Название | Die Ankündigung |
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Автор произведения | Nancy Mehl |
Жанр | Языкознание |
Серия | Ein Kaely-Quinn-Krimi |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783775175098 |
Kaely las die Informationen noch einmal. Jedes der Opfer war zu Hause gestorben, erwürgt mit einem Gegenstand, der vom Tatort entfernt worden war. Der Gerichtsmediziner vermutete aufgrund der Würgemale eine Art Lederband, wollte sich aber nicht genauer festlegen. Nichts deutete auf Einbruch hin. Wer immer der Täter war – die Opfer mussten ihn freiwillig in ihre Häuser oder Wohnungen gelassen haben. Die Opfer kannten einander nicht und hatten auch sonst nichts gemeinsam. Der Täter musste jemand sein, von dem sie nichts Böses befürchteten. Vermutlich verkleidete er sich als Mitarbeiter eines öffentlichen Dienstleisters. Vielleicht jemand vom Stromanbieter, Kabelnetzbetreiber oder Wasserwerk. Aber die Opfer hatten unterschiedliche Anbieter für diese Dienste. Zwei davon waren zwar beim gleichen Stromversorger, aber einer lebte in einem Mietshaus, in dem alle Nebenkosten vom Eigentümer beglichen wurden. Natürlich hätte der Mörder seine Arbeitskleidung wechseln können, aber Kaely glaubte das nicht.
Er war zwar bis zu einem gewissen Grad organisiert, aber auch der Zufall spielte eine Rolle. Bei der Planung seiner Morde bewies er Organisation. Aber er konnte natürlich niemals sicher sein, ob die Leute zu Hause und für ihn erreichbar waren. Einer der Morde passierte, als ein Opfer einen Tag freigenommen hatte, um seine Mutter zum Arzt zu fahren. Das war eine spontane Entscheidung gewesen. Der Mörder konnte es unmöglich gewusst haben.
»Deine Vorgehensweise ist zwar immer gleich, aber was ist deine ganz persönliche Handschrift?«, flüsterte sie ihrem Gegenüber zu, so leise, dass niemand es mitbekommen konnte. »Was treibt dich dazu, Menschen zu töten?«
Sie bekam keine Antwort von ihrem Tischgenossen.
Während sie die Akte Seite für Seite noch einmal durchblätterte, brachte eine Bedienung ihr Essen. Hastig raffte Kaely die Fotos zusammen und klappte ihre Unterlagen zu, damit die junge Frau die verstörenden Bilder nicht sehen konnte. Zu Beginn ihrer Ausbildung in der Abteilung für Verhaltensanalyse hatten Kaely solche Bilder auch schockiert. Nun waren sie einfach wie Teile einer Art Puzzle. Es war nicht so, dass die Opfer ihr egal wären. Ganz im Gegenteil. Aber anders konnte sie ihre Arbeit nicht tun. Sie arbeitete für die Opfer. Ihre Art der Sorge war es, ihnen Gerechtigkeit zu verschaffen. Wenn sie an ihren Schicksalen zerbrach, wäre niemandem geholfen. Mit der Zeit hatte sie gelernt, um sich selbst und ihre Gefühle eine Mauer zu bauen. Zwar bekam diese Mauer manchmal Risse, aber Kaely schaffte es immer, sie irgendwie zu reparieren.
Sie dankte der Bedienung und nahm einen Bissen Lachs. Köstlich, wie immer. Nachdem die junge Dame gegangen war, nahm ihr Tischgenosse einen Suppenlöffel, begann seine Suppe zu schlürfen und bekleckerte das Tischtuch.
»Du hast keine Manieren«, stellte sie leise fest. »Du bist einfach gestrickt. Was immer dein Motiv ist, es muss einfach sein. Nichts Kompliziertes.«
Während er seine Suppe hinunterschlang, erkannte sie, dass er wohl ein sehr einfaches Leben führte. Anspruchslos. Eine kleine Wohnung oder ein Zimmer in einer Pension. Er besaß ein älteres Auto, hielt es aber vermutlich sauber. Warf keinen Müll in die Landschaft. Mochte keine Unordnung. Schnell schrieb sie ihre Gedanken auf ihren Notizblock. Sie wollte aufhören. Erst zu Hause mit ihrer »Befragung« fortfahren, aber es ließ ihr keine Ruhe. Sie musste der Sache auf den Grund gehen. Als hätte sie keine andere Wahl, als weiterzumachen, bis sie die Antwort gefunden hatte.
