Dichter und ihre Gesellen. Joseph von Eichendorff

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Название Dichter und ihre Gesellen
Автор произведения Joseph von Eichendorff
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726642834



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Pause fort: „Hab ich doch heute von Tagesanbruch in Haus und Hof zu schaffen gehabt, daß mir ordentlich alle Glieder wehtun. Nun, dafür schmeckt auch am Abend die Ruhe, wenn man sich wacker gerührt und seine Pflichten erfüllt hat.“ Otto errötete flüchtig, ohne etwas darauf zu erwidern. Fortunat aber fiel es bei diesen Worten erst auf, wie sonderbar allerdings Otto seit einiger Zeit erschien. Alle Morgen zog er ganz allein in den Wald hinaus und kam selten vor Mittag wieder zum Vorschein. Dann war er einsilbig, schüchtern, zerstreut, und oft mitten in den heitersten Augenblicken flog es über sein freundliches Gesicht wie ein Wolkenschatten über eine schöne, sonnenhelle Gegend.

      Man hatte unterdes das Abendessen aufgetragen, und die rüstige Amtmann, die es nun heut einmal auf Otton abgesehen zu haben schien, begann, indem sie den Braten zerschnitt und jeden reichlich davon beteilte, sich mit allerlei weisen Redensarten und spitzigen Ausfällen über die teuren Zeiten zu verbreiten, und wie notwendig es sei, daß ein junger Mensch jetzt frühzeitig darauf denke, dereinst sein sicheres Brot zu haben. Da seien noch immer Toren genug in der Welt, um reichen Leuten die Zeit zu vertreiben mit schönen Bildern, Komödienspielen oder Versemachen – das sei ein bloß herrschaftliches Vergnügen, setzte sie schnell verbessernd hinzu, indem ihr dabei Graf Victor einfallen mochte. Der Amtmann hatte die Salatschüssel vor sich geschoben und aß hastig, man konnte nicht erraten, ob er sich über Otto oder über seine Frau ärgerte. „Da fällt mir immer mein seliger Bruder ein“, hob die letztere wieder an; „er hatte auch studiert, aber das war ein gescheuter Kopf, der ließ die Phantasten ablaufen, setzte sich auf seine Brotwissenschaften, heiratete eine gebildete, vernünftige Frau, und Gott hat seinen Ehestand gesegnet. Nun, du kannst es ja selber bezeugen“, fuhr sie zu dem Amtmann gewendet fort, empfindlich, daß er ihr gar nicht beistimmte, „der ließ sich zu seiner Hochzeit von den besten Poeten Schäfergedichte machen, Gott weiß, wo die nun selber die Schafe hüten.“ Hier brach Otto, der bis jetzt sichtbar mit sich selbst kämpfte, plötzlich mit verbissener Bitterkeit und einem höhnischen Stolze los, den niemand dem sanften Jünglinge zugetraut hatte. „Lieber Schweine hüten“, sagte er, „als so zeitlebens auf der Treckschuite gemeiner Glückseligkeit vom Buttermarkt zum Käsemarkt fahren. Der liebe Gott schafft noch täglich Edelleute und Pöbel, gleichviel, ob sie Adelsdiplome haben oder nicht. Und ich will ein Herr sein und bleiben, weil ich’s bin, und jene Knechte sollen mich speisen und bedienen, wie es ihnen zukommt!“ Das war der bestürzten Amtmann zu toll. „Unsinniger, aufgeblasener Mensch!“ rief sie hochrot vor Zorn; „so iß meinetwegen trockenes Brot, wenn du Butter und Käse verachtest! Aber wir wissens wohl, wo du die Komödianten-Sprüche gelernt hast. Denke nur nicht, in unser ehrliches Haus einmal eine Theaterprinzessin heimzuführen, so eine von einer Welt ausgeklatschte Kreatur!“

      Aber Otto hörte nicht mehr, er war rasch aufgestanden und schritt zürnend in den nächtlichen Garten hinein. Walter, in sichtbarer Verlegenheit, wollte ihm folgen, wurde aber von Fortunat aufgehalten, der ihn schnell in einen Seitengang führte. „Sage doch nur“, fragte er Walter, „was gibts denn eigentlich hier, und wo willst du hin?“ „Den Gekränkten trösten“, erwiderte Walter, „und – vermag ich’s sonst – ihm auch den Kopf ein wenig zurechtsetzen. Komm mit!“ „Das laß ich wohl bleiben“, rief Fortunat aus, „ich bin froh, wenn mir mein eigener Kopf zuweilen noch so leidlich sitzt.“ „Mein Vorhaben“, sagte Walter, „ist wahrhaftig edler, als es dir nach deinem ironischen Gesicht vielleicht erscheinen mag. Denke dir nur recht diesen stillbeschränkten, heitern Familienkreis, dessen ganzes Trachten und Hoffen auf den einzigen Jüngling gerichtet ist, der auf der Schule immer für den aufgewecktesten und geschicktesten galt. Und nun kehrt er von der Universität zurück, verwandelt, träumerisch in sich gekehrt, unlustig zu jeder tüchtigen Arbeit und einer verworrenen Welt von ausschweifenden Gedanken und Wünschen nachhängend, um – wie ich fürchte – dereinst zu spät von der grausamsten Täuschung zu erwachen und ein verlorenes Leben zu bereuen. Nein, ich will es endlich versuchen, ihn auf das Gefährliche seines Pfades aufmerksam zu machen.“ Fortunat war über diese Worte ernst und nachsinnend geworden. „Du ehrliche Seele!“ sagte er endlich, „so versuche dich denn an ihm. Ist der junge Mensch ein halber Philister, so hilf ihm völlig aus dem tollen Poetenmantel heraus, und ist es rechter Ernst mit seinem Talent, so muß er ja doch weiter und rennt dich über, wärst du auch der weise Salomo selber.“

      Treckschuite (holl.): Treidelschiff (von Pferden gezogen).

