Ich hab mit Ingwertee gegoogelt. Susanne M. Riedel

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Название Ich hab mit Ingwertee gegoogelt
Автор произведения Susanne M. Riedel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947106738



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mit zusammengekniffenen Augen und fester Stimme: »Ich habe ein Perlhuhn getöpfert!«

      »Du hast was?«

      »Ich habe ein Perlhuhn getöpfert!«

      »Du hast ein Perlhuhn getöpfert.«

      »Ja. Aus Rache.«

      An dieser Stelle ist meine Neugier endgültig geweckt.

      Es war rund um den Muttertag, erzählt sie dann, dass sie im Freizeitprogramm der Reha-Klinik das Töpfern für sich entdeckt hat und die folgenden drei Wochen Tag um Tag und voller Freude töpferte, was das Zeug hielt.

      »Meine Kinder sind endlich groß, Susanne, verstehst du?«, sagt sie eindringlich und legt eine Hand auf meinen Unterarm: »Es ist an der Zeit!«

      Als ich immer noch verwirrt schaue, sagt sie:

      »All die Jahre, die ich mich freuen musste über selbst gemalte Bilder und all das getöpferte Zeug, von dem man nicht mal wusste, was es darstellen soll! Und immer musstest du alles geben und dich freuen und sagen: ›O wie toll, das hast du aber ganz schön gemacht, Liebling!‹, und dachtest eigentlich nur: ›Wohin jetzt wieder mit dem Scheiß?‹«

      Ich denke nach. Und ja, ich teile diese Erfahrung. In meinem Nachttisch habe ich eine extra Schublade für so was, ganz unten. Hier finden sich laminierte Tuschebilder aus der Kita, mit Autos bestickte Lesezeichen, mit Reis gefüllte Polyestertiere und Schlüsselanhänger aus neonfarbenen Bügelperlen … – die Muttertagsschublade.

      »Ich habe für alle Kinder was getöpfert«, sagt Christa, »und sie dann dabei beobachtet, wie sie sich freuen mussten!« Ein Sohn habe einen Stiftebehälter bekommen mit einem modellierten Seestern darauf, der andere eine Art Schale, und Sohn Nr. 3 – da wisse sie auch nicht so genau, was es sein sollte. Während sie erzählt, blitzt es in ihren Augen. »Susanne«, sagt sie und nimmt meine Hand: »Ab heute wird zurückgetöpfert!«

      Mich ergreift tiefe Ehrfurcht.

      Nur das Perlhuhn – das hat sie behalten. Es steht auf dem Regal in ihrem Büro und soll ihr fortan eine Erinnerungsstütze sein. Und mir eine Mahnung, mich lieber nie, niemals mit Christa anzulegen.

       Shake Shake

      Oh Gott, das kann der Wecker doch nicht ernst meinen. Schwer liegt die Dunkelheit über der Stadt, schwer liegt mein Körper auf der Matratze, schwer liegt mein Kopf auf seinem Kissen und ist in keiner Weise bereit, sich von ihm zu trennen.

      Das war aber auch eine blöde Idee reinzufeiern. Mitten in der Woche.

      Nur noch mal kurz die Augen zumachen …

      »Mum, aufstehen! Wir haben verschlafen!«, ist das nächste, was ich höre. Mist. Ich springe aus dem Bett, ziehe mir schnell irgendwas an, verabschiede Sohn 1 und Sohn 2 und wache eigentlich erst auf, als ich vor dem Kühlschrank stehe und die Zahnpasta suche. Kaffee. Gebt mir Kaffee.

      Aber dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Hastig greife ich meinen Rucksack und stürze zur Tür hinaus.

      Frische Luft ist ein Anfang. An der Bushaltestelle nutze ich die Wartezeit zum Schminken. Bei den Augenringen heute dauert das eine Weile, aber auf den 186er ist Verlass, der kommt nie, wann er soll, da hat man immer genug Zeit zum Schminken. Immer wenn ich den Slogan der BVG lese: »Weil wir Dich lieben«, denke ich: Ach ja, vielleicht kann sie es einfach nicht so zeigen? Und dann versuche ich, meine Antennen auf empfänglich zu polen, damit ich diese scheue Liebe nicht verpasse.

      Gestern vor der Feier bin ich extra noch in der Drogerie gewesen, neue Wimperntusche besorgen. Das Betrachten der Regale dort ist für mich inzwischen wie das Stöbern in einem Satiremagazin. Die neuesten Trends: Unisex-Nude-Make-up. Also Schminke, die einen aussehen lässt, als wäre man einfach blass und ungeschminkt. Toll.

      Und dann noch unisex, kann also auch bedenkenlos von Männern genutzt werden. Huh. Wenn da mal nicht ein Hauch von Revolution in der Luft liegt! Wenn das nicht explizit draufstünde, würde vermutlich nie ein Mann wagen, den Puder mal auszuprobieren, weil er Angst hätte, sich sofort in eine Frau zu verwandeln. Das ist wie mit diesen Einmalrasierern. Frauen kaufen lieber die doppelt so teuren mit dem rosa Griff, weil die extra für Frauen sind. Und weil das Unterbewusstsein irgendwie die Vorstellung hat, dass in dem Moment, wo man die blauen benutzt, sofort Bartwuchs einsetzt. Versteh, wer will.

