Название | Helmut Schön |
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Автор произведения | Bernd-M. Beyer |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783730703175 |
Auch der Bundestrainer Schön installierte, wann immer es ging, einen Spielmacher als verlängerten Arm auf dem Platz und berief sich dabei ausdrücklich auf die Tradition seines Vorgängers. Wie noch ausgeführt wird, favorisierte er dabei allerdings einen deutlich kooperativeren Modus als Herberger. Dessen Führungsstil war zwar weniger militärisch geprägt als der Nerz’sche, blieb aber patriarchalautoritär. Herberger verstand sich nun einmal so, wie seine Spieler ihn auch nannten: als »Chef«. So sah ihn damals auch der Nationalspieler Schön. Herbergers Anweisungen hatten für ihn Gesetzeskraft, und nicht im Traum wäre es ihm eingefallen, dem Trainer mit taktischen Vorschlägen zu kommen.
In seiner verhältnismäßig kurzen Länderspielkarriere zwischen 1937 und 1941 dürfte Helmut Schön von Herbergers taktischer Neuerung profitiert haben, den Angriff variabler zu gestalten. Alle fünf Angreifer sollten dazu in der Lage sein, die Positionen zu tauschen, alle mussten sich am Kombinationsspiel beteiligen, der Mittelstürmer sich nicht allein als Vollstrecker sehen, sondern auch als Vorbereiter. Tobias Escher: »Herberger taufte seine Spielidee ›Wirbel‹: flexible Positionswechsel, die den Gegner überraschen und verwirren sollten.« Das entsprach dem Spielverständnis von Schön, der gerne mal als nomineller Mittelstürmer, mal als Halbstürmer auflief und während des Spiels vor allem mit Richard Hofmann die Rollen tauschte.
Als Helmut Schön damit im Verein die großen Erfolge einfuhr, hatte er sich längst vom gehorsamen Befehlsempfänger zum eigenständigen Kopf auf dem Platz entwickelt. Vielleicht half ihm dabei sogar die frühzeitige Ausmusterung durch den Reichstrainer Herberger nach nur 16 Länderspielen. Da er mit dessen Allgewalt nicht mehr konfrontiert war und im eigenen Verein ein autoritär gepolter Trainer nicht existierte, besaß Helmut Schön mehr Freiräume und stärkeren Einfluss auf die Spielweise seiner Mannschaft. »Führereigenschaften« erkannte bei ihm Otto Nerz, als er 1943 im »Kicker« das Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft kommentierte. Etwas weniger im Stil der Zeit war dieser Beitrag übertitelt: »Schön wieder Drehpunkt der Dresdner Elf«. Gemeint war dasselbe: Schön bestimmte die Taktik und den Rhythmus des Dresdner Spiels. Von einem Trainer am Seitenrand war in dem ganzen seitenlangen Artikel nicht die Rede. In gewisser Weise hatte ihn offenbar Schön bereits ersetzt.
Der Ahne: Richard Girulatis
Als Helmut Schön dann tatsächlich Trainer geworden war, ging er ganz unmittelbar durch Herbergers Schule, zunächst 1950 in einem Lehrgang, zwischen 1956 und 1964 als dessen Assistent. Er hat, wie noch gezeigt wird, Herbergers Einfluss nie geleugnet, sondern im Gegenteil die Kontinuitäten in der Trainerarbeit mehrfach hervorgehoben. Zuweilen hat er auch an Jimmy Hogan erinnert, einmal aber an einen noch älteren Lehrmeister. Das war 1975 auf einem Trainerkongress, der in List auf Sylt stattfand. Dort hielt Schön ein Referat, und ausgerechnet zum Thema »Die Zukunft im modernen Fußball« pries er die Lehren des »Vaters aller deutschen Fußballtrainer«.
So bezeichnete Sporthistoriker Erik Eggers in einem ausführlichen Porträt Richard Girulatis, der mit seinem 1919 erstmals erschienenen Lehrbuch »Fußball. Theorie, Technik, Taktik« die Grundlagen für das Trainerwesen in Deutschland schuf. Der Sohn eines Schmiedes, 1878 in Berlin geboren, gründete als 14-Jähriger mit anderen sportbegeisterten Jugendlichen den Berliner Thor- und Fußballclub Union 92, der 1905 Deutscher Meister wurde. Zu diesem Zeitpunkt weilte Girulatis in den USA, wo er auch das Sportsystem an den Universitäten studierte und sich Fachkenntnisse aneignete, die im Deutschen Reich damals kaum anzutreffen waren. Nach seiner Rückkehr war er bei den Vereinen daher ein begehrter Mann. Mit Tennis Borussia Berlin feierte er bald sportliche Erfolge. Auch der DFB sicherte sich seine Dienste; unter anderem sollte er die deutsche Elf auf die für 1916 in Berlin geplanten Olympischen Spiele vorbereiten. Einige Kurse fanden statt, dann verhinderte der Erste Weltkrieg weitere olympische Aktivitäten.
