Название | Durch die Dornenhecke |
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Автор произведения | Iðunn Steinsdóttir |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711464687 |
Plötzlich zischte es, und ein kleines weißes Ding kam im hohen Bogen über die Dornenhecke herüber und fiel dicht bei Alfrun zur Erde.
“Was ist denn das?” fragte Godelinde neugierig.
“Ein weißer Stein”, sagte Obbi.
“Nein! Ist das vielleicht ein Brief?” fragte Alfrun. Sie nahm das Ding auf. Ein weißer Zettel kam zum Vorschein, der um einen Stein gewickelt war.
“Laß doch sehn!” Obbi und Kori reckten die Hälse.
“Dies ist eine Botschaft von drüben”, verkündete Alfrun und staunte die eigenartigen Buchstaben an, die auf den weißen Bogen gekritzelt waren.
“Was hab ich gesagt? Ich hab geahnt, daß uns jemand eine Nachricht geben wird”, sagte Obbi.
“Was steht denn da?” fragte Kori.
Langsam entzifferte Alfrun den Brief von drüben.
“Ihr lieben Freunde und Vettern!
Wir leben hier sehr gut. Ungeheuer, unser Wohltäter, ist gut zu uns, wie zu Brüdern. Nur eines betrübt uns noch, daß ihr so arm seid und ohne Freude hinter der Dornenhecke aushalten müßt.
Möge Euch ein gutes Schicksal auch solch einen Wohltäter senden!
Grüße von eurem Freund und Vetter
Ratbold.”
Am Abend, als Alt-Siw den Leuten diesen Brief am Wachtfeuer vorlas, kamen alle in Aufregung. Sie waren verwundert und erstaunt und wollten ihren Augen und Ohren nicht trauen. Plötzlich erscholl ein höhnisches Lachen, so kalt, daß sie fast glaubten, es komme aus Ungeheuers Kehle. Aber es war Alfruns Vater, der zu lachen anfing, und dann fiel einer nach dem andern ein.
“Bildet er sich wirklich ein, daß wir so etwas glauben? Das hat er doch nur geschrieben, um uns zu täuschen”, hörte man von allen Seiten.
Aber Herbald lachte nicht.
“Ungeheuer kann unsre Sprache weder sprechen noch schreiben, und die Diener können auch nicht schreiben”, sagte er.
Da verstummte das Lachen. Es war wie immer: wenn Herbald etwas sagte, wurden alle still. Er war zum Anführer der Menschen im Tal gewählt worden und hatte dieses Amt jetzt schon viele Jahre inne. Niemand fand ihn besonders lustig, und niemand erinnerte sich daran, daß er jemals gelacht hatte. Doch weil er nie etwas sagte, was nicht durchdacht und wohlbegründet war, hörten sie auf ihn.
“Glaubst du wirklich, daß es wahr ist? Glaubst du denn wirklich, daß Ungeheuer auf einmal so verändert ist?” fragte der Schmied.
“Nein, das kann ich leider nicht glauben. Dies hat ein Verwandter oder Freund von uns geschrieben. Es ist jemand hinter der Dornenhecke. Einer, der in Ungeheuers Dienste getreten ist und seine Kameraden betrügt. Einer, der uns täuschen will”, stellte Herbald fest.
“Ich bin nicht sicher, daß er uns täuschen will. Ich möchte glauben, daß es unseren Angehörigen im Osten besser geht als uns, hier ist ja alles so teuer geworden”, zeterte Wohlbeleibt.
“Vielleicht solltest du versuchen hinüberzugehen und dort zu wohnen?” warf Alfruns Vater spöttisch ein.
“Das hab ich nicht gesagt. Hier ist mein Haus, hier sind meine Äcker und Scheunen. Ich könnte nichts mit hinübernehmen. Aber vielleicht müßte ich dort nicht so schuften wie hier, um mir Fleisch zum Essen und Sachen zum Anziehen kaufen zu können”, sagte Wohlbeleibt und rieb einen unsichtbaren Fleck von seinem Goldring.
Herbald musterte ihn kühl.
“Wenn das Leben dort drüben so gut ist, wie dieser Ratbold behauptet, warum sondern sie sich dann mit einer Dornenhekke ab? Warum wird sie nicht einfach umgehauen, damit wir sehen können, wie herrlich alles bei ihnen ist?” fragte er.
“Wir wollen ihnen eine Antwort schicken und sie fragen, warum sie die Dornenhecke nicht einfach umhauen und zu uns zu Besuch kommen”, sagte der Schmied.