      In der Ecke mit der Wimperntusche stand gestern zudem ein riesiges Schild mit dem Schriftzug: »Jetzt neu: mit Shake-Shake-Technologie!« Ich war neugierig. Und im Ernst, es handelt sich um Wimperntusche, bei der man die Flasche schütteln kann, wenn die Farbe ein wenig eingetrocknet ist. Sensationell! Am Ende erfinden sie noch eine Zahnpasta mit Quetsch-Quetsch-Technologie. Aber dafür ist die Zeit vielleicht noch nicht reif.

      Als der Bus endlich kommt und sich wenig später mit Schmackes in die Kurve von der Birkbuschstraße zum Wolfensteindamm legt, meldet sich mein Magen. Es war doch ein bisschen viel Sekt gestern. Man könnte sagen, mir steckt noch der Mumm in den Knochen.

      Als ich vor einigen Jahren im Krankenhaussozialdienst gearbeitet habe, gehörte auch die Beratung alkoholkranker Patienten zu meinen täglichen Aufgaben. Ich bin froh, dass das heute nicht mehr so ist – mit dem Gesicht, das ich gerade habe, würde mich jeder Klient auslachen. Wir würden uns in stummer Eintracht auf die Schultern klopfen und zusammen ein Konterbier zischen.

      In diesem Zusammenhang erinnere ich mich voller Freude an die Szene, als die Tochter einer alkoholkranken Patientin mich anrief, damals in meinem Büro im Klinikum Martin Luther. Sie meldete sich am Telefon mit dem großartigen Satz: »Guten Tag, mein Name ist Schmitz, und meine Mutter liegt seit gestern bei Ihnen im Luther und Wegner.«

      Manchmal braucht es gar nicht viele Worte.

      Etwas später am selben Morgen stehe ich mit einem sehr bitteren Kaffee auf dem S-Bahnhof Zoo. Kurz denke ich darüber nach, den Becher zurückzutragen und dem freundlichen Herrn am Tresen zu erklären, dass »Coffee to go« übersetzt nicht »Kaffee zum Weglaufen« bedeutet. Aber dann kommt die S3, und jeder, der öfter S-Bahn fährt, weiß, da sollte man nicht zögern, die kommt vielleicht so schnell nicht wieder, man kann es nie wissen. Irgendeine Weiche ist ja immer gestört. Oder ein Signal. Oder es ist wieder Wetter. Das Wort »Zugempfindlichkeit« jedenfalls kriegt da noch mal eine ganz andere Dimension.

      Und wofür das alles?

      Als ich eine Stunde später an meinem Spandauer Schreibtisch sitze, stelle ich fest, dass ich heute leider nicht besonders leistungsfähig bin. Mein Kater schnurrt, mein Kopf möchte auf irgendwas Weiches, meine Augen möchten das Schild »Geschlossen« an ihre Ringe hängen. Ständig verlese und verspreche ich mich. In einer Sitzung warne ich in meinem Beitrag vor einer zickenden Zeitbombe, das ist mir schon ein bisschen peinlich. Andererseits – wenn ich mal ein Buch über meine Schwiegermutter schreibe: Der Titel würde mir schon gefallen.

      In einer Mail möchte ich nun eine Wegbeschreibung an eine Frau versenden, die morgen zum Bewerbungsgespräch kommt. Glücklicherweise lese ich noch mal Korrektur. Manchmal spielt es schon eine Rolle für die Bedeutung eines Satzes, an welcher Stelle man das Leerzeichen setzt. Ich wollte schreiben: »Wenn Sie durch den Haupteingang kommen und geradeaus laufen …« Was ich stattdessen geschrieben habe, war: »Wenn Sie durch den Haupteingang kommen und gerade auslaufen …« Ich glaube, ich sollte heute ein bisschen früher Schluss machen.

      Auf dem Heimweg hole ich im Supermarkt noch etwas Zwieback. Ich passiere das Regal mit Wein und Sekt sehr schnell und fast ohne hinzugucken. Im Vorbeigehen lese ich auf einem Etikett »Borderline«, bei nochmaligem Hinsehen ist es dann aber doch »Bardolino«. Ich muss ins Bett.

      Zu Hause angekommen, fix und fertig mit Tee und Wärmflasche endlich wieder unter der weichen Decke, denke ich, ich könnte doch zum Einschlafen noch was lesen. Eine Freundin hat mir ein Buch geschenkt mit dem Titel »Weil Du es wert bin«. Seitlich aufgedruckt entdecke ich erst jetzt den Stempel »Preisreduziertes Mängelexemplar«. Das nenn ich mal stimmig.

      Ich glaube, ich mache jetzt einfach mal die Augen zu.