Название | Auf dem Weg durch die Zeit |
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Автор произведения | Detleff Jones |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783969536025 |
Aber von diesen Gedanken war ich damals in den 50er Jahren noch sehr weit entfernt. Ich wuchs in einem behüteten Elternhaus in liebevoller Atmosphäre auf – und war eher ein verwöhntes Einzelkind – meine Schwester war ja fast 4 Jahre älter als ich und lebte in ihrer Jungmädchenwelt. Oma und Mama teilten sich die Hausarbeit, während Daddy – so nannte ich meinen Vater - für den Unterhalt der Familie sorgte – ein klassisches Familienidyll aus der heilen Welt der 50er – so, wie man es auch aus heutiger Sicht kennt.
Mein Vater war gebürtiger Engländer und hatte Deutschland zwischen 1933 und 1939 mehrmals besucht; im Mai 1939 war er dann endgültig nach Deutschland gekommen, als Gastarbeiter sozusagen – auf der Suche nach einer besseren Zukunft, denn in England hatte er damals für sich keine Aufstiegschancen mehr gesehen, während Deutschland unter den Nationalsozialisten wie ein Phoenix aus der Asche des 1. Weltkrieges zu steigen schien. Er ahnte damals nicht, dass er den Rest seines Lebens hier verbringen würde. Er hatte auch innerhalb kürzester Zeit einen Job als Sprachlehrer bei der Berlitzschule bekommen, wo sein Anfangsgehalt gleich mehr als doppelt so hoch war wie das letzte Gehalt, das er in England bezogen hatte!
Mit Daddy redete ich ausschließlich Englisch, mit Mama und dem Rest der Familie Deutsch. Meine Eltern sprachen miteinander Englisch, und wenn wir beim Essen alle zusammensaßen, wurden beide Sprachen gesprochen. Sonntags machten wir des öfteren ein Picknick im Bergischen Land. Dazu fuhren wir zu viert auf der Goggo, dem Motorroller meines Vaters - ich stand vorne zwischen den langen Beinen meines Vaters, meine Schwester wurde zwischen Vater und Mutter eingeklemmt, so wie man es heute noch häufig in Indien sieht, hinaus und suchten uns ein Plätzchen auf einer Wiese in der Nähe des Flüsschens Dhünn, wo meine Mutter dann einen Korb auspackte mit Broten und gekochten Eiern sowie Säften und einer Thermoskanne Tee.
Mittlerweile hatten wir ein Radiogerät bekommen – ein Loewe Tischgerät, mit dem wir über Kurz- oder Mittelwelle in die Welt hinaushorchen konnten. Manchmal erwischten wir einen afrikanischen oder asiatischen Sender, auf dem Daddy die Nachrichten las. Seinen Job als Englischlehrer bei der Berlitzschule hatte er da längst aufgegeben. Er war mittlerweile freiberuflicher Übersetzer und Nachrichtensprecher bei der Deutschen Welle und produzierte auch Werbefilme oder Dokumentationen für die Industrie. Meist arbeitete er in unserem Kombizimmer an seiner Schreibmaschine, deren Klappern in der ganzen Wohnung zu hören war. Allerdings gab er noch vereinzelt Privatunterricht in englischer Konversation, so auch einem sehr wohlhabenden Professor mit dem Namen Bumm, dem Inhaber eines chemischen Werkes in Köln. Meist fuhr mein Vater mit seinem Goggo Motorroller nach Mülheim zu Professor Bumm, manchmal kam der Professor aber auch zu uns in unser bescheidenes Heim. Er hatte schon damals einen schwarzen Mercedes 300, den sogenannten Adenauer Mercedes, gefahren von seinem Chauffeur, Herrn Krimann. Der wartete dann draußen vor der Tür im Auto, während Daddy und der Professor sich auf Englisch unterhielten. Bei einem dieser Abende wurde Krimann jedoch mit dem Auto in die Stadt geschickt, um Frau Bumm abzuholen. Sie war eine hübsche Blondine – ich erinnere mich nur an ihre etwas aufgedrehte Art und ihre blonden Haare. Und als sie an diesem Abend unsere Wohnung betrat, erzählte sie ihrem Mann – und damit auch meinem Vater, was sie alles heute eingekauft hatte, Klamotten, Schuhe und den üblichen Kram, mit dem auch heute noch Heerscharen von Frauen und natürlich auch Männern aus der Stadt nach Hause kommen. Darauf meinte mein Vater, diese Schätze könne er sich leider nicht leisten, doch er wolle Frau Bumm und ihrem Gatten gerne seinen eigenen Schatz zeigen, den er zu den größten in seinem Leben zählte. Die Bumms waren sofort neugierig. Mein Vater öffnete die Tür zu meinem Schlafzimmer und zeigte auf mich, der ich in meinem Kinderbett lag und friedlich schlief. „This is my greatest treasure!“ Frau Bumm muss daraufhin in Tränen ausgebrochen sein, so sehr war sie gerührt. Einige Zeit später offenbarte der Professor meinem Vater, dass seine Frau leider keine Kinder bekommen konnte und auch aus diesem Grund von der Geste meines Vaters derart berührt war, worauf sich dieser mächtig Gewissensbisse machte, denn er hatte die Bumms absolut nicht auf den Unterschied zwischen konventionellen und emotionalen Schätzen ansprechen wollen, aber genau das hatte er ja getan.