“Ich kann den Brief hinüberwerfen”, bot Kori sich an. Herbald räusperte sich:
“Heute bin ich ganz oben auf dem Rathausturm gewesen, um in alten Urkunden zu blättern. Als ich zum Fenster hinaussah, entdeckte ich im Osten hinter der Hecke etwas Eigenartiges. Es ragt schmal und hoch auf. Leider konnte ich nicht erkennen, was es eigentlich ist”, sagte er.
“Vielleicht ist das ein Spähturm, damit sie hier spionieren können”, warf Alfruns Vater ein.
“Ich habe mir vorgenommen, jetzt jeden Tag dort oben nachzusehn, was bei ihnen vorgeht”, sagte Herbald.
Es war, als ob sie durch den Brief, obwohl er eine Fälschung war, ihren Verwandten wieder näher gekommen waren. Lange saßen sie an diesem Abend noch um die Feuersglut und dachten an ihre Lieben. Wie fröhlich sie früher gewesen waren und wie gut. Wie stolz sie auf sie waren und welch große Hoffnungen sie gehabt hatten.
“Ich kenne keinen, der so geschickt war, Pferde zu zähmen, wie deinen Sohn Germar”, sagte der Schmied zu Alt-Siw.
“Und keine konnte den Ball besser hochwirbeln als seine Frau, die Milda”, sagte Alfruns Mutter und trocknete sich Tränen aus den Augen.
“Und nie gab es in diesem Tal einen jungen Mann, der mutiger war als Meinrad, dein Sohn. Ich werde nie vergessen, wie er an den Felsen der Teufelswand hochgeklettert ist, um das Kleinkind zu retten, das der Adler entführt hatte”, sagte Alt-Siw zu ihrer bejahrten Freundin.
“Und keine konnte jemals so gut tanzen wie deine Großmutter, die jetzt hinter der Dornenhecke wohnt”, sagte ein alter Mann und strich Godelinde über den Kopf.
“Wißt ihr noch, alle waren wie verzaubert, wenn sie stundenlang ums Feuer tanzte und kaum den Boden berührte”, sagte sein Nachbar, und ein frohes Leuchten erschien in seinen alten Augen.
Die Kinder hörten mit offenen Mündern zu. Sie fanden, daß die Menschen um sie herum nicht so ungewöhnlich waren wie die Helden dort drüben im Osttal.
Sogar die Möwen machen kehrt ...
Die nächsten Tage erschienen Alfrun besonders abwechslungsreich und schön. Morgens, beim Aufwachen, hörte sie, wie Kori unter ihrem Fenster pfiff. Dann saß er bei ihnen in der Küche, während sie frühstückte, und oft trank er auch ein Glas Milch, das Alt-Siw ihm anbot.
“Nehmt euch vor der Dornenhecke in acht, wir wollen euch nicht auch noch verlieren”, sagte Alt-Siw und strich mit ihrer faltigen Hand müde über ihre Stirn, als die beiden sich bedankten und auf Wiedersehen sagten.
Bei Godelinde warteten sie im Spielzimmer, während diese frühstückte. Sie hatte ein größeres Zimmer als Alfrun, es war voll von Spielsachen.
“Dreiundzwanzig Puppen, das ist ziemlich viel”, sagte Kori eines Morgens, als er die Puppen reihum gezählt hatte, die auf den Regalen saßen. Es gab Puppen aus Holz und aus Stoff, viele trugen bunte Gewänder, und die feinsten hatten einen Kopf aus Porzellan.
“Das stimmt nicht ganz, ich habe fünfundzwanzig. Zwei sind beim Puppendoktor”, verbesserte Godelinde.
Und immer, wenn sie aus Godelindes Haus kamen, wartete Obbi schon am Gartentor und wirbelte seinen neuen Ball hoch in die Luft. Sein Vater hatte nicht lange nachgedacht und ihm auf sein Bitten hin gleich einen neuen Ball gekauft. Und der Händler behauptete, daß dies viel bessere Bälle seien als die aus der letzten Sendung.
“Habt ihr schon gehört? Gestern wurde im Gemeinschaftsrat beschlossen, daß wir einen neuen Platz zum Wirbelballspiel bekommen”, sagte Obbi fröhlich und schleuderte seinen Ball hoch hinauf.
“Ja, das soll eine kreisförmige Anlage werden”, sagte Kori.
“Es war ja auch an der Zeit”, stimmte