Название | Der Dynamitkönig Alfred Nobel |
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Автор произведения | Rune Pär Olofsson |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711462898 |
Pferdemist? Vielleicht trog ihn die Erinnerung. Er hatte gesehen, wie seine eigene Mutter die noch dampfenden Kugeln geborgen und in eine alte Zeitung gepackt hatte – sie schien immer ein zerlesenes Wochenblatt bei sich zu haben, wenn sie unterwegs war. Alfred schämte sich, doch Mutter sah froh aus, als hätte sie einen Schatz gefunden.
»Darüber werden sich die Blumen freuen!«
Als er später hörte, wozu Pferdemist sonst noch verwendet werden konnte, hielt er seine Mutter für habgierig – sie, die doch nicht ›arm‹ war. Denn es wurde behauptet, die Allerärmsten, die in den Winternächten nicht wußten, wohin, sammelten diesen Pferdedung, um sich damit zuzudecken.
»Mutter, sind wir arm?«
Aus dem abgebrannten Haus im Viertel der Tabakspinner hatte die Familie Nobel in eine kleine Wohnung in der Norrlandsgatan ziehen müssen. Zuerst nach Nummer neun, doch an die Zeit hatte er keine Erinnerung! Vielleicht war er selbst nie dort gewesen. Um so besser erinnerte er sich an die dunkle Wohnung im Hinterhaus der Norrlandsgatan elf. Von den Großeltern hatte die mittellose Familie das Notwendigste an Möbeln und Hausrat ausleihen dürfen. Großvater Ahlsell war Kämmerer und galt als wohlhabend. Immanuel lieh so viel Geld, wie er nur konnte, vom Schwiegervater und den Brüdern der Frau – Alfred wußte, daß der Vater noch vor wenigen Jahren Schulden bei der Familie hatte. Dennoch konnten diese kleinen Anleihen sein Geschäft nicht retten. Schon ehe Alfred geboren wurde, hatte der Vater Konkurs anmelden müssen.
Zu Alfreds frühesten Erinnerungen zählten fordernde Stimmen in der Diele. Stimmen, die immer lauter und drohender wurden, und als obligato zu diesen grollenden Bässen war Immanuels demütiges Bitten zu hören. Vater malte glänzende Gebilde aus Hoffnungen und Versprechungen: Eine Erfindung war aussichtsreich, ein angemeldetes Patent würde hundert – ja tausendfachen Ertrag bringen, wenn nur ...
Der aufgeregte Diskant sank in dem Meer der Geräusche: »Ich habe nur gerade jetzt kein Geld ...«
Eines Tages, als Alfred vier Jahre alt war, verschwand Immanuel. Die Mutter überbrachte Grüße von ihm, ehe sie zu dem Milchladen eilte, in dem sie arbeitete: »Vater ist nach Finnland gefahren. Er hat dort ein besseres Auskommen.«
Er wußte weder, wo Finnland lag, noch, was ›Auskommen‹ bedeutete. ›Besser‹ war ein Wort, das gut roch. Wie die Pfefferkuchen zu Weihnachten bei Großmutter. Aber, warum hatte der Vater keine Zeit gehabt, ihn zu umarmen und adieu zu sagen?
Nicht lange danach fühlte er sich erleichtert, daß Vater in Finnland war. Zwar sehnte er sich nach Immanuels starken Armen, und es war auch immer aufregend gewesen, ihn von seinen Abenteuern auf See erzählen zu hören, davon, wie er mit knapper Not vor dem Ertrinken im Atlantik oder vor dem Verkauf als Sklave an den König des Glücklichen Arabien errettet worden war – wo er im Harem der Königin als Eunuch hatte dienen sollen. Vater war ein fröhlich prustender, stämmiger Kerl – wenn er guter Stimmung war. Doch in jenen Jahren war er das immer seltener. Oder immer kürzere Zeit. Jäh kochte sein hitziges Gemüt über und schäumte siedendheiß über alles und alle hinweg: Die Brandblasen schmerzten noch lange.
Nicht immer half es, sich in Mamas Röcken zu verstecken. Nicht immer auch waren ihre Röcke in der Nähe. Mutter arbeitete im Geschäft, und Vater war tagsüber oft zu Hause. Warum, konnte Alfred schwer begreifen; andere Väter waren selten oder nie zu Hause, außer wenn sie schliefen.
Als er erwachsen war, verstand Alfred natürlich, warum der Vater oft so launenhaft gewesen war. Immanuel Nobel zu heißen konnte nicht immer leicht gewesen sein: verschuldet über beide Ohren und praktisch ohne Arbeit. Zwar hatte er auch in der Norrlandsgatan elf ›gearbeitet‹! In der Küche experimentiert, zur stillen Verzweiflung Andriettes. Hatte Patentgesuche geschrieben, schöne, kolorierte Modelle gezeichnet, Aquarelle mit unendlicher Sorgfalt gemalt, damit das Patentamt und die Herren der Regierung wirklich richtig verstehen konnten, wie er sich das Ganze gedacht hatte und wie genial seine Ideen waren. So! Endlich war er mit dem Resultat zufrieden! Er zeigte und erklärte es allen, die gerade anwesend waren, auch Alfred, der nichts begriff. Ließ seine Zeichnungen, Berechnungen und Entwürfe zu Boden fallen und schwenkte den Kleinen durch die Luft. Das Lachen dröhnte in den Ohren und kitzelte im Bauch: Vater war guter Laune! Wenn er doch aber aufhören wollte, Alfred in so schwindelnde Höhen emporzuwirbeln – es konnte ja noch ein Unglück geschehen!