An einem Tisch in ihrer Nähe beglich ein Gast gerade seine Rechnung. Kaely hörte die Frau zu der Bedienung sagen: »Könnte ich vielleicht eine kleine Tüte für die Reste haben? Die bekommt mein Hund.«
»Natürlich, Ma’am«, sagte die Bedienung und räumte ein paar Teller ab. »Ich bringe Ihnen gleich eine.«
Kaely nahm noch eine Gabel von ihrem Lachs. Aber noch bevor sie sie zum Mund geführt hatte, hielt sie in der Bewegung inne. Das war es! Sie legte die Gabel wieder hin und sah erneut die Akte durch. Noch einmal las sie sorgfältig den Bericht des Gerichtsmediziners; dann die Notizen der Spurensicherung. Tatsächlich! Alles da!
Schließlich blätterte sie noch einmal die Vernehmungsprotokolle durch. Freunde, Angehörige, Nachbarn. Nach und nach formte sich vor ihrem inneren Auge ein deutliches Bild. Kaely fixierte ihr Gegenüber.
Dort saß ein Mann. Mittelgroß, etwas untersetzt, Anfang 30. Blond, schiefe Zähne und ein T-Shirt mit einem Schriftzug darauf.
»Du bist es also!«, sagte Kaely lächelnd.
»Nein, ich bin’s nicht!«, widersprach der Mann. Zwiebelsuppe tropfte auf sein T-Shirt. Darauf war ein Pandabär abgebildet und darunter ein Schriftzug: Ich sorge nicht nur für Tiere. Tiere sind mein Leben.
»Im Ernst?«, seufzte Kaely.
Sie zog ein Handy aus ihrer Handtasche. »Solomon?«, sagte sie, sobald er abgehoben hatte. »Ich habe was für Sie im Fall Nashville.« Sie hielt einen Moment inne. »Sie bekommen von mir ein Profil, aber ich kann ihnen auch gleich den Namen des Unbekannten von Nashville sagen.«
2
Mit einem Kopfschütteln legte Special Agent Solomon Slattery, der Leiter der FBI-Außenstelle St. Louis, den Hörer auf. Er sollte Kaely Quinn mittlerweile kennen, aber sie war immer wieder für eine Überraschung gut. In all den Jahren beim FBI hatte er noch nie mit jemandem wie ihr zusammengearbeitet. Sie hatte nicht nur ein unglaubliches Talent. Sie war für ihre Tätigkeit geboren. Irgendwie war sie in der Lage, den verdorbensten Kreaturen, die diese Erde je hervorgebracht hatte, in die Seele zu blicken. Aber es war nicht nur das. Es war noch viel mehr.
Schnell wählte er eine andere Nummer. »Erwischt! Habe ich mir’s doch gedacht, dass du noch im Büro bist«, witzelte Solomon, als er die Stimme seines Freundes aus Nashville hörte.
Ein tiefer Seufzer drang an sein Ohr. »Ich versuche immer noch, diesen Kerl zu finden. Hast du was Neues für mich?«
»Wie wär’s mit einem Namen?«
Für einen Augenblick war es still in der Leitung. »Einem Namen?«, erwiderte Phil Thompson, der Polizeichef von Nashville, ungläubig. »Ich verstehe das nicht. Ich hatte ein Profil erwartet.«
Solomon lachte. »Sie meint zu wissen, wer euer Unbekannter ist.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Was du glaubst, ist deine Sache. Ich bin lediglich der Überbringer der Nachricht. Aber ich würde mal lieber nicht gegen sie wetten.«
Phil zögerte einen Moment. »Okay, spuck’s schon aus!«
Die Skepsis, die Solomon aus der Stimme seines Freundes heraushörte, ließ ihn schmunzeln. »Der Name eures Täters könnte Charles Morgan sein.«
»Nun mal langsam! Charles Morgan? Der Kerl, den wir nach dem zweiten Mord im Park vernommen haben? Seid ihr wahnsinnig? Der Typ könnte buchstäblich keiner Fliege was zuleide tun. Er ist einer von diesen wohltätigen Tierfreunden. Und arbeitet sogar für eine Tierschutzorganisation. Niemals!«
»Kaely hat euren Unbekannten als jemanden beschrieben, der sich für unerwünschte und misshandelte Tiere einsetzt. Er ist Vegetarier. Absolut unauffällig. Niemand, den man unter normalen Umständen verdächtigen oder auch nur bemerken würde. Wenn ihr Morgans Familienverhältnisse unter die Lupe nehmt, findet ihr bestimmt heraus, dass er als Kind von einem oder auch beiden Elternteilen misshandelt wurde, aber vermutlich eine Katze oder einen Hund hatte. Sein Tier wurde seine Familie. Mit Menschen kann er nichts anfangen. Hat wohl keine engen, dauerhaften Beziehungen. Aber Tieren fühlt er sich verbunden und versteht die Leute nicht, die keine haben wollen. Er hält sie tatsächlich für Egoisten, die für die Tiere verantwortlich sind, die keiner aufnimmt und die schließlich eingeschläfert werden. Das macht ihn zornig und er will Rache üben.«
»Das ist ja verrückt! Wie um alles in der Welt …?«
»Erstens haben eure Opfer nichts gemeinsam.«
»Das