Nach dem Krieg war Girulatis vor allem als Dozent an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin tätig, wirkte aber zwischendurch immer auch praktisch als Trainer bei Spitzenvereinen wie Hertha BSC und Hamburger SV. In der NS-Zeit zog sich der überzeugte Sozialdemokrat aus dem Fußball zurück, weil er bei der Politisierung und Arisierung des Sports durch die Nazis nicht mitmachen wollte. Für ihn hatte, wie Erik Eggers zitiert, der Sport »frei von jeder nationalen Überhebung« zu sein. Die Nachkriegspraxis, ehemalige NSDAP-Mitglieder wieder in Amt und Würden zu heben und »solche Leute sofort nach ihrer Entnazifizierung wieder auf die deutsche Jugend loszulassen, wie z.B. Herberger«, mochte er nicht verstehen. Er selbst wirkte in der Bundesrepublik eher im Hintergrund am Wiederaufbau einer seriösen Fußballlehrerausbildung mit.
In seinem mehrfach aufgelegten und überarbeiteten Lehrbuch empfahl Girulatis ein wissenschaftlich fundiertes Training, Übungen für Technik und Kombinationsspiel sowie seriöse Spielvorbereitung. Helmut Schön, der sich schon als Spieler für Trainings- und Taktiklehren interessiert haben muss, dürfte Girulatis’ Bestseller wohl gelesen haben. Manches davon hat er jedenfalls verinnerlicht – so sehr, dass er sich noch 1975 daran erinnerte.
Das, was er in seinem Vortrag zum »modernen Fußball« besonders hervorhob, war ein Credo, das er selbst als Trainer schon oft formuliert hatte – ansonsten allerdings, ohne den alten Lehrmeister dabei zu erwähnen. Jetzt tat er es: »Ich denke in diesem Zusammenhang immer an einen unserer ersten Kollegen, nämlich Girulatis, der 1921 in seinem Lehrbuch einige Sätze niedergeschrieben hat, die auch heute noch Gültigkeit haben und das erstrebenswerte taktische Ziel einer Mannschaft sein sollten. Girulatis versteht unter Taktik im Fußball die Fähigkeit und die Absicht, das eigene Spiel durchzusetzen und das Spiel des Gegners im Keime zu ersticken. Damit ist eigentlich alles über Angriff, Abwehr und taktische Auffassung des Spiels gesagt. Wir sprechen so oft davon, dass wir unser Spiel den Gegebenheiten und dem Gegner anpassen sollten. Viel besser ist es, wenn wir vorweg gehen und mit unseren Mannschaften unser Spiel dem Gegner aufzwingen. Soll er sehen, wie er mit uns fertig wird.«
In gewisser Weise hätte das auch Joachim Löw sagen können. Oder Sepp Herberger. Es gibt taktische Überlegungen, die zeitlos sind. Wie auch der wichtigste Lehrsatz des Richard Girulatis, den fast alle Fußballer kennen, ohne zu wissen, von wem er stammt: »Elf Freunde müsst ihr sein, um Siege zu erringen.«
KAPITEL 2
Höhenflug und harter Boden
1935 bis 1941: Die Zeit bei der Nationalmannschaft
Vor den Osterferien, mit denen seinerzeit das Schuljahr endete, bestand Helmut Schön 1935 am Bischöflichen St.-Benno-Gymnasium die Abiturprüfung. Das Zeugnis wies überwiegend gute Noten aus. »Sehr gut« hieß es in Religion, Französisch, Englisch und Geschichte; »genügend« gab’s in Mathematik, Chemie und Zeichnen, im Turnen erstaunlicherweise nur ein »Gut«. Auch als Schüler an der realgymnasialen, also neusprachlichen Abteilung hatte er das damals obligatorische Latein gelernt; an das eine oder andere lateinische Zitat erinnerte er sich später gerne.
Warum Schön unmittelbar nach dem Abitur eine Lehre bei der Sächsischen Staatsbank absolvierte, erschließt sich nicht so recht; echtes berufliches Interesse war es wohl nicht. Möglicherweise gewährte die Bank dem Sportler, der inzwischen lokale Prominenz erlangt hatte, besonders günstige Arbeitsbedingungen. Er sei »wie eine zoologische Attraktion« zwischen den Abteilungen herumgereicht worden, erzählte Schön in seiner Autobiografie. Gelernt habe er fast nichts, auch wenn er am Ende das Diplom als Bankkaufmann erhielt. Sein Gehalt