Название | Elf Meter |
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Автор произведения | Ben Lyttleton |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783730701850 |
Nach dem Spiel traf ich mich kurz mit Given und gratulierte ihm zu seinem Debüt. (Von der zweiten Halbzeit hatte ich sogar noch weniger mitbekommen als von der ersten, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, meinen Moment der Schande immer wieder im Kopf durchzuspielen. Ich hatte mir aber sagen lassen, dass er gut gespielt habe. Ich redete mir ein, dass Bonner den ersten absichtlich reingelassen und ich mich eigentlich schon beim Anlauf verraten hatte. Das glaube ich immer noch, gräme mich deswegen aber nicht mehr.) Er fragte, wie es gelaufen sei, und ich verzog keine Miene.
„Jau, ganz gut, danke“, antwortete ich. „Einen habe ich versenkt, den anderen hat Packie gehalten, bin also ganz zufrieden.“
„Gut gemacht“, sagte Given.
Ich hoffte inständig, dass er nicht doch am Monitor zugesehen hatte.
Fast auf den Tag genau 13 Jahre später schaute ich das Finale der WM 2010 zwischen Spanien und den Niederlanden. Spanien war die bessere Mannschaft und hatte den Sieg verdient, aber ich hoffte insgeheim, dass sich die Holländer irgendwie ins Elfmeterschießen retten würden. Warum? Ich hatte inzwischen eine Consultingfirma namens Soccernomics mitbegründet, und wir arbeiteten mit Ignacio Palacios-Huerta zusammen, einem Professor für Spieltheorie an der London School of Economics. Palacios-Huerta hatte 1999 eine Abhandlung mit dem Titel Professionals Play Minimax geschrieben, die auch heute noch als wegweisende Studie über Elfmeter gilt.
Mittels Regressionsanalyse ist Palacios-Huerta in der Lage, Muster und Tendenzen in den Elfmetergewohnheiten von Schützen und Torhütern zu ermitteln. Wenn die meisten Elfmeter, sagen wir 70 Prozent, auf die natürliche Seite des Schützen geschossen werden – die vom Schützen aus gesehen linke Ecke bei Rechtsfüßern, die rechte Ecke bei Linksfüßern –, so kann er den Spieler ausfindig machen, der nur 60 Prozent seiner Versuche auf die natürliche Seite schießt. Das ist an sich schon hilfreich, aber noch viel nützlicher ist seine Fähigkeit, bestimmte Muster aufzuspüren: Diego Forlán, Copa-América-Gewinner mit Uruguay, schießt links, dann rechts, dann wieder links. WM-Rekordtorschütze Miroslav Klose schießt immer auf die gleiche Seite, sofern der Spielstand torlos ist. Frank Lampards Strategie hängt davon ab, ob er es mit einem Torhüter zu tun hat, den er aus der englischen Nationalmannschaft kennt.
Mehrere Mannschaften hatten sich im Vorfeld der WM an Soccernomics gewandt. Eine ging mit einer vollständigen Analyse von Palacios-Huerta in ein K.-o.-Spiel, verlor aber in der regulären Spielzeit (Strafstöße hatte es im Match keine gegeben). Ein anderer Teilnehmer bat 24 Stunden vor dem Anpfiff um einen umfassenden Elfmeter-Bericht, Palacios-Huerta braucht aber drei Tage, um sämtliche Daten für neue Teams auszuwerten. Die Anfrage kam also zu kurzfristig. Die Mannschaft schied ebenfalls in der regulären Spielzeit aus.
Vor dem Finale traten wir an den niederländischen Verband heran, und er bekundete Interesse an einer Analyse. Palacios-Huerta, selbst Spanier, lieferte einen Bericht über seine Landsleute ab, und die Holländer waren begeistert. „Wir waren sehr beeindruckt“, sagte Torwart Ruud Hesp. „Der Bericht verschaffte uns wertvolle zusätzliche Informationen und Analysen über jeden einzelnen Spieler.“
Vor dem Ende der Verlängerung waren zwei der sichersten Elfmeterschützen der Spanier, Xabi Alonso und David Villa, ausgewechselt worden. Am Ende stand mit Fernando Torres nur ein Spanier auf dem Platz, der in seiner Karriere mehr als fünf Elfmeter geschossen hatte (allerdings alle für Atlético Madrid und keinen für Liverpool, wo Torres damals schon drei Jahre spielte). Der Bericht zeigte, dass Spieler, die nur selten Elfmeter schießen, vorwiegend ihre natürliche Seite wählen. Andererseits tendierte Torres dazu, auf seine nicht-natürliche Seite zu schießen. Spaniens Torhüter Iker Casillas sprang überdurchschnittlich oft auf die natürliche Seite, wodurch sich die Chancen der Spieler erhöhten, die die nicht-natürliche Seite anvisierten. Außerdem war er bei bisher 59 Elfmetern gegen sich kein einziges Mal in der Mitte stehen geblieben.