      Alle vor dem Hause waren durch den Vorfall gestört, die kleine Gesellschaft sah stumm und kopfhängend auf die Teller. Draußen über den Tälern war es indes schon stiller und dunkler geworden, nur in weiter Ferne sah man zuweilen leichte Blitze über den Bergen schweifen. Die Amtmann blickte mit heimlicher Besorgnis, wie es schien, bald in das Wetterleuchten, bald nach der Richtung hin, wo Otto verschwunden war, und ging dann, ohne ein Wort zu sagen, in das Haus hinein. Endlich brach der Amtmann ärgerlich die unheimliche Stille. „Es geht auch alles konfus jetzt“, sagte er zu Fortunat, „im Frühling Gewitter, im Sommer kalt, in der Jugend alt und im Alter närrisch! Glauben Sie mir, unsere ganze Zeit jetzt ist gerade wie dieses verrückte Frühlingswetter, die Schwüle brütet und treibt alles vorzeitig hervor, und ich fürchte, es schießt mehr ins Kraut als in die Blüte. Unsere Jungens wissen schon jetzt mehr, als wir jemals erfahren haben, und recken und sehnen sich aus allen Gelenken heraus, während wir in unserer lustigen und gesunden Jugendzeit ohne besondere Sehnsucht hinreichend dumme Streiche machten und erst die fatalen Lümmeljahre überstehen mußten. Ja, es ist recht verdrießlich! Man möchte sich gern bequem, fröhlich und auf die Dauer einrichten, wie in der guten alten Zeit, aber der ferne Donner verkündigt überall den unheimlichen Ernst, und so sitzen wir verwirrt, ungewiß und in banger Erwartung vor dem dunklen Vorhang, hinter dem fortwährend Gott weiß, was! unruhig und feurig zuckt.“ – Unterdes hatte Walter den verscheuchten Otto im Garten aufgefunden. Empört und in innerster Seele verletzt, saß er wie eine Nachteule mitten im Gestrüpp. Als er Walter erblickte, sprang er rasch auf und kam ihm mit erzwungener, gleichgültiger Höflichkeit entgegen. „Die Tante“, sagte er, „ist gewiß schon besorgt, daß ich draußen nicht den Schnupfen bekomme. Freilich die Nase ist ein empfindlicher Teil, da sitzt die Seele schon tiefer und wärmer, die ficht so leicht nichts an.“ Walter stand einen Augenblick verblüfft, denn es war ihm, als säh er auf einmal sich selber als Studenten vor sich stehen, er war ganz aus seinem Konzept gebracht und ergriff gerührt die Hand des aufgeregten Jünglings. „Ich komme keineswegs“, sagte er endlich, „um das harte, heftige Wesen der Amtmann zu verteidigen, obgleich es auch nur eine andere, ungeschickte Form der Liebe ist. Das Angedenken meiner eigenen Jugend ist es, was mich herführt, der aufrichtige Schmerz um ein junges, heitres Gemüt, das auf diesem Wege sich immer tiefer und tiefer in der blühenden Einsamkeit verirrt und verwildert. Ich kenne diese trostlose Öde junger Seelen gar wohl, das Heimweh ohne Heimat, diese labyrinthische Selbstquälerei. Sie stehen verlassen auf der Welt, ohne Vater und Mutter – verlangt Sie in dieser Einsamkeit nach einem Freunde, und wollen Sie’s mit mir versuchen, so biete ich Ihnen meine Hand bis in den Tod und will raten, schützen, helfen, wo ich kann!“ Otto sah ihn erstaunt an, denn in Walters Worten war jener wunderbare Klang ernster Güte, der überall unmittelbar zum Herzen geht. „Sie sind im Amte, angesehen, ruhig –“ sagte er dann nach einer kurzen Pause. „Und wenn ich Ihnen nun auch erzählen wollte von dem zauberischen Spielmann, der jeden Frühling, wenn der Sonnenschein sich munter über die Felder ausbreitet, aus dem Venusberge kommt mit neuen, wunderbaren Liedern und die Seelen verlockt, von dem in schwüler Mittagsstunde der einsame Vogelsang schallt, von dem die Ströme und Quellen verworren rauschen im Mondschein, und die badenden Nixen wie im Traume singen durch die stille, goldne Nacht – Sie würden mich ja doch nur für verrückt halten!“ Walter erschrak fast, so irr und fremd leuchteten die Augen des Jünglings im Streiflicht des Mondes. „Und ich bin es ja auch in der Tat!“ fuhr dieser fort, „bildete mir da ein, dem Zauberstrom von Klängen unversehrt folgen zu dürfen und ein Dichter zu sein, der die Zauber regiert! Aber nun weiß ichs besser. Alle Engel, die durch die erste Dämmerung meiner Kindheit zogen, was ich oft betend heimlich ersehnte und immer und immer vergeblich auszusprechen versuchte: ich fand es heut auf einmal mit freudigem Erschrecken in des Grafen Victors Buch, er hat es kühn, frisch und jung wie eine Zauberinsel entdeckt – und ich weiß nicht mehr, was ich will. – Aber es ist noch immer Zeit, ich bin noch jung. Und wie ich das Buch hier vom Berge in den Fluß hinunterschleudere, so entsag ich von heut ab der fröhlichen Dichtkunst,