Taubenblut. Lutz Kreutzer

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Название Taubenblut
Автор произведения Lutz Kreutzer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783969690000



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nennt sich …«, sie sah von ihrem Zettel auf und sagte langsam und deutlich: »… Nuh Poo Tubkim-Gongutih in Klammern Hausmayr.«

      Sentlinger verschluckte sich, hustete los, und spratzte den Tee auf seinen Schreibtisch. Augenblicklich nahm er ein Taschentuch aus seiner Hose und putzte alles wieder weg. Schuldbewusst beobachtete er seine Schwester, die ihn grimmig anstarrte. Wie früher als Kind spürte er die Beklommenheit.

      »Merkwürdig, was?«, sagte sie und hob die Schultern. »Hat der was zu tun mit Pater Hausmayr? Bei dem du vor dreißig Jahren die Grabrede gehalten hast? Erinnerst du dich nicht? Pater Hausmayr!«

      Sie sah ihm genau zu, wie sich sein Gesicht vor Anspannung verfärbte.

      »Spiel nicht den Dummen!«, sagte sie barsch. »Er hieß Pater Bruno. Hat oft sonntags bei uns auf der Fraueninsel die Messe gelesen.«

      Sentlinger erkannte, dass es nichts brachte, den Ahnungslosen zu spielen. »Was, der? Oh Gott. Ja natürlich erinnere ich mich.«

      »Dein Jugendfreund. Und Schürzenjäger ersten Ranges!«, erwiderte sie.

      »Davon hab ich damals nichts mitbekommen.«

      »Unfug!«, schrie sie. »Das wusste jeder! Und ich möchte nicht wissen, was ihr beide gemeinsam alles …«

      »Trude! Das reicht!«, schimpfte er. »Schließlich hast du damals auch mehr als nur ein Auge auf ihn geworfen.«

      Schwester Irmentrud hatte mit dieser Direktheit nicht gerechnet. Wie konnte er es wagen? Sie fühlte sich ertappt, sah beschämt zu Boden und stutzte. »Ja, und irgendwann war er weg nach …«, sie schlug die Hände vor das Gesicht. »... Thailand!«, schrie sie aufgewühlt. »Nach Thailand! Verstehst du? Oh Gott.« Sie streckte die Hände nach oben und warf den Kopf in den Nacken.

      »Ja, genau, er ist nach Thailand abgehauen. Das war damals für viele völlig überraschend. Vor allem auch für den katholischen Herrenorden. Pater Bruno war früher schließlich im Vorstand, wenn auch nur Beisitzer. Ich war damals bereits Schatzmeister.«

      »Der katholische Herrenorden, diese Ansammlung scheinheiliger Moralapostel!«, schimpfte sie.

      »Ich darf doch bitten, Trude. Beherrsche dich!«

      »Jeder wusste, wie er gestorben ist. Aber niemand durfte das auch nur denken.« Flüsternd fügte sie hinzu: »Geschweige denn laut sagen.«

      Er stand auf und ging zum Fenster. »Es war die schwierigste Grabrede meiner Karriere.«

      »Ich war ja nicht dabei damals«, sagte sie, als müsse sie sich verteidigen. Sie sah erneut zu Boden.

      »Damals warst du noch einfache Nonne. Du konntest an der Beerdigung nicht teilnehmen, weil du auf einem Seminar in der Nähe von Graz warst«, sagte er, den Blick nach draußen auf die Parklandschaft gerichtet. »Da hast du doch deine verrückte Freundin kennengelernt.«

      »Ach ja, Adelmunda«, ergänzte sie gedankenverloren, »sie war so hilflos damals. Ich bin so froh, dass ich sie zu mir geholt habe.« Liebevoll bewegte sie den Kopf hin und her und richtete ihren verklärten Blick ein paar Sekunden ins Leere. »Aber du willst ablenken«, schob sie hinterher.

      »Als du damals zurückgekommen bist aus Graz? Wie hast du eigentlich von Brunos Tod erfahren?«

      »Nach meiner Rückkehr auf die Fraueninsel«, sagte sie betrübt, »durfte nicht über seine Beerdigung gesprochen werden. Pater Bruno wurde ganz einfach ignoriert und seine Existenz vergessen. Sein Grab ist in der hintersten Ecke unseres Friedhofs, wie du weißt.« Sie machte eine kurze Pause und atmete tief durch. »Die jungen Nonnen wissen gar nicht mehr, wer dort liegt. Die Inschrift auf dem Kreuz ist fast verblasst.«

      »Bei seiner Geschichte, kein Wunder!«

      »Wir haben einen Sünder auf unserem Friedhof beerdigt«, seufzte sie.

