursche kam ihm entgegen. „Lassen Sie nur,“ sagte Diederich, „ich sehe den Herrn Leutnant schon.“ Denn im Zimmer geradeaus packte Herr von Brietzen einen Koffer. „So früh?“ fragte er, ließ den Deckel des Koffers fallen und klemmte sich den Finger ein. „Verdammt.“ Diederich dachte entmutigt: „Er ist auch beim Packen.“

      „Welchem Zufall verdanke ich denn –“ begann Herr von Brietzen, aber Diederich machte, ohne es zu wollen, eine Bewegung, des Sinnes, daß dies unnütz sei. Trotzdem natürlich leugnete Herr von Brietzen. Er leugnete sogar länger als damals Diederich, und Diederich erkannte dies innerlich an, denn wenn es auf die Ehre eines Mädchens ankam, hatte ein Leutnant immerhin noch um einige Grade genauer zu sein als ein Neuteutone. Als man endlich über die Lage der Dinge im reinen war, stellte Herr von Brietzen sich dem Bruder sofort zur Verfügung, was von ihm gewiß nicht anders zu erwarten war. Aber Diederich, trotz seinem tiefen Bangen, erwiderte mit heiterer Stirn, er hoffe, eine Austragung mit den Waffen er[pg 427]übrige sich, wenn nämlich Herr von Brietzen –. Und Herr von Brietzen machte eben das Gesicht, das Diederich vorhergesehen hatte, und brauchte eben die Ausreden, die in Diederichs Geist schon erklungen waren. In die Enge getrieben, sagte er den Satz, den Diederich vor allem fürchtete und der, er sah es ein, nicht zu vermeiden war. Ein Mädchen, das