Helmut Schön. Bernd-M. Beyer

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Название Helmut Schön
Автор произведения Bernd-M. Beyer
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783730703175



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der Tradition des legendären Heiner Stuhlfauth versuchte er, gefährliche Situationen frühzeitig zu antizipieren und durch Herauslaufen zu unterbinden. Helmut Schön sah ihn »praktisch als elften Feldspieler« – wobei im Unterschied zu den heutigen Ausflügen eines Manuel Neuer das damalige »Herauslaufen« sich auf den Strafraum begrenzte.

      Während die Mannschaft vor Dzurs Ankunft mit dem defensiven »M« ihre Probleme hatte, funktionierte das offensive »W« umso besser. Mit wechselnden Flügelpartnern ließen sich mal Schön, mal Hofmann als Halbstürmer zurückhängen, während der jeweils andere als Mittelstürmer agierte. Ihr Zusammenspiel klappte offensichtlich reibungslos, zumal es auch persönlich zwischen ihnen stimmte. Bei allen Lobeshymnen, die über ihn niedergingen, war Schön nicht der Mann, die Autorität des Älteren infrage zu stellen. Nicht umsonst nannte er ihn den »Wegbereiter meiner Laufbahn«. Richard Hofmann wiederum war offenbar keiner, der Schön dessen Talent und Erfolge missgönnte. Noch im Alter schwärmte er vom jugendlichen Elan seines Sturmpartners, als er 1973 dem »Kicker« (nostalgisch leicht verklärend) erzählte: Schön »war ein Rastelli, drei Mann hat er ausgespielt und sich noch mit dem Tormann unterhalten, in welche Ecke er den Ball zaubern sollte«.

      Das gute Einvernehmen zwischen den drei prominentesten DSC-Akteuren Kreß, Hofmann und Schön zeigte sich auch in den Trainings-Sondereinheiten, die das Trio sich freiwillig auferlegte. Helmut Schön in einem Buchbeitrag von 1960: »Nur allzu gut kann ich mich noch daran erinnern, daß unser Platzwart mehrfach ungeduldig wurde, wenn Richard Hofmann, Willibald Kreß und ich lange nach Beendigung des offiziellen Trainings immer noch köpften, passten und schossen und unsere Übungen kein Ende nehmen wollten.« Und über die Kooperation während des Spiels: »Richard machte mir mit seinem feinen und doch kraftvollen Spiele den Weg frei, und ich konnte oftmals Lorbeer ernten, der eigentlich ihm gebührt hätte.«

      Die Zuschauer mochten Schöns Künste, auch wenn sie sich manchmal die vielzitierte Erkenntnis zuraunten: »E dierekter Lewe is es ja nich.« Denn in Spielen, bei denen der Gegner zwei Verteidiger auf ihn ansetzte, die ihn eng deckten, konnte Schön auch schon mal abtauchen. Er war nun mal kein kompakter Reißer wie Hofmann. Meist aber konnte er glänzen. Der »Kicker« ließ sich 1964 erzählen, dass bei Schöns Kabinettstückchen »die Leute im Ostragehege anerkennend die Luft durch die Zähne zogen: ›Guggemada, de Scheen‹«.

      Regionale und überregionale Zeitungen nahmen Anteil an den Leidensgeschichten, die ihm das Knie eintrug, und beobachteten interessiert seine körperliche Entwicklung. »Diese neueste Aufnahme zeigt, dass der schlanke Bursche etwas kräftiger geworden ist«, stellte im August 1937 der »Fußball« fest. Helmut Schön war mittlerweile fast 22 Jahre alt und hatte an Muskulatur deutlich zugelegt. Ein Körpergewicht von 78 Kilo maß die Zeitung dem Spieler zu, was »in gutem Verhältnis zu seiner Größe von 1,85 m« stehe (korrekt waren: 1,86 m), und urteilte: »Gewiß wirkt Schön noch schlank, doch sein gut trainierter Körper ist von beachtlicher Härte.«

      Das Foto, das der »Fußball« kommentierte, war bei einem Freundschaftsspiel des Dresdner SC gegen Bayern München entstanden, den Deutschen Meister von 1932. Die Münchner waren mit ihren Stammspielern um Goldbrunner, Bergmaier und Simetsreiter angereist, doch im Ostragehege erlebten sie eine beschämende 0:6-Niederlage. Verantwortlich dafür war vor allem Helmut Schön, der nach monatelanger Verletzungspause schrittweise wieder zu alter Hochform gefunden hatte. Der »Fußball« beschrieb seinen Auftritt: »Der lange Schön vom DSC. gestaltete diesen Kampf zu einem persönlichen Triumph. Nicht allein seine fünf Tore, sondern die feine Art seiner Spielauffassung und kunstvolle Ballbehandlung stempelten ihn zur markantesten Erscheinung auf dem Spielfeld.«

       »Glanzvolles Debüt« im Nationaltrikot

      Seit seiner Teilnahme am Olympiakurs 1933 war Schön immer mal wieder zu Auswahlspielen eingeladen worden. Es begann mit einer Berufung in die Dresdner Stadtauswahl, die im März 1934 zu einem Städtevergleich nach Berlin reiste. Im Mai 1935 fuhr Schön mit einer Jugendauswahl unter Assistenztrainer Sepp Herberger zu zwei Länderspielen auf den Balkan; in Sofia wurde er bei einer 0:2-Niederlage gegen Bulgarien »bei sengender Hitze« und »auf einer Sandwüste« als Mittelstürmer eingesetzt. Zwei Tage später gab es eine weitere Niederlage: 3:4 in Belgrad gegen Jugoslawien. Helmut Schön veröffentlichte anschließend im »Kampf« einen etwas zerknirschten Artikel über die Reise.

