Название | Durch die Dornenhecke |
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Автор произведения | Iðunn Steinsdóttir |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711464687 |
Heute abend komme ich wieder und vollende mein Werk, dachte er, als er sich am frühen Morgen auf den Heimweg machte.
Doch am Abend war die Öffnung wieder verschwunden, und da, wo sie gewesen, wuchs die Dornenhecke noch dichter als zuvor. Enttäuscht stand er lange dort und starrte sie an, dann steckte er seine Axt ein und machte sich betrübt auf den Heimweg. Und hinter ihm dröhnte Ungeheuers höhnisches Lachen.
An einem windstillen Abend versammelten sich groß und klein zu einem Fackelzug an der Dornenhecke. Sie wollten sie einfach abbrennen. Doch auch Feuer konnte ihr nichts anhaben. Die Flammen schrumpften zusammen, wurden kalt und erloschen, sobald sie die Hecke berührten.
Wagemutig machten sich Bergsteiger auf den Weg, die Felsen hinauf, entlang an der Dornenhecke. Sie wollten dort, wo sie zu Ende war, hinüber in den Osten klettern. Doch alle Mühsal war vergebens. Die Dornenhecke wuchs ganz dicht, bis in die steilsten Felswände zu beiden Seiten des Tales hinein. Und diese Felsen konnte man nicht bezwingen.
Dann hatte die lebenserfahrene Siw eine Idee.
“Wir bauen eine bogenförmige Eisenleiter und legen sie einfach über die Dornenhecke!”
Der Schmied im Westtal war besonders geschickt im Umgang mit Eisen und Holz. In den nächsten Tagen stand er mit geröteten Augen in seiner Schmiede an der Glut und baute eine gewaltige Leiter. Zwanzig starke Männer schleppten sie dann an ihren Bestimmungsort. Alle Einwohner des Westtales kamen und riefen “Hurra”, als die Leiter über die Dornenhecke geschoben wurde.
Und alle wollten gleichzeitig auf die Leiter klettern, die jungen Helden waren ganz vorn. Doch bevor sie noch die oberste Sprosse erreichten, begann die Dornenhecke zu wachsen. Sie reichte bald bis über die höchsten Sprossen, und die messerscharfen Dornen stachen zu, daß das Blut floß. Schreiend vor Schmerz flohen die Menschen wieder hinunter, während aus ihren Fußsohlen das Blut tropfte und die Köpfchen der blauen Glockenblumen rot färbte. Schweigend und ratlos mußte die Menschenmenge zusehen, wie die Dornenhecke in Windeseile größer wurde und die Leiter bald ganz verhüllte.
Da ergriff Alt-Siw das Wort:
“Jetzt ist wohl klar, daß diese Dornenhecke verzaubert ist. Werkzeuge können ihr nichts anhaben, und Feuer kann sie nicht niederbrennen. Es ist nicht möglich, über sie hinüber, noch an ihr vorbeizukommen. Nur eines haben wir noch nicht versucht: den Weg unter ihr durch.”
Und wieder schürte der Schmied seine Glut, und jetzt fertigte er Hacken und Schaufeln an. Und eines Nachts machten sie sich an die Arbeit, eine ganze Arbeitstruppe. Sie wollten einen Gang unter der Dornenhecke graben und so einen Weg in den Osten bahnen.
Sie gruben und schaufelten. Ganz vorn arbeitete der Schmied, doch die anderen folgten ihm auf den Fersen.
Als sie schon viele Stunden geschuftet hatten und tief unter die Hecke gekommen waren, brach das Unglück herein: Die Wurzeln der Dornen begannen nach unten zu wachsen. Sie schlangen sich um den Schmied, hielten ihn fest und verletzten ihn.
Es schnitt allen ins Herz, seine Schmerzenslaute zu hören, während sie mühsam versuchten, ihn zu befreien. Als es endlich gelang, flohen alle so schnell wie möglich.
Kaltes Hohngelächter dröhnte hinter ihnen her. Es verfolgte sie bis zu ihrer Haustür.
In den ersten Jahren kamen noch Nachrichten von den Menschen im Osttal, in Form von Zetteln, die um Steine gewickelt und herübergeworfen wurden.
Das waren traurige Nachrichten. Ungeheuer zwang alle zu harter Arbeit. Alles, was in diesem fruchtbaren Tal wuchs, nahm er für sich selbst, doch die Menschen lebten in Hunger und Not. Farbe und Putz blätterte von ihren Häusern. Ein Geruch von Zerfall und Fäulnis zog in Hauswände und Fußböden ein. Ihre Kleider wurden schäbig und häßlich. Mit der Zeit verhüllten nur noch Fetzen ihre Körper. Hungrig und schlecht bekleidet rackerten sie sich ab. Sie erhielten keinen Lohn für ihre Arbeit, nur abends gab es eine knappe Essensration, gerade genug, um sie am Leben zu erhalten. Stets waren Ungeheuers Diener gegenwärtig, und obwohl sie nur zu viert waren, schien es, als wären sie zu Hunderten, denn sie standen plötzlich da, unerwartet, auch an den entlegensten Stellen und hielten jeden einzelnen der Gemeinschaft unter Kontrolle.