Kein Wunder also, dass es auf der holländischen Bank lange Gesichter gab, als Andrés Iniesta vier Minuten vor dem Ende der Verlängerung zum 1:0 traf. Nach dem Spiel meinten die Holländer, dass sie sicher gewesen seien, das Elfmeterschießen und damit ihren ersten WM-Titel zu gewinnen. Und das, obwohl sie seit langem als Elfmeter-Versager galten. Schließlich sind sie bis heute die einzige Nation, die es fertiggebracht hat, fünf Elfmeter in einem einzigen Turnierspiel zu vergeben: beim irrsinnigen EM-Halbfinale 2000 gegen Italien.
Für die Holländer blieb die Analyse somit wertlos. Für eine andere Mannschaft aber könnte sie in einem anderen wichtigen Match den Unterschied machen. Elfmeter gehören seit jeher zum Fußball, aber weil sie scheinbar so simpel sind, wird ihre Bedeutung häufig unterschätzt. Schließlich sollte es für Profifußballer, die jeden Tag trainieren und spielen, kein Problem sein, aus elf Metern ein 7,32 Meter breites und 2,44 Meter hohes Tor zu treffen. Aber allzu oft ist es eben doch ein Problem, und das macht das Duell vom Punkt so faszinierend.
Dieses Buch versucht, eine einfache Frage zu beantworten: Wie verwandelt – oder hält – man einen Elfmeter? Um sie zu beantworten, muss man zunächst einmal herausfinden, warum bestimmte Mannschaften oder Spieler überhaupt scheitern. Ich habe die Gründe für das Scheitern dieser Mannschaften und Spieler unter die Lupe genommen und bin auf innovative Lösungen gestoßen, zukünftige Fehlschläge zu vermeiden. Die meiste Freude bereitete mir die Tatsache, dass Elfmeter trotz der ihnen innewohnenden Grausamkeit von aller Welt geliebt werden. Jeder Spieler und jeder Fan hat eine Elfmetergeschichte zu erzählen, über den besten, den schlechtesten, den nicht gegebenen, den zu Unrecht gegebenen. Seien wir ehrlich: Wir haben alle schon mal eine Verlängerung gesehen und insgeheim gehofft, dass keine weiteren Tore mehr fallen, um einen dramatischen Showdown vom Punkt erleben zu können. Der Elfmeter ist Fußball in Reinkultur: Es gibt nur Schütze, Torwart und Ball. Sonst nichts. Eine Prüfung für Technik und Nerven. Es ist die Essenz des Spiels, Fußball in seiner elementarsten Form. Aber selbst dann ist er alles andere als simpel.
Die Elfmeter, über die ich in diesem Buch schreibe, wurden berücksichtigt, weil sie eine Geschichte erzählen über Historie, Kultur oder Taktik des Duells vom Punkt. Falls Ihr Lieblings-Elfmeter nicht dabei ist, keine Sorge: Besuchen Sie die Website www.facebook.com/twelveyards und stimmen Sie für denjenigen ab, der Ihnen am meisten bedeutet. Dort können Sie sich außerdem Videos der hier behandelten Elfmeter anschauen.
Ich möchte allen Spielern, Torhütern, Trainern, Wissenschaftlern und Athleten aus anderen Sportarten danken, die sich Zeit für mich nahmen und mir halfen, zu verstehen, worauf es beim Elfmeterschießen ankommt. Ich glaube, würde ich heute noch einmal gegen Packie Bonner antreten, er hätte nicht den Hauch einer Chance.
Kapitel 1
Die englische Krankheit
Ich habe England ein Elfmeterschießen gewinnen sehen. Ich war am 22. Juni 1996 im Wembley-Stadion dabei, als England im Viertelfinale der Europameisterschaft Spanien im Elfmeterschießen mit 4:2 besiegte. Hätte ich doch damals schon gewusst, was ich heute weiß: dass England seine nächsten fünf Elfmeterschießen verlieren würde; dass Spieler scheitern würden, die regelmäßig Elfmeter schießen, ebenso wie Spieler, die nie Elfmeter schießen; dass namhafte wie unbekannte Spieler scheitern würden; dass Verteidiger, Mittelfeldspieler und Stürmer scheitern würden. Damals war es ja „nur“ ein Viertelfinale gegen Spanien. Ach, hätte ich es bloß gewusst, hätte es irgendeiner von uns gewusst.
Stattdessen verlor England vier Tage später gegen Deutschland, mal wieder im Elfmeterschießen. Immerhin waren sie diesmal nah dran gewesen: Sie verwandelten die ersten vier Schüsse, das machte dann inklusive des Spiels gegen Spanien neun verwandelte Elfmeter in Folge. Zwei Jahre später, bei der WM 1998 in Frankreich, unterlag England im Elfmeterschießen gegen Argentinien, bei der EM 2004 und der WM 2006 jeweils gegen Portugal. Bei der EM 2012 scheiterten sie an Italien.
Inzwischen