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daraus zwei interessante Phänomene. Zum einen wird die Virtuosität der Musiker weniger an ihren technischen Fähigkeiten als vielmehr daran gemessen, wie gut es ihnen gelingt, ihr Publikum in den Bann ihres Beat zu ziehen. Zum anderen bewirkt die Identifikation von Zuhörern und Musikern, dass eine ganze Generation beginnt die zentralen Instrumente des Beat – Gitarre, Bass und Schlagzeug – zumindest ansatzweise zu erlernen. Und so laufen heute noch Scharen von 68ern herum, die mit diesen Instrumenten etwas anfangen können. Auch darin unterscheiden sie sich von jenen, denen von den Eltern Klavier- oder Geigenunterricht aufgezwungen wurde oder die am Land zur Blasmusik vergattert wurden. Wo uns das als Kind drohte, sind wir davor in unsere eigene Musik geflüchtet.

      Der frühe Beat der Beatles und der Rolling Stones war aber erst der Anfang. Wo vor allem bei den Beatles zunächst noch recht lieblich vom Händchenhalten und dem Liebesbekenntnis gesungen wurde, da brach sich schon bald der Brunftschrei nach Befriedigung, die Satisfaction Jaggers, seinen Weg. Die Beatles reagierten unverzüglich und überraschend: Sie hoben das Thema Liebe vom traditionellen Niveau des Schmachtens eines Mannes nach der Liebe einer bestimmten Frau auf das Niveau breiter, alle Menschen umfassender Liebe. Der »Summer of Love« in Kalifornien war in ihrer Hymne All You Need Is Love inkludiert. Ihre Musik blieb zwar stets ein wenig Zuckerlmusik, wenn auch mit originellen und oft gewagten Accessoires garniert, aber gerade dadurch gelang es ihr, mit parapolitischem Inhalt in die Gehirne der jungen 68er einzudringen. Bei den Stones hingegen bilden das Brechen von Widerstand, also Gewalt, und das frivole Spiel mit dieser das Einfallstor in die Seelen der Jugend. Sie erscheinen dem Establishment deshalb viel rascher als Feindbild, sie sprechen dessen Sprache. Die Stones haben als Band bis heute überlebt, die Beatles sind mit dem Tod John Lennons von der Bühne verschwunden. Zwei Heldensagen, die aus musikalischer Sicht die zwei komplementären Pfeiler des Beat widerspiegeln:

      Das eine Fundament ist das gemeinsame Lied, das die Beatles mit ins Ohr gehenden Melodien und Texten dem Beat eingepflanzt haben. Voll mit Überraschungen, neuen musikalischen Wendungen, originellen Ideen. Letztlich zeigt sich in den wenigen Jahren ihrer Entwicklung (1962–1970) eine ungeheure Vielfältigkeit bis hin zum Zerfall in vier Individualisten – sie stehen für die offene, unverfrorene Suche bis hin zum raschen Aufgehen in zielloser Diversität. Parallel dazu steht bereits am Beginn der Stones das puritanische Streben nach dem wahren R&B. Aus dem Drang, der Wurzel möglichst nahezukommen, entspringt der Begriff des eigenen, unverkennbaren Stils. Die Stones sind eine Kerntruppe (Jaggers–Richards–Jones) mit zwei nahen Trabanten (Watts–Wyman). Sie sind der Inbegriff von Identität, wenn sie überhaupt irgendetwas entdecken, dann ist das nur noch mehr von ihrem Stil. Dieses zweite – nur scheinbar entgegengesetzte – Fundament des Beat, das Kontinuierliche, ist ebenso wichtig wie das Explorative.

      Auf eben diesem zweifachen Element explodierte schließlich in der zweiten Hälfte der 60er Jahre das Elementarereignis Jimi Hendrix. Im Bewusstsein derer, die von ihm erfasst wurden, nimmt seine Musik eine absolute Sonderstellung ein. Dabei kam sie vielen 68ern im ersten Moment etwas unverdaulich vor. Der leichte Schwung der fast schon allzu vertrauten Kadenzenmusik der frühen Beatgruppen hatte es sich in den Ohren bequem gemacht. Selbst wenn die Beatles ein wenig LSD-inspiriert neue Klangerlebnisse ausprobierten und die Stones auf mehr Härte pochten, so blieb ihre Musik doch stets im Rahmen, stellte nur beschränkte Ansprüche an die Aufmerksamkeit. Die Droge Hendrix war da ein grundlegend anderes Kaliber. Er vereinte gleich mehrere Träume der Zeit und verschmolz sie in einem Tornado musikalischen Exzesses. Hendrix ist Solist, auch wenn er seinen Leuchtturm auf einem Teppich aus Akkorden und Rückkopplungen errichtet. Er hatte ein Leben voller Erfahrungen – die Jimi-Hendrix-Experience, die Band of Gypsys – hinter sich, als er starb. Als Hintergrundmusiker hatte er durch den Süden der USA getingelt, in Vietnam war er gewesen, in seinen Adern floss schwarzes und indianisches Blut, ebenso der unbändige Drang nach Freiheit, der so viele junge Amerikaner aller Hautfarben in dieser Zeit bewegte.

      Der Weg vom anonymen Bandmitglied zum Zentrum seiner Powergroup war aber auch ein Beispiel für eine etwas allgemeinere Entwicklung musikalischen Zusammenspiels. Die Bands vor den 60er Jahren spielten gerne bekannte Nummern, deren Wiedererkennungswert ihnen jedenfalls Aufmerksamkeit im Publikum garantierte. Das galt insbesondere auch für die Bigbands des Jazz. Während dort dann einzelne Solisten zwischenzeitlich glänzen durften, existierte parallel die Welt der prominenten Musikstars. Schlagerstars produzierten Hits, die sie bald gemäß ihrem Rang in Hitparaden als Stufen ihrer persönlichen Karriereleiter benützten. In der Welt der Musikstars war der einzelne Song dem Schlagerstar nachgeordnet. Stand hingegen der bekannte Song im Vordergrund, so wurde die Band gemäß der Qualität ihrer Interpretation beurteilt. Damit man sich dennoch einen Namen merkte, gab es einen Bandleader, der das Ensemble repräsentierte. Die frühen englischen Beatbands funktionierten ähnlich. Sie waren zwar prinzipiell kleiner als die Bigbands des Jazz oder die Rembetiko-Gruppen Griechenlands, aber wie dort diente meistens auch der extrovertierteste Musiker als Kopf der Gruppe, während darunter weitgehend Gleichberechtigung herrschte. Die Demokratie des Jazz ging aufgrund der Betonung freier Improvisation noch einen Schritt weiter. Üblicherweise wurden jedem Bandmitglied einige Takte zum ganz persönlichen Ausleben und Darbieten seiner musikalischen Ideen, seiner Interpretation eingeräumt. Interessant ist, dass während eines solchen Solos die anderen Bandmitglieder nicht unbedingt still bleiben mussten. Die Kunst des Beitragens von Akzenten im Zuge des Zuhörens zeichnete gute Musiker aus, selbst wenn sie gerade nicht im Vordergrund standen. Im Idealfall konnte dann eine zum Dialog ausgewachsene musikalische Konversation zweier Bandmitglieder zum nächsten Solo führen – oder die Wiederaufnahme des Themas einläuten. Musik als Sprache hebt menschliche Kommunikation in eine neue Sphäre, die Dialektik des Miteinander in der Musik ist eine ganz spezielle Erfahrung. Fast scheut man sich, darüber in profaner Sprache zu schreiben. In der Generation 68 ist der Funken dieser speziellen Erfahrung auf das Publikum übergesprungen, alle haben sich mit den Musikern identifiziert, alle sind Musiker geworden. Die englischen Beatbands haben das ermöglicht, indem sie die hohen technischen Ansprüche der Jazzer auf ein tieferes Niveau heruntergeholt haben. Der wichtigste Hebel dafür war schlicht und einfach der laute und eindringliche Beat selbst. Kein kompliziertes Geflecht von Rhythmen, kein Regelsystem des Taktes oder der Tanzschritte, einfach nur »the beat goes on«. Da verwundert es auch nicht, dass über dem lauten Beat zunächst kinderliedartige Melodien ausreichten. Erst mit der den amerikanischen schwarzen Bluessängern entlehnten Tiefe und Eindringlichkeit der einfachen Motive entwickelte sich der Beat zum Aufschrei einer Generation. Die Technik der Jazzer mutierte zu Geschwindigkeit und Lautstärke der Gitarrenhelden, zum Einfallsreichtum des Drummers, zur hypnotisierenden Unbeirrbarkeit des Bassisten. Die Entwicklung zum Trio der Supergroups wie Cream und Band of Gypsys war vorgezeichnet. Die zwei Gitarren, Rhythmus und Lead, der klassischen Beatbands wurden vom einsamen Helden (etwa Eric Clapton) zusammengefasst. Doch das war bereits das Ergebnis einer Vermarktungsstrategie, die eine multiplikative Wirkung einer Kombination großer Namen in den Gehirnen der Fans erwartete. In weiterer Folge hat diese Entwicklung dem Beat nicht gutgetan: Die Jazzer (etwa Miles Davies) wandten sich wieder ab, die Fangemeinde degenerierte in den Punk.

      In gewisser Weise stand Jimi Hendrix 1970 bereits am Höhepunkt und am Ende der Entwicklung des Beat, als er starb. Fast wäre er kurz vor seinem Tod auch Miles Davis begegnet. Es wäre ungerecht, nicht auch noch an die gar nicht so kleine Minderheit an 68ern zu denken, die später über den Jazzrock zum Jazz emigrierte. Wie es Miles Davis in den 60er Jahren vorgezeichnet hatte, war die Befreiung des Jazz von seinen antiquierten Formen nicht unbedingt der Schritt zum Free Jazz. Die Befreiung zu scheinbar völlig ungebundener individueller Improvisation barg die Gefahr des Auseinanderfalles der Gruppe ebenso wie die des Wegdriftens von den Zuhörern. Das war nicht nur ein musikalisches Phänomen; ganz generell geriet bei manchen, die zu sehr auf die eigene Freiheit schielten, die Revolte gegen die starren Regeln der alten Generation zu einem ungenießbaren Egotrip. Für die wilden Free-Jazz-Truppen kein Problem – sie lösten sich auf und verschwanden rasch. Die besten Musiker unter ihnen tauchten später in allen möglichen neuen Musikstilen wieder auf.

      Im Gegensatz dazu hatte Beatmusik als Weltsprache einen neuen kulturellen Kontinent erschlossen. Gewöhnliche Sprache verweist in letzter Konsequenz auf Außersprachliches, ordnet Beobachtetes mithilfe von Symbolen in kommunizierbare Systeme und wirkt dann zurück auf das Handeln des Beobachters. Beatmusik ist in erster Linie kein Verweis, sondern nur sie selbst. Schwach kann der