      »Sündiger Bock wäre treffender.«

      »Erwin, lass diese gottlosen Bemerkungen!«, befahl sie streng. Sentlinger nahm wieder Platz an seinem Schreibtisch.

      Schwester Irmentrud fuhr fort. »Was genau hat er gemacht in Thailand? Du hast ihn doch besser gekannt, diesen … heiligen Schürzenjäger.«

      »Besser gekannt? Was habe ich gekannt?«

      »Na?«, fragte sie voller Ungeduld. »Was genau er dort wollte. In Thailand.«

      »Musst du das wissen?«

      Sie nickte grimmig und fordernd.

      »Hmm, na gut. Offiziell sollte er wohl missionieren. Er hat das mit der Nächstenliebe aber wohl, sagen wir, sehr frei interpretiert.«

      »Schwachkopf!«, schimpfte sie. »Komm zum Punkt!«

      »Er hat dort mit einer … einer Liebesdienerin ein Kind gezeugt. Einen Sohn, hieß es.«

      »Allmächtiger!«, rief sie. »Und jetzt holt uns der Fluch ein!« Sie bekreuzigte sich. »Der Herrgott schickt uns eine schwere Prüfung. Einen Heiden und Gotteslästerer. Ein Kind der Sünde und des Teufels. Im Gewand einer Frau. Und das auf der Fraueninsel!«

      »Passt doch«, entglitt es Sentlinger grinsend.

      Schwester Irmentrud starrte ihn fassungslos an. Sie stand auf, nahm das Lineal vom Schreibtisch, ging auf ihn zu, presste die Lippen zusammen und schlug mehrfach mit dem Lineal in ihre Hand.

      Sentlinger wurde puterrot und stammelte eine Entschuldigung. Noch immer hatte diese Frau Macht über ihn, und für kurze Zeit war er wieder der kleine Junge. Er sah ihre Augen blitzen und befürchtete, dass er sich wieder vorbeugen und ohne Widerspruch seine Strafe erwarten müsse, die sie sogleich zu vollstrecken drohte. Doch sie blieb, wo sie war.

      Mit verkniffenem Gesicht kauerte Sentlinger eingeschüchtert und zusammengesunken in seinem Schreibtischsessel. Schwester Irmentrud setzte sich.

      »Trude, so darfst du nicht über einen fremden Menschen reden«, stammelte er. »Er ist trotz allem ein Sohn der Kirche. Immerhin hat er ...«

      »Ein Sohn der Kirche?«, schrie sie ihn an. »Ja Kruzifix nochmal! Bist du denn von allen Heiligen verlassen?« Sie spie ihre Worte aus und geißelte Sentlinger mit ihren Blicken. »Dieser Kerl ist ein Bastard des Teufels, er wurde mit einer thailändischen Hure gezeugt!« Sie war außer sich und schlug wieder und wieder so vehement mit dem Lineal auf den Schreibtisch, dass die Teetasse umfiel.

      Sentlinger stand auf, seine Haltung aber blieb devot und gebückt. »Trude, was soll ich tun? Ich kann da gar nichts machen. Es ist sicherlich legal, dass dieser Mann die Häuser gekauft hat.«

      »Ahh!«, schrie sie laut. »Hör auf, dich wie Nasenschleim zu benehmen. Du bist Staatssekretär! Du musst etwas gegen all das unternehmen können!« Sie schnaubte vor Wut.

      »Es würde meine Karriere arg belasten, Trude!«, sagte er kleinlaut. »Ich … ich sitz momentan auf einem Schleudersitz.«

      »Was ist los, Erwin?«, geiferte sie. »Hast du wieder Mist gebaut. Mit deinen … gottlosen finnischen Hurensöhnen?« Sie verzog verächtlich das Gesicht.

      »Trude«, beschwor er sie. »Ich kann nicht.«

      »Und sag nicht immer Trude zu mir!«, keifte sie. »Irmentrud, Irmentrud, Irmentrud! Wann kriegst du das endlich rein in deinen plumpen Schädel?«

      »Ja, deinen richtigen Namen hast du ja noch nie leiden können«, keifte Sentlinger jetzt zurück, »aber Trude ist der Name deiner Kindheit, auf den du getauft wurdest. Vergiss das nicht, Schwester!«

      Sie atmete schwer. Danach wurde sie schlagartig ruhig. Ihr verbissenes Gesicht wandelte sich in eine Miene der Verzweiflung. »Wie kann dieser bunte Vogel überhaupt wissen, dass sein Vater bei uns beerdigt ist?«, fragte sie niedergeschlagen.

      Sentlinger genoss es jetzt, sie leiden zu sehen. »Vielleicht weiß er es gar nicht. Vielleicht hat Gottes Hand ihn zu euch geführt.«

      Ihr Gesicht nahm wieder diese Strenge an, die jedoch nicht mehr diese