Das Patentamt und die Herren der Regierung begriffen vielleicht, vielleicht auch nicht. Jedenfalls stimmten ihre Gedanken nicht mit den ökonomischen Bedürfnissen und der wechselnden Gemütslage Immanuels überein. Schweden war außerdem ein armes Land und konnte sich eine so teure Erfindung wie die von Immanuel Nobel nicht leisten, jedenfalls jetzt noch nicht.
Also zog Immanuel es vor, nach dem reichen Finnland auszuwandern. Wenigstens verstand Alfred es so; wenn es jemandem besser gehen sollte, mußte das doch in einem Land sein, in dem die Leute nachts nicht unter Pferdedung zu kriechen brauchten.
Ein, zwei Jahre später wußte Alfred, daß der Vater in Rußland und an einem Ort weilte, der Petersburg hieß. Dort würde es ihm noch besser gehen als in Finnland!
Im Augenblick war es jedenfalls schön, daß er nicht mehr in der Norrlandsgatan elf wohnte – es war ruhiger so. Auch wenn es etwas langweiliger und einsamer geworden war. Robert, der ja vier Jahre älter als Alfred war, verschwand seit langem zur Schule. Ein paar Jahre darauf verschwand auch Ludwig dorthin. Sie kamen nach Schulschluß zwar wieder nach Hause, doch oft gingen sie auch zur Großmutter, wo sie eine ordentliche Mahlzeit bekamen. Alfred war also meist allein zu Hause, und ihm gefiel das immer besser so. Einige wenige Male durfte er die Mutter ins Geschäft begleiten, in dem sie arbeitete. Doch fand er es dort sehr langweilig, besonders weil er nicht nach Hause gehen konnte, wann er wollte – Mutter mochte es nicht, wenn er allein draußen auf der Straße war. Manchmal ging auch er zur Großmutter, aber dort fehlten ihm seine eigenen ›Werkzeuge‹ – er nannte sie nie Spielsachen – und schon bald sehnte er sich zu ihnen nach Hause zurück. Viele der Werkzeuge gehörten dem Vater, er hatte sie zurückgelassen. Bei Großmutter gab es kein Werkzeug. Nur Essen in gewaltigen Mengen, das, so fand sie, er, der arme magere Junge, brauchte, um etwas kräftiger zu werden. Und er aß brav alles auf und bekam Bauchschmerzen von der ungewohnt schweren Kost – ohne daß der Berg, den Großmutter ihm auflud, in seiner erschreckenden Masse abzunehmen schien.
Er konnte sich nicht an einen Teddy in seinem Vaterhaus erinnern. Doch Bären sollte er begegnen, lange Zeit nachdem Immanuel weggefahren war, um es einmal besser zu haben. Sie kamen in der Dämmerung, wenn Mutter zu Hause war, und fragten nach der Adresse ihres Gatten. Zuweilen warfen sie Alfred, der draußen auf der Vortreppe saß, eine Grobheit über den Vater an den Kopf, nachdem sie herausgefunden hatten, daß Immanuel wirklich nicht zu Hause, ja nicht einmal mehr im Lande war. Böse Worte, deren Absicht Alfred verstand, deren Inhalt jedoch erst Jahre später.
Ja, er mußte erst sieben Jahre alt und Schüler der Apologetenschule der Jakobsgemeinde werden, ehe er die volle, schwere Bedeutung des Wortes Konkurs erfaßte. Erst dann begriff er auch, daß sein Vater nicht einfach nach Finnland gefahren war: Er war heimlich vor seinen Bären geflohen.
Seine Schulkameraden waren es, die ihn in diese dunklen und schrecklichen Dinge einweihten. Konkurs roch wie Schwindsucht; er hielt den Atem an, wenn er das Wort hörte oder es nur dachte – er steckte sich sonst womöglich an. Die ›Apologetenschule‹ war etwas, wohin, soviel er wußte, nur er selbst ging. Schwer auszusprechen und noch schwerer zu verstehen. Und sein ganzes Leben lang sollte sich ihm der Magen verkrampfen bei diesem furchteinflößenden Wort. Zweiundachtzig Jungen waren sie in der Klasse, und achtzig von ihnen fürchtete er. Nicht daß sie ihn geschlagen hätten – er hatte zwei ältere Brüder an der Schule, und das war Sicherheit genug. Doch fürchtete er sich vor dem, was sie über Vater wissen konnten oder zu wissen vorgaben, der Konkurs gemacht hatte und außer Landes gegangen war. Sonst hätte man ihn in das Schuldgefängnis gesteckt!
Alfred wagte es nie, die Mutter nach diesem Schuldgefängnis zu fragen. Nicht weil er Angst hatte, sie könne böse werden, das wurde sie niemals. Sondern, damit sie ihn nicht belügen mußte – oder, noch schlimmer, damit sie nicht die Wahrheit zu