Dann geschah es, daß Weißalles sah, wie Germar mit einem Stein spätabends zur Dornenhecke schlich. Er fing ihn ab und brachte ihn zu Ungeheuer.
Ungeheuers Hohngelächter dröhnte aus dem offenen Fenster des Kastells hinaus in die Nacht, weit über das Osttal hin. Es drang in die Träume der Menschen, die erschöpft von der Plackerei des Tages schliefen, und färbte sie dunkel und häßlich.
Am nächsten Tag wurden alle zusammengerufen, und Machtalles, der glaubte die Sprache der Menschen im Tal am besten zu beherrschen, hielt eine Ansprache:
“Ihr scheint Spaß am Schreiben zu haben, das beweist dieser Brief”, sagte er und fuchtelte mit Germars Zettel in der Luft herum. “Sicher ist es schön und gut, etwas aufzuschreiben, aber es kommt darauf an, was man schreibt. Dieser Brief ist voll von Lügen über Ungeheuer, der doch euer Wohltäter und Freund ist. Das gefällt ihm nicht. Von jetzt an dürft ihr Briefe schreiben, sie um einen Stein wickeln und über die Dornenhecke werfen, doch zuerst will ich sie Ungeheuer vorlesen. Ungeheuer möchte, daß eure Angehörigen im Westen auch erfahren, wie gut es euch geht unter seinem Schutz, hier im Osttal.”
Schweigend gingen die Menschen auseinander und an ihre Arbeit. Aber nach diesem Ereignis wurden keine Briefe mehr geschrieben, und die Zettel, die in den Schubladen und Schränken lagen, vergilbten und zerfielen mit der Zeit.
So verging Jahr um Jahr, und die Menschen im Westtal mußten sich daran gewöhnen, nichts mehr von ihren Angehörigen drüben zu hören und zu sehen. Der Schmerz, der alle überwältigt hatte, als die Dornenhecke entstand, wurde mit der Zeit schwächer. Eine neue Generation wuchs heran, eine Generation, die nicht mehr wußte wie es gewesen war, bevor man das Tal geteilt hatte. Die Verwandten hinter der Dornenhecke waren für sie unwirklich, wie Schattengestalten. Sie bedauerten sie zwar ein wenig, aber sie sehnten sich nicht danach, sie wiederzusehen.
Doch die alten Frauen, die früher einmal Mütter und jetzt Großmütter waren, und auch die Urgroßmütter erinnerten sich noch an alles. In ihnen wühlte der Schmerz heiß und bitter weiter, so wie am ersten Unglückstag, als das Dornengestrüpp das Tal geteilt hatte.
Eine Botschaft von der anderen Seite
Die Menschen im Westtal lebten gut und konnten tun und lassen, was sie wollten. Morgens wachten sie beim Hahnenschrei auf. Die Tage erwarteten sie mit Sonnengold oder nebelumwallt und vom Regen benetzt. Manchmal hatten sie sich auch eine weiße Schneehaube übergestülpt. Es waren abwechslungsreiche Tage, die oft gut endeten.
Alfrun wohnte mit ihren Eltern in dem weiträumigen Haus ihrer Großmutter Alt-Siw. Es stand in einem großen Garten, in dem im Sommer dreifarbige Stiefmütterchen wuchsen. Die schliefen im Winter unter glitzerndem Schnee verborgen, doch dafür erblühten schneeweiße Eisblumen am Fenster von Alfruns Zimmer.
Alt-Siw weckte Alfrun morgens und versorgte sie tagsüber, während ihre Eltern draußen ihrer Arbeit nachgingen.
An diesem Morgen schien die Frühlingssonne zum Fenster herein, als Alfrun die Augen aufmachte. Die Sonnenstrahlen weckten die Puppen, die im Festgewand im Puppenhaus saßen, und tanzten auf dem Wirbelball, der ihr von allen Spielsachen der liebste war. Er lag hoch oben im Regal.
Alfrun wußte gleich, daß dies ein guter Tag würde. Sie reckte die Zehen in die Höhe und ließ sie von den Sonnenstrahlen wärmen. Dann zog sie sich an und ging hinunter zur Großmutter.
Alt-Siw nahm sie in die Arme, goß warme Milch in eine Tasse und gab ihr eine Schnitte Brot, die mit frischer Butter bestrichen war. Dann setzte sie sich in ihren Schaukelstuhl und wischte heimlich eine Träne weg, die die Backe hinunterrann.
“Aber Oma, es ist doch nicht sicher, daß es ihnen so schlecht geht”, sagte Alfrun und streichelte ihre Hand. Sie ahnte, daß ihre Großmutter an die andere Enkeltochter dachte, die vielleicht gerade hinter der Dornenhecke