Название | Generation 68 |
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Автор произведения | Hardy Hanappi |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783903061811 |
Sobald eine Haartracht Mode ist, muss sie dem ureigensten Gesetz der Mode, nämlich dem ihrer steten, immer rascheren Veränderung, gehorchen. Mode wird frei erfunden; und zwar in erster Linie, um die alte Mode obsolet zu machen (was sie ja als Mode tatsächlich auch ist) und damit neue Mode verkaufen zu können. So verschwanden die meisten langhaarigen jungen Männer in der Folge denn auch auf höchst »natürliche«, soll heißen, dem Marktgeschehen unterworfene Weise. Wie weit »Natürlichkeit« später mit der neuen Vorsilbe »Bio-« zu einem Marketingerfolg verdreht werden konnte, haben die letzten Jahrzehnte gezeigt. Das Misstrauen gegenüber dem Begriff des »Natürlichen« war aber in den 60er Jahren noch nicht vorhanden, damals stand die Berufung auf das Konzept noch im Widerspruch zur gesellschaftlich gefeierten technischen Machbarkeit einer platten Modernität – in Osteuropa exemplarisch durch Plattenbauten sichtbar gemacht.
Für die Mädchen stellte sich die Frage der Haarlänge etwas anders. Sie hatten die überkommenen, übertrieben gestylten Frisuren der weiblichen Hollywoodstars der 50er Jahre als abschreckendes Beispiel vor sich. Oder eben, im Osten, die braven (Kurz-)Haarschnitte der neuen, gleichberechtigten Arbeiterinnen des »realen Sozialismus«. Was konnte dem entgegengesetzt werden? Wie bei den jungen Männern das Diktat der Disziplin zum einigenden Feind wurde, so war der Anlass zu Widerstand bei den jungen Frauen die allgemeine Sittlichkeit, die von ihnen eingefordert wurde. In der damals breit akzeptierten gesellschaftlichen Hierarchie – sei es innerhalb der Familie oder in größeren sozialen Verbänden – waren sie den Männern untergeordnet. Als Gefährtinnen der wichtigeren Leithammel wurden sie demgemäß nach ihrem Betragen, ihrem Einfügen in die ihnen zugeteilten Rollen beurteilt. Die verschiedenen Dimensionen dieser Rollen waren institutionell und in den Gehirnen der Menschen vordefiniert. Wesentliche Aufzählungen waren Allgemeingut: Küche – Kinder – Kirche im Heiligen Land Tirol, oder, etwas verwegener, Hure – Mutter – Madonna als Stoff der Filmindustrie im Kopfkino der Männer. Gegen diese breiter angelegte bevormundende Unterwerfung zu revoltieren war nur als ebenso vielschichtiges Handeln möglich. Die Haarlänge hatte bei der Frau eine andere Bedeutung als beim Mann, dessen bloße Gefährtin sie nicht mehr sein wollte. Die Frisuren der Frauen waren ihren Aufgaben in ihrem zeitlichen Ablauf zugeordnet gewesen: jugendlich adrett und züchtig (Zöpfe?) für die jungen Mädchen; modisch aufgemotzt und beim Liebesakt aufgelöst und langhaarig (Leidenschaft?) im Paarungsalter; wiederum etwas kürzer und ernster, doch vor allem »gepflegt« im fortgeschrittenen Alter.
Der unmittelbare Ausweg aus diesem Haardiktat stellte sich folglich zunächst einmal als dessen blanke Ablehnung dar – jede, wie sie will. Und im Verein mit den anderen Dimensionen der Revolte, insbesondere der Revolte gegen sexuelle Nachrangigkeit, war auch bei den Frauen sehr rasch der Bezug zur »Natürlichkeit« gegeben. »Natürlich« hatten sie ebenso ihre sexuellen Wünsche wie die Männer, »natürlich« wuchsen ihnen ihre Haare ebenso wie ihr Busen und für beides lehnten sie Korrektur und Zurechtrichten gemäß gesellschaftlich akzeptierter Normen ab. Der Slogan »Banish the Bra« meinte das gesamte »unnatürliche« und höfische Gehabe der Elterngeneration und spielte zugleich auf die eigene Lustorientierung, die über den Ärger an Unbequemlichkeit hinausging, an. Haare mussten nicht mehr abrasiert werden, weibliche Körper brauchten nicht (wie in England damals üblich) zur Gänze eingepudert werden, Finger- und Zehennägel konnten unlackiert bleiben oder jedenfalls so verziert werden, dass sie die herrschenden Normen provozierten. Spätestens bei den Hippies der späten 60er Jahre war der befreite Haarwuchs – auch an den Beinen und unter den Achseln – auch bei den jungen Frauen angekommen. Die Revolte gegen Zucht und Ordnung in diesem Bereich war damit erledigt, war unwichtig geworden. Die Frauen setzten ihre breit angelegten Emanzipationskämpfe verstärkt auf anderen Schlachtfeldern fort.
