Der Dynamitkönig Alfred Nobel. Rune Pär Olofsson

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Название Der Dynamitkönig Alfred Nobel
Автор произведения Rune Pär Olofsson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711462898



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...

      »Ha, die Hälfte davon existiert überhaupt nicht in der Welt der Sinne!«

      Immanuel hatte Alfred über die Schulter gespäht.

      »Es wird existieren, wenn wir nur erst diesen unglückseligen Fachwerkbau haben! Sie, Vater haben schon vor Mittsommer im vorigen Jahr behauptet, er sei zugesichert – und noch immer können wir nicht hinein ...«

      Diesmal schwieg Immanuel, er war in der Sache zu voreilig gewesen ... Doch sonst wäre Alfred nicht nach Hause gekommen – und vielleicht wäre das ja ebensogut gewesen.

      Alfred wandte sich geduldig wieder seiner Beschreibung zu und notierte: ›Über die Ladung‹, Alternative 1. Mit Zündhütchen und Wasserlage. Das Sprengöl wird durch das obengenannte Rohr in das Bohrloch gefüllt. Anschließend wird Wasser aufgegossen. Das Zündhütchen wird auf das eine Ende der Zündschnur aufgezogen und mit Pech, Wachs oder ähnlichem abgedichtet, worauf es dicht unter die Oberfläche des Sprengöls gesenkt wird.

      Dazu fügte er eine Zeichnung, die den Schnitt durch ein Bohrloch zeigte; die verschiedenen Momente und Teile sind mit a) bis f) ausgezeichnet und seitlich eine Erklärung der Zeichnung notiert. Es dürfte nicht möglich sein, etwas falsch zu machen! Es durfte kein Unglück geschehen!

      Er neigte den Kopf und hielt sein Werk gegen die Petroleumlampe, um es besser sehen zu können; ja, so ging es ... Obwohl! Er hatte vergessen, eine Alternative zur Wasserlage aufzunehmen. Also schrieb er: ›Beachte. Eine Sandlage ist ebenfalls anwendbar; in dem Fall wird die Zündschnur mit einer Scheibe aus Holz oder Kork versehen, um das Herabfallen des Sandes in das Sprengöl zu verhindern.‹

      »Patentierte Zündhütchen!« spottete Immanuel. »Wer, zum Teufel, hat dir ein Patent für so etwas bewilligt – und was, verdammt, sind Zündhütchen?«

      »Sei so lieb und hör auf, Immanuel!« mahnte Andriette aus der Sofaecke vom Strümpfestopfen her. »Du weißt doch, daß Alfred ein Patent für all das angemeldet hat.«

      »Nein, das weiß ich nicht! Alfred erzählt mir ja nie etwas.«

      Alfred ließ den Stift sinken. »Was, in aller Welt, soll das?« stieß er in schrillem Falsett hervor. »Ich habe Ihnen doch jedes kleine bißchen gezeigt! Doch Sie lesen meine Beschreibungen ja nie – oder nur, um sie zu zerpflücken. Was hatte ich auch hier in Stockholm zu suchen! Waren nicht wir es, die ›zusammenarbeiten‹ wollten?«

      Er warf den Stift in den Kasten und sammelte seine Papiere ein.

      »Ja ja ja«, lachte Immanuel glucksend, »das wird schon alles gut, nur fertig werden müßte es. Aber – ich werde mit jedem Tag älter, und nichts wird, wie ich es mir vorgestellt habe.«

      »Ich arbeite Tag und Nacht, Vater, damit es so wird, wie wir es uns vorgestellt haben. Daß wir nicht einmal ein Gebäude für die Fabrikation haben, ist faktisch nicht meine Schuld. Man soll ein williges Pferd nicht schlagen. – Gute Nacht jetzt, und danke für den heutigen Tag, Mutter!«

      Er küßte Andriette auf die Wange und ging in seine Kammer; Immanuel verdiente keinen Dank für den Tag.

      »Wenn ich noch ein paar Skålpund Sprengöl mehr zusammenhabe, dann werde ich mich auf den Weg machen und es verkaufen«, murmelte er vor sich hin. »Wie ein richtiger Hausierer!«

      Er zog seinem eigenen Spiegelbild über der Waschschüssel eine Grimasse. In dem flackernden Kerzenlicht bemerkte er, daß seine Hände und Arme bis zu den Ellbogen hinauf gelb waren. Wirkte das kränklich? Würden die künftigen Käufer unschlüssig werden, wenn sie diese Farbe des Todes an seinem Körper bemerkten? Reichte seine Erklärung, daß die Verfärbung vom häufigen Kontakt mit der Salpetersäure herrührte? Wer mit dem fertigen Sprengöl zu tun bekäme, würde kaum noch etwas von der Farbe bemerken.

      5

      Als die Nobels mit ihren Laboratorien endlich in den Fachwerkbau einziehen konnten, kam mit einemmal Leben in Immanuel. Er konnte seiner angestauten, stark komprimierten Energie endlich Luft verschaffen. Die notwendigen Umbauten und Abtrennungen nahm er selbst vor. Lief wie ein Eichhörnchen die Leiter hinauf und hinunter und schien nicht einen Tag älter als seine Söhne.

      Enttäuschend war, daß sie das Haus noch eine Zeitlang mit dem Kesselschmied teilen mußten, der von früher her in Heleneborg wohnte. Doch da half nun alles nichts; das Gebäude war dennoch hundertmal besser als der elende Schuppen, mit dem sie sich bisher hatten begnügen müssen.

      Immanuels Tüchtigkeit als Konstrukteur kam auch zupaß. Für Alfreds neuen umfangreicheren Nitrierungsprozeß waren ordentliche Bottiche und Behälter vonnöten. Die fortwährende Kühlung erforderte den Zugang zu ausreichenden Mengen Wasser; bei dieser Mechanik kannte Immanuel sich sofort aus und setzte die Sache in die Praxis um. Dann legte er Rohre zu dem Glyzerinbehälter, der über der Anlage montiert war, und versah ihn mit den notwendigen Absperrungen. Den ganzen Winter über hatten sie Eis aus dem See gesägt und in Gruben gelagert. Salz war genügend vorhanden. – Es zeigte sich rasch, daß Immanuel über Alfreds Nitrierungsprozeß doch recht gut Bescheid wußte! Manches davon meinte er zwar schon immer gewußt zu haben, anderes habe Emil bereits herausgefunden!

      Soweit es Emils Anteil betraf, entsprach es ganz sicher den Tatsachen. Als Immanuel und Alfred ihre ›Fabrik‹ einrichteten, machte er sich eine Zeitlang von den Studien frei und nahm eifrig an der Arbeit teil – vor allem mit Ratschlägen, obendrein mit guten. Immer aufs neue schlug er Verbesserungen des Nitrierungsprozesses vor, und das ausgehend von theoretischen Berechnungen, auf die nicht einmal Alfred gekommen war. Und sobald Emil Uppsala mit Anstand verlassen konnte, schloß er sich den anderen in Heleneborg an. Er wollte nicht einen Schritt in dieser Aufbauphase verpassen, die die Geburt einer großen Industrie sein konnte!

      Je näher Alfred seinen jüngeren Bruder kennenlernte, desto mehr mochte er ihn. Alfred hätte sich keine Gedanken zu machen brauchen, ob Emil die Umstellung vom Leben des reichen Jünglings in Petersburg wohl verkraftet habe. Irgendwelche ›verwöhnten‹ Ansprüche gab es bei ihm nicht. Und niemals berührte er auch nur mit einem Wort die Miseren, die ihn und die übrige Familie ereilt hatten. Emil schaute voran! Mit einem Lebenshunger, um den ihn Alfred ein wenig beneidete und für den er ihn noch mehr bewunderte. Zugleich war er beschämt über sein eigenes Unvermögen, alles Alte hinter sich zu lassen, und über seine Lust, nach Sündenböcken zu suchen. Emil hatte ihn früher wegen seines ›verdrossenen Moralismus‹ gescholten; er mußte sich selbst eingestehen, daß Emil noch immer recht hatte.

      Trotz aller Unterschiedlichkeit glichen sich Alfred und Emil in vielem. Emil stürzte sich mit einer Intensität und Ausdauer in die Arbeit, die für einen Zwanzigjährigen vielleicht ungewöhnlich war, die aber Alfreds in nichts nachstand. Eine gewisse Ungeduld teilte er wohl mit Immanuel: Er wollte schnell Resultate sehen, doch ließ er diese Ungeduld nie an einem anderen aus. Und stieß er auf ein Hindernis, über das er nicht zu springen vermochte, dann kroch er einfach darunter hindurch. Begann immer wieder von vorn und gab nicht auf, bis er das Problem gelöst hatte.

      Am meisten freute sich Alfred vielleicht über Emils Fähigkeit, ›Ehre‹ teilen zu können. War er auf die Idee zu einer genialen Lösung gekommen, dann erklärte er sofort: »Die Anregung dazu stammt von dir – ich habe nur die Konsequenzen daraus gezogen!« Oder: »Vater, Sie haben das gewünschte Resultat so deutlich beschrieben, daß man nur die Sprossen der Leiter einfügen mußte, dann konnte man sie aufstellen!«

      Emil war auch in der Hinsicht ein wunderbarer Mitarbeiter, daß man nie etwas mehr als einmal zu erklären brauchte. Ja, zuweilen schien er Alfred sogar einen Schritt voraus, wenn dieser irgendeinen Prozeß erläuterte. Einmal sah sich Alfred gezwungen, mitten in der Darstellung innezuhalten und zu fragen: »War ich es oder warst du es, der auf diese Idee gekommen ist?«

      Emil betrachtete ihn verwundert. »Natürlich du! Doch folgt das zweite so logisch auf das erste, daß es keine Kunst war zu erkennen, daß ...«

      Emils Besuche und sein Umzug nach Heleneborg für den Sommer reduzierten auch die Konflikte zwischen Immanuel und Alfred auf ein Minimum. Ganz beigelegt würde der Streit mit Vater wohl nie werden,