Название | Blut und Wasser |
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Автор произведения | Jurica Pavicic |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944359595 |
»Die haben ihre Sachen mitgenommen. Alles, was sie für die Ermittlungen brauchen. Das wollten wir damit sagen.«
Jakob tritt an das Bett seiner Tochter. Es sind wirklich nicht mehr viele von Silvas Sachen hier. Der Pyjama, etwas Unterwäsche, ein orangefarbener Wecker. Doch auch diese wenigen Dinge wecken in ihm einen unerwarteten, heftigen Schmerz. Er schaut auf Silvas Klamotten, Filzstifte, einen Kamm und wird sich erneut ihrer Abwesenheit bewusst. Er bemerkt, dass nirgendwo Familienbilder stehen. Wenn die Polizei sie nicht mitgenommen hat, dann hat Silva keine aufgestellt, das erklärt, warum die Mädchen ihn nicht erkannt haben.
Aber sie sind misstrauisch.
Das war keine gute Idee, denkt er. Ich hätte nicht herkommen sollen.
Er geht hinaus auf den Flur, wo er sich an die kalte Wand lehnt und tief durchatmet, um eine kurze Schwäche zu überbrücken. Das dunkelhaarige Mädchen kommt aus dem Zimmer und stellt sich neben ihn. Jetzt fällt es ihm ein – Mirna. Silva hat erzählt, dass Mirna eine Zahnspange trägt.
Leise und verschwörerisch sagt sie: »Ich wollte vorhin nichts sagen, aber das hat so kommen müssen.«
»Was hat kommen müssen?«
»Das, was mit ihr passiert ist. Das hat so kommen müssen. Niemand hier will es zugeben. Aber die Wahrheit ist, dass sie es verdient hat.«
»Verdient? Was denn?«, fragt Jakob verwirrt.
»Das. Alles. Was auch immer passiert ist, sie hat es verdient. Das Miststück. Die Hälfte aller Mädchen im Wohnheim hat sie an die Nadel gebracht. Wahrscheinlich haben ihre Dealer sie gekillt.«
»Ihre Dealer?«
»Dieser Cvitko. Der kam immer zu ihr, hierher. Was für ein Typ.«
Jakob steht auf dem Gang und hört zu, wie das Mädchen mit der Zahnspange seine Tochter mit Schmutz bewirft. Am liebsten würde er sie zu Boden stoßen und auf sie einschlagen, mit Händen und Füßen, bis er ihre Knochen unter seinen Händen spürt. Aber dann wird das Mädchen mit der Zahnspange wieder ernst und ruhig.
»Aber bitte«, sagt sie, »schreiben Sie das nicht. Oder dass Sie es von mir haben, haben Sie gehört?«
Er nickt und das Mädchen verabschiedet sich erleichtert. Er erwidert ihren Gruß und sieht ihr nach, als sie mit einem kurzen Winken in ihrem Zimmer verschwindet.
Er verlässt das Gebäude. Der Wind hat aufgefrischt. Eine Welle stickiger, feuchter Luft umfängt ihn und er wäre fast zusammengebrochen.
Am nächsten Tag beschließt Jakob, diesen Cvitko zu finden. Wieder fährt er nach Split, auf der Fahrt entlang der Küstenstraße zittern seine Hände. Er wird sich eines neuen, unbekannten Gefühls bewusst. Er hat Angst.
Er erreicht Split, als die meisten Angestellten Kaffeepause machen. Das Auto stellt er in einer Seitenstraße ab und schlendert durch das Viertel Manus auf der Suche nach dem Butterfly. Er findet es schnell, an einem kleinen Platz unweit seines Parkplatzes. Es besteht aus einem kleinen schummrigen Innenraum und einer überdachten Terrasse. Das Lokal sieht so gewöhnlich aus wie zig andere.
Er setzt sich auf eine Bank gegenüber dem Butterfly, schlägt eine Zeitung auf, um zu tun, als würde er lesen. Er ist darauf eingestellt, zur Not auch stundenlang zu warten. Doch das ist gar nicht nötig. Der Mann, den er sucht, sitzt bereits vor dem Café.
Jakob erkennt ihn sofort. Cvitkovic sitzt an einem Tisch gleich neben der Tür, er trägt einen grünen Adidas-Trainingsanzