Название | Ich hab mit Ingwertee gegoogelt |
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Автор произведения | Susanne M. Riedel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947106738 |
Es ist so weit, dass ich mich nach offenem Feuer sehne, ehrlichem Holz.
All die Herausforderungen des Alltags – sie sind mir zu komplex. Ich bin studierte Sozialarbeiterin, aber wenn ich über der Vielzahl von Möglichkeiten der Energieversorgung, der Versicherung, Altersvorsorge und Telefontarife sitze und mir obendrein all diese PINs und PUKs und IBANs und BICs merken soll, ganz ehrlich: Ich möchte mir manchmal selbst einen Betreuer bestellen.
Ständig ist man mit Informationsverarbeitung und Entscheidungen beschäftigt. Schon vor dem Deoregal im Supermarkt geht es los, überall geht es hier um Confidence und Protection, um Zuverlässigkeit und Diskretion. Meine Güte! Ich will die Dinger benutzen und nicht einstellen.
Und wenn ich mit dem Einkauf durch bin, bin ich so durch, dass ich an der Kasse stehe und mit meinem BVG-Ticket bezahlen will oder statt der PIN die Summe eingebe, die ich bezahlen soll.
Neben all dem Was und Wieviel schwebt ja auch immer die große Frage des Warum über meinem Kopf.
Warum gibt es Zahnbürsten mit Bluetooth?
Warum heißt ausgerechnet das alkoholfreie Bier Beck’s Blue?
Überhaupt: Namensgebung für Produkte …
Ein älterer Mann saß neulich in einem E-Rollstuhl neben mir. Der E-Rolli kam aus der Serie »Quickie«, das stand in fetten Lettern auf der Rückenlehne. Ich meine: »In Würde altern« wird dir da nicht leicht gemacht, oder? Mit der Logik kannst du auch gleich noch ’ne Datingplattform für Senioren erfinden und sie Alttours nennen. Oder Retropopp. Doch ich schweife ab.
Ständig musst du dich also orientieren und entscheiden. Warst du früher krank, bist du zum Arzt gegangen. Heute gibt es derart viele Fachrichtungen, dass du über der Entscheidung, ob du jetzt zum Orthopäden, Chiropraktiker, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker gehst, so alt geworden bist, dass eh nur noch der Geriater infrage kommt.
Beim Abendbrot sind meine Söhne und ich neulich beim Thema Akupunktur gelandet. Eine Freundin hatte mir von ihren Erfolgen im Kampf gegen den ewigen Heißhunger auf Süßes berichtet. Da ich ein Kind habe, das meine Liebe zum Essen teilt und morgens schon mal Sätze sagt wie »Ich spüre die Macht in mir. Es könnte auch Hunger sein …«, flocht ich das Thema unauffällig ein. Ich erzählte den Kids von den Grundannahmen der Akupunktur, wir diskutierten das Für und Wider alternativer Behandlungsmethoden und hatten ein richtig interessantes Gespräch. Dachte ich. Bis mein Jüngster fragte: »Mum … wann gehen wir mich denn nun gegen Döner impfen?«
Nichts begriffen, denkt man.
Und andererseits: Wenn das seine Möglichkeit ist, die Komplexität der Welt auf das eigene Leben herunterzubrechen – sei’s drum! Vielleicht ist das das Geheimnis der Informationsverarbeitung in Zeiten der Reizüberflutung: das Übersetzen in die eigene Sprache und die eigene Lebenswelt. Nur speichern, was man begreift. Den Dingen eigene Namen geben, die man versteht. Wohlan denn.
Die Sprache und das Sprachverständnis sind in ständigem Wandel. Ich verstehe sie nicht immer, die Generation nach uns, aber umgekehrt ist es ja nicht anders. Als mein älterer Sohn, der Basketballer ist, sich mal einen Morgen nicht richtig fit fühlte, fragte er ganz ernsthaft aus der Dusche heraus, ob wir noch »das Shampoo für die Sprungkraft« hätten, die bräuchte er heute ganz dringend.
Mein Modekatalog warb mal für Prämien mit der Überschrift: »Jetzt Freundin gewinnen!« Ein begeisterter 13-Jähriger fragte: »Okay! Was muss ich da machen, um eine Freundin zu gewinnen?«
Es kann vorkommen, dass sie »Karfreitag« mit »C« schreiben und, wenn ich ein Gedicht rezitiere, Dinge sagen wie: »Das ist doch ein schöner Spruch fürs Amnesiealbum.«
Zitiere ich aus einem Louis-de-Funès-Film und amüsiere mich köstlich, flüstert der eine tröstend zum andern: »Den Humor musst du nicht verstehen. Das war früher, als die Filme noch in Wände geritzt wurden.«
Genau. Damals, als die Menschen in Höhlen lebten und ihre Döner selbst erlegten.
Die Nudeln derweil sind immer noch jenseits von al dente.
Ich geh mal Holz holen.
So siehst du aus
Frühling, ein Café in der Gutsmuthstraße. Kurz überlege ich, ob ich mir das Frühstück »Crystal Mett« gönne, das aus einem Kristallweizen und einem Mettbrötchen besteht, bestelle mir dann aber doch nur einen Kaffee. Die nette junge Frau hinterm Tresen sagt: »Du hast die Nummer zwölf, alle weiteren Bestellungen dann bitte auf die Zwölf.«
»Voll auf die Zwölf«, erwidere ich. Sie guckt ratlos. Ich fand’s komisch.
Aber ich sehe halt auch nicht komisch aus.
Das hat mir schon mal jemand gesagt: eine junge Hip-Hopperin, die mal mit mir zusammen auf einer kleinen Lesebühne in Schöneberg eingeladen war. Ich kam von der Bühne zurück, und sie sagte mit erschüttertem Gesicht: »Das war komisch. Du siehst gar nicht aus, als ob du komisch bist.«
Grundsätzlich mag ich es sehr gerne, nicht genau in irgendwelche Schubladen zu passen, und kann über solche Sätze dann sehr schmunzeln.
Aber in letzter Zeit wird mir irgendwie ständig gesagt, wie und wonach ich aussehe – oder eben nicht.
Vor ein paar Tagen zum Beispiel habe ich bei Karstadt einen Besteckkasten gekauft. Das Ding war in einem großen Karton verpackt, und nein, ich wollte natürlich keine Tüte. Der Azubi an der Kasse – um die zwanzig, Vollbart, Gangsterrapperblick und tiefe Stimme – sagte: »Na, dann auf Wiedersehen. Und, äh, viel Freude damit.«
Das hatte man ihm wohl so beigebracht, es kam allerdings noch nicht so richtig authentisch rüber. Ich fragte mich auch, was sich ein zwanzigjähriger Mann wohl darunter vorstellt, wenn ich viel Freude habe. Mit einem Besteckkasten.
Ich fragte ihn, ob ich nicht so einen »Bezahlt«-Aufkleber bräuchte, wenn ich jetzt mit dem Ding aus dem Laden spaziere, darauf er: »Ach Quaaatsch. Sie sehen doch nu echt nich’ aus, als ob sie klauen, Mann. Bei mir wär’ das schon anders, aber so …«, dabei machte er eine unbestimmte Handbewegung von oben nach unten, die vermutlich auf mich als Gesamterscheinung hinweisen sollte.
Ich bin mir ganz sicher, er hat das nett gemeint. Dennoch war ich total knurrig, als ich den Laden dann tatsächlich unbehelligt verlassen hatte.
Es ist eine alte Wunde. Seit meiner Grundschulzeit geht mir das so, dass mich alle für harmlos halten. Eine Reißzwecke auf dem Lehrerstuhl, Fenster mit Tusche bemalt oder Stinkmorchel hinter der Tafel versteckt: Selbst wenn ich ein Vergehen beichtete und die Schuld unumwunden auf mich nahm, lächelten die Lehrerinnen und sagten: »Das ist ja lieb, Susanne, dass du den Schuldigen schützen willst, aber so einfach dürfen wir ihn nicht davonkommen lassen.«
Wie gerne würde ich einmal so aussehen, als ob ich klaue.
Aber jetzt spielt allmählich auch noch das Alter gegen mich, scheint mir.
Bei einem Hautarzt letzte Woche gab es auch so einen Moment. Ich zeigte ihm einen kleinen Hautausschlag an den Unterarmen, der mich seit ein paar Tagen plagte, und lauschte doch sehr gebannt, als er spontan von Syphilis und anderen Geschlechtskrankheiten redete, ob ich denn häufig wechselnde Sexualpartner … In diesem Moment sah er zu mir auf, unterbrach sich und sagte milde, während er andeutungsweise meine Hand tätschelte: »Entschuldigung. Geschlechtskrankheiten können wir wohl sicher ausschließen.« – Hallo?!
Nein, ich bin wirklich nicht scharf auf derlei Diagnosen – aber ist es zu viel verlangt, dass ich wenigstens infrage kommen will?!
Ich beginne zu ahnen: Die Diskriminierung des Alters hat viele Gesichter.
Es war nicht mein Tag.
Am Ende musste ich mir dann auch noch Blut abnehmen lassen. Um die Arzthelferin darauf vorzubereiten, dass ich Schwierigkeiten mit Spritzen habe, sagte ich vorneweg: »Ich gehöre zu den Ängstlichen, nicht dass