Wir hatten mittlerweile auch längst das versprochene Telefon bekommen, und damit begann die Welt ein kleines Stückchen kleiner zu werden, man konnte erreichen und war erreichbar. Sonntags nahm mich Daddy oft mit ins Funkhaus am Wallrafplatz in Köln. Dann war dort wenig los, die Hektik in den Redaktionen hielt eine Verschnaufpause, und ich konnte ihm bei seiner Arbeit zusehen. Zuerst übersetzte er die in deutscher Sprache und auf DIN A 5 Zetteln verfassten Nachrichten ins Englische, und zur vollen Stunde ging er ins Studio, wo er sie verlas. Diese Nachrichten gingen dann hinaus in die weite Welt. Die Deutsche Welle sendete damals als „the voice of Germany“ überall hin – außer nach Deutschland. Einige Male durfte ich mit ins Studio. Dort saß ich dann ehrfurchtsvoll an dem Sendetisch mit seinen diversen Tasten und Knöpfen, über dem 2 Mikrofone von der Decke herabhingen. Es gab auch einen Hustenknopf, auf den der Sprecher zu drücken hatte, wenn er sich räuspern wollte oder husten musste, denn die verlesenen Nachrichten sollten ein cleanes Produkt sein – ohne störende Nebengeräusche.
Ich weiß nicht, wie es heute in Funkhäusern zugeht, aber damals war da – zumindest bei der Deutschen Welle – ein Haufen bunter Vögel am Werk. Es gab nicht nur die englischen Nachrichten mit ihrem Sprecher – es gab das gleiche auch in fast allen Weltsprachen. Daher arbeiteten dort Sprecher und Sprecherinnen aus ganz Europa, aus Schwarzafrika, aus dem gesamten asiatischen Raum und aus Südamerika – halt aus allen Regionen, in die auch gesendet wurde. Und offenbar hatte man dort auch sehr viel Spaß! Daddy war mit einem besonders ausgeprägten tiefschwarzen britischen Humor gesegnet, mit dem so mancher aber auch seine Probleme hatte. Einige meiner Mitschüler wussten oft nicht, woran sie waren, wenn mein Vater seine Pointen abfeuerte – man war zumindest damals die Respektlosigkeit dieses Humors noch nicht gewohnt, eines Humors, der vor allem auch nie vor sich selbst haltmachte und durchaus verunsichern konnte. Und wenn dann doch die gesamte Runde herzhaft lachen musste, schoss mein Vater üblicherweise ein „never laughed so much since the night my first wife died“ (‚so habe ich seit dem Tod meiner ersten Frau nicht mehr gelacht!‘) hinterher. Als ich eines sonntags neben meinem Vater im Studio saß, kamen ein Franzose und ein Spanier in den Regieraum, der vom Sprecherraum durch eine dicke, schalldichte Glasscheibe getrennt war. Und diese beiden versuchten dann mit unvorstellbaren Grimassen und Gesten, sowie mit pantomimischen Kommentaren zu den gelesenen Nachrichten, meinen Vater zum Lachen zu bringen. Aber Daddy bewahrte eine stoische Ruhe – er kannte diese Tricks und hatte oft genug selber dabei mitgemacht. Nichts schien ihn aus der Ruhe bringen zu können. Ich hingegen war auf dieses Spektakel überhaupt nicht vorbereitet, und so platzte ich mitten in die Nachrichten über das Ableben eines wichtigen Politikers hinein – ich bog mich vor Lachen. Mein Vater drehte sich mehr belustigt als entsetzt zu mir und drückte, so schnell er konnte, auf die Hustentaste. Aber das war ja alles live, und es war nun mal gesendet. Es wurde eine längere Pause, bis ich mich endlich beruhigt hatte und er seine Nachrichten zu Ende lesen konnte. Die Verursacher im Regieraum bekamen sich überhaupt nicht mehr ein ob ihres Erfolges – sie feixten und klopften sich auf die Schenkel vor Begeisterung. Ich glaube nicht, dass jemals irgendein Kommentar von offizieller Seite gekommen ist – und wenn, dann wird das sehr weit weg gewesen sein, so dass er es nie bis nach Köln geschafft