      Erfolge dagegen verbuchte er im Reichsbundpokal, der jährlich zwischen den Gaubereichen ausgetragen wurde. Im Oktober 1935 lieferte er drei Treffer beim 5:1 seiner Sachsen-Auswahl gegen Pommern, im November folgte ein 7:3 gegen Baden und im Januar 1936 das Halbfinale gegen Brandenburg/Berlin. Vor 25.000 Zuschauern in Chemnitz erzielte Schön beide Tore zum 2:0-Sieg, durch den die Sachsen das Endspiel gegen die Auswahl des Südwest-Gaus erreichten. Fürs Finale war er nominiert, konnte aber nicht mehr teilnehmen – wegen seiner Meniskusverletzung, die ihn im Olympiajahr auch um die ersehnte Berufung in die A-Nationalmannschaft brachte.

      Zu dieser Zeit stand Helmut Schön bereits in Sepp Herbergers Liste als einer von 30 Namen im »Spielerkreis Ende 36/37«. Ebenso bewies ihm ein Rundschreiben von Otto Nerz, dass er in dessen Planungen noch eine Rolle spielte. Nach der Niederlage beim olympischen Turnier hatte Nerz schrittweise seine Kompetenzen an Sepp Herberger abtreten müssen, blieb aber vorerst als DFB-Referent für die Nationalelf zuständig. Eine Abschrift seines Schreibens, das recht ungemütlich im Ton der Zeit gefasst ist, findet sich in Schöns Nachlass beim DFB: »Kameraden! Wichtige Aufgaben liegen dicht vor uns. Da heißt es, gerüstet zu sein! Ich bitte Euch alle, dafür zu sorgen, daß Ihr bereit seid, wenn der Ruf an Euch ergeht! Scharfes Konditionstraining (Laufen und Kopfspiel) ist besonders notwendig, denn es wird viel von Eurer Kraft und Ausdauer abhängen. Die Weltmeisterschaft des nächsten Jahres zwingt zu besonderer Sorgfalt in der Auswahl! Seid bereit! Heil Hitler! Nerz«.

      Scharfes Training aber konnte Schön kaum leisten. Während er am Knie laborierte, bauten Nerz und Herberger die Nationalelf um und fanden jene Aufstellung, die nach einem berauschenden 8:0 gegen Dänemark im Mai 1937 als »Breslau-Elf« berühmt wurde: der wuchtige Hans Jakob im Tor, davor die Verteidigung mit dem schussgewaltigen Paul Janes, dem kantigen Reinhold Münzenberg sowie dem nervenstarken Ludwig Goldbrunner als Stopper. Die beiden Schweinfurter Albin Kitzinger und Andreas Kupfer beherrschten zuverlässig das defensive Mittelfeld. Beim Offensiv-»W« agierten die Schalker Kreisel-Spieler Rudi Gellesch und Fritz Szepan als zurückhängende Spitzen; Ernst Lehner und »Ala« Urban, ein weiterer Schalker, wirbelten außen. Auf der Mittelstürmerposition spielte der Waldhöfer Otto Siffling variantenreich, indem er sich manchmal zurückfallen ließ, um Räume zu öffnen. Klarer Spielmacher und für Schön der »Feldherr« auf dem Platz war Fritz Szepan.

      Ihre Galavorstellung sicherte dieser Elf eine überragende Popularität, zumal ihr im Oktober 1937 in Berlin die Revanche gegen Norwegen gelang: Mit 3:0 wurde die Olympia-Blamage von 1936 ein wenig relativiert. Für neue Nationalmannschafts-Kandidaten war es nun schwer geworden. Helmut Schön: »Für uns ›Zuschauende‹ war es klar, dass ein Platz in dieser Mannschaft nur noch durch den Ausfall eines der Stammspieler frei werden konnte.« Er blieb in Wartestellung. Anfang Oktober 1937 erhielt er erneut ein Schreiben von Otto Nerz, der ihn bei einem Spiel beobachtet hatte und ihm bescheinigte, er habe seine Sache »recht gut gemacht«. Allerdings monierte Nerz: »Sie laufen nicht schnell genug auf den Flügel in Stellung! Vielleicht fehlt es an der Schnelligkeit, vielleicht an der Ausdauer, vielleicht an beidem!« Die örtliche Presse tat währenddessen ihr Bestes, das Talent dem Reichstrainer anzudienen. Die »Dresdner Neuesten Nachrichten« am 11. November 1937: »Er [Schön] dürfte also wohl einmal geeignet sein, den Sturm der deutschen Ländermannschaft erfolgreich anzuführen.«

      Nur kurz darauf ergab sich eine Chance. Es stand ein Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft 1938 an, Gegner in Hamburg war Schweden. Vier Tage davor hatte Herberger in Frankfurt ein Testspiel zwischen seiner A-Mannschaft und einer Nachwuchsauswahl angesetzt, bei der Schön auf halbrechts spielte. Die Youngster verloren 0:2, doch nach dem Spiel, so berichtete Schön, »nahm mich Sepp Herberger zur Seite: ›Helmut, gut gespielt, Sie spielen am Sonntag in Hamburg halbrechts!‹« Schön dachte zunächst an einen Scherz: »Das glaube ich Ihnen nicht.« »Aber ich glaub’s!«, antwortete der Trainer etwas mürrisch. Ihm war Albin Kitzinger