Die Haartracht eignete sich stets in herausragender Weise als symbolisches Signal für den gesellschaftlichen Rang und die gesellschaftliche Haltung ihrer Trägerinnen und Träger. Sie wird auf den ersten Blick wahrgenommen. Sie entscheidet in Sekundenbruchteilen über die Einordnung des Gegenübers in den Katalog der eigenen Vorurteile. Ob überhaupt von einem Vorurteil zu einem etwas besser fundierten Urteil fortgeschritten wird, hängt ganz wesentlich von den ursprünglichen Vorurteilen ab. Intuitiv war das den Jungen der damaligen Generation bewusst. Die Spaltung der Begegnungen mit Menschen in solche mit jenen, die zu uns gehörten, und Begegnungen mit jenen, die uns ablehnten, war gewollt und wohltuend. Die äußerliche Absonderung machte sichtbar, dass Gemeinschaft und Kommune auf andere Weise und mit anderen Werten als den von der Nachkriegsgeneration aufgetischten gelebt werden konnte und möglich war. Das Bekenntnis zur Haarsymbolik erforderte persönliche Kämpfe – gegen die Familie, gegen Schule, gegen Militär, gegen Firmenchefs – und stärkte damit die Persönlichkeitsentwicklung. Wenn die Persönlichkeit im späteren Leben gebrochen wurde, wenn der Widerstand einknickte, spiegelte sich das in aller Regel auch in einem Wandel der Haartracht wieder. Aber bis heute schlummert unter der massakrierten Haarpracht so manchen Mannes um die 68 der Geist der einst erlebten Jugendrevolte.
Der Glatzkopf – auch Billardkugel genannt – ist inzwischen konsequenterweise zur neuen Symbolik der rechtsradikalen Jugendszene avanciert. Die Selbstverstümmelung, äußerlich und geistig, der in Wut ausschlagende Verlust eigener Persönlichkeit, war immer schon die Voraussetzung für Aggressivität, für die Verstümmelung anderer. Damit kehrt die Geschichte zum Ausgangspunkt der Revolte der Langhaarigen gegen den Militärdienst und die dort geforderte Uniformität zurück. In der Armee ist das Individuum dem militärischen Führer strikt unterworfen. Hat es seine Persönlichkeit bereits verloren (oder konnte es diese nie entwickeln), so wird seine Zugehörigkeit zum Führer durch uniforme Kastration »natürlichen« Äußeres und »natürlicher« Neigungen zur Schau getragen. Solche Selbstzüchtigung ist zugleich ein idealer Nährboden für Hass und Fanatismus, genau das, was erfolgreiche Kriegsführung braucht.
Wie man die Haare trägt, ist ohne Berücksichtigung des gesellschaftlichen Kontexts völlig von jedem inhaltlichen Gedanken getrennt. In diesem Sinne ist die Haartracht extrem flexibel, und das ist auch der offensichtliche Grund, warum man sie, sobald sie die Herrschenden in der Gesellschaft als schädlich bekämpfen wollen, so leicht in ein Phänomen der Mode zurückdrängen kann. Dieses Zurückdrängen bedeutet ein Vergessen in den Köpfen derer, die damit früher ihre eigene Revolte verbunden sahen. Viel leichter geht das klarerweise bei denjenigen, die das selbst nie erlebt haben, die der Fluch der späten Geburt getroffen hat und die diese Dinge nur vom Erzählen kennen. Für sie sind die langen Haare der jungen Männer ebenso wie die breitere Revolte gegen das Züchtige bei den jungen Frauen der 68er Schnee von gestern. Man kann auf dieses Detail der historischen Episode verächtlich oder liebevoll zurückblicken; aber wenn man es kennt und versteht, so wird die jeweilige eigene Einstellung auch die eigene Position in der Gesellschaft widerspiegeln.
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