Название | Seeland Schneeland |
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Автор произведения | Mirko Bonné |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783731761891 |
Sie hatten über Piloten diskutiert. Eine Zeit lang schien sich Robey zu fangen, brachte dann aber Flieger und zurückgelegte Strecken durcheinander. Alcock war nicht mit Whitten Brown über den Atlantik geflogen, sondern mit Ross Smith nach Australien.
Weil er stets als Erster bemerkte, dass er Unfug redete, war es bloß eine Frage der Zeit, bis er ungehalten wurde.
8025. Alles in dem Korridor drehte sich vor Meeks’ Augen. Das Teppichmuster war rätselhaft, und Dollar in Pfund umzurechnen traute er sich nicht mehr zu. Robeys Frage nach dem überreichlichen Trinkgeld für den Liftboy blieb unbeantwortet.
»Ein freundlicher Junge«, sagte Meeks.
»Welcher Junge, alter Junge? Siehst du Gespenster?«
»Er hat geduldig alle Fragen über den Mond beantwortet, die Sie ihm gestellt haben. Wie weit es ist bis zum Mond, wie es ist, dort zu leben, und was eine Suite im Mond kostet.«
»Wirklich? Wieso Mond, wie kommt der Scheißer darauf?«
»Wohl weil das Hotel The Moon heißt.«
»Welches Hotel? Was redest du für unzusamm, unzusammhäng.«
»Dieses Hotel, Diver.«
»Unfug.« Schwankend drehte er sich um und blickte den Korridor hinunter. »Quatschkopp. Der Mond ein Hotel! Noch schöner. Der Mond ist kein Hotel. Der Mond ist ein Ort am Himmel, ein runder Haufen Steine. Der um die Erde rumfliegt. Obwohl er keine Flügel hat! Wenn der Mond ein Hotel wäre, Brynnedybryn, wo ist dann mein Büro, und wo Grace?« Er rief, er brüllte den Flur hinunter nach seiner Sekretärin: »Grace! Grace! Wo zum Henker stecken Sie schon wieder? Zu mir, auf der Stelle! Auf meinen Schoß! Ich will deinen Hintern spüren, Miss Darcey!«
»Ich fürchte, dieses Hotel gehört Ihnen nicht«, sagte Meeks. »Kommen Sie, es ist spät. Der Tag war lang genug.«
Das Teppichmuster setzte sich in den Zimmern fort. In Suite 8065 platzierte er Robey in einen Sessel, der wie eine würfelförmig gefaltete Blumenwiese aussah. Während er ihm die Slipper von den Füßen zog, sank Diver in sich zusammen, blickte aber, den Kopf schief gelegt und den Mund offen, mit weit aufgerissenen Augen zu einem der Fenster. Davor lagen die dunkle Nacht, die Stadt, von deren Hafen aus sie Europa wieder verlassen würden, in einiger Entfernung die Laternen- und Lichterketten von Dampfern und Frachtern, dahinter die Silhouette der Isle of Wight vor der schwarzen Weite des Ärmelkanals.
Es klopfte. Meeks tastete sich zur Tür, öffnete und stand einem Boy gegenüber, der wie der Bruder oder Cousin des Liftboys aussah und sich respektvoll verneigte.
»Telegramm, Sir. Für Mr. Robey.«
»Was kostet das Ding, Junge?«, rief Diver aus dem Zimmer. »Wie viel willste haben dafür, he?«
Meeks nahm das zusammengefaltete Telegramm entgegen, gab dem Boy eine Münze und schloss die Tür.
Diver starrte ihn an. »Der Fahrstuhl«, sagte er. »Sie bauen den Fahrstuhl in mein Mondzimmer, richtig?«
»Soll ich Ihnen vorlesen?«
Er riss ihm das Blatt aus der Hand, klappte es auf, las, zog aus dem Jackett seine Brieftasche und ließ sie mitsamt der Nachricht wieder verschwinden, alles in einer einzigen fließenden Bewegung, die wie üblich nichts von seinem Alkoholpegel verriet – für Meeks seit langen Jahren ein Mysterium, wie er das anstellte.
»Gut, gut«, sagte Robey. »Verflucht noch mal!« Und sehr laut wiederholte er: »Gut! Gut! Egal. Egal, egal! Gottverflucht!«
Meeks stand auf, er kam sich doppelt so schwer vor. »Ich bringe Ihnen ein Glas Wasser und zwei Aspirin«, sagte er, indem er mit Mühe Robeys Schuhe aufhob, damit der nicht über sie stolperte. Er wusste aus Erfahrung, dass Divers Rausch seinen Zenit noch nicht erreicht hatte, denn es gab kein Besäufnis, keinen Absturz ohne unvergessliches Zeugnis von Robeys zerstörerischer Poesie. Ein solches aber stand noch aus.
»Bitte bleiben Sie sitzen.«
Als er aus dem Badezimmer zurück in den Salon kam, war der Sessel leer. Robey lehnte am offenen Fenster, Wind und Regentropfen fegten herein und bauschten den Vorhang, obwohl er sich daran festhielt. Er war nur noch im Hemd, die Hosenträger heruntergelassen auf die Hüften. Wo hatte er das Dinnerjackett gelassen …? Dann war er bei ihm und sah, die Hemdbrust fehlte ebenso. Das Hemd hatte er aufgeknöpft, mit zwei, drei Rucken wahrscheinlich aufgerissen, man sah das Unterhemd, die spärlich behaarte Brust.
»Nein, nein, nein, Diver!«, rief er. »Gehen Sie da weg, es ist ja viel zu kalt.«
Es war nie ratsam, ihn zu etwas bewegen zu wollen. Selbst in diesem erbarmungswürdigen Zustand war seine Widerspenstigkeit unerschütterlich. Kaum hatte er ihm die Tabletten auf den bebenden Handteller gelegt, reichte eine Bewegung, ein Streichen durch die Luft, schon verschwanden sie aus der Faust in der Schwärze vor dem Fenster, gefolgt von dem Glas, das er Meeks aus der Hand riss und hinausschleuderte und das man nicht mal zu Bruch gehen hörte. Unten im Hof waren wohl Beete, Büsche oder Baldachine mussten da in der Nacht herumstehen. Meeks dämmerte, wo Hemdbrust und Jackett geblieben waren.
»Bitte schließen Sie das Fenster«, sagte er. »Was halten Sie davon, wenn ich uns noch zwei Drinks bringen lasse?«
Am Abend vor Inkrafttreten der Prohibition vor gut einem Jahr hatten sie mit einer kleinen Gruppe ausgelassener Nachtschwärmer im Zero Trocadero an der Fifth Avenue gefeiert. Allerdings war schnell keinem mehr nach Feiern zumute gewesen. Robey hatte nach sechs Gläsern Gin oder Gin Fizz einer jungen Frau das Kleid vom Leib gezerrt, und als das arme Geschöpf dann dasaß, nur im Unterkleid, und immer wieder etwas wimmerte von merzerisiertem Kattun, hatte er ihr Dollarnoten, große Scheine, die sie unter Tränen anlecken musste, auf Dekolleté, Arme und Gesicht geklebt, auf jeden Fleck bloßer Haut, so lange, bis sie nicht mehr weinte, sondern wieder lachte, gackernd mit ihm weitertrank und schließlich tanzte, nur im Unterkleid auf dem Tisch, an dem er mit der jungen Miss Merriweather saß und an den jeder eingeladen wurde, der den beiden gefiel oder sie zum Staunen zu bringen vermochte. Am Nachbartisch pöbelte Zelda Fitzgerald erst, schluchzte dann und schlief schließlich an F. Scotts Schulter ein. Meeks hatte den berüchtigten Abend im Zero Trocadero unfreiwillig miterlebt, denn Robey wollte ihn nicht gehen lassen, unter keinen Umständen vor Mitternacht, wenn das Alkoholverbot in Kraft trat: »Ich binde dich fest! Du kommst an die Leine, Brynny!«
Ob Robey auch seine Brieftasche aus dem Fenster geworfen hatte, wusste er nicht, zumindest aber war sie nirgends zu sehen, und so zahlte er aus der eigenen Tasche auch das Trinkgeld für den Boy, der die bestellten Drinks brachte – wieder ein zugleich anderer und zum Verwechseln ähnlicher Junge.
Mit den Gläsern ging er hinüber in den Salon zu dem Blumenwiesensessel, in dem Robey kauerte wie zuvor und so düster durch das Zimmer blickte, als hätte ihm dort eine Gesellschaft aus unsichtbaren Kritikern bittere Vorwürfe gemacht.
»Danke, Bryn«, sagte er überraschend milde und klar. Er nahm das Glas und trank es mit wenigen Schlucken halb leer.
Meeks postierte sich am Fenster. Abwechselnd blickte er auf Robey und den Cocktail, der golden in dessen Hand schimmerte. Dabei nippte er an seinem eigenen und fand den Vermouth wie schon den in der Bar viel zu lieblich.
Aber auch dieser achte Manhattan zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Robey entspannte sich, statt vollends wegzudämmern, und zusehends lockerte sich seine Verkrampfung. Er streckte die Beine aus, verlangte nach einem Kissen, bettete den Hinterkopf an die Sessellehne, trank in schmatzenden Schlucken und begann schließlich, es war abzusehen gewesen, seinen Lakaien an einer wirren, lachhaften Verzweiflung teilhaben zu lassen.
»Setz dich, alter Junge«, sagte er, »und sieh mich nicht so entgeistert an. Ich erklär dir, worüber ich nicht wegkomme …«
… Ach, Quatsch, nicht diese walisische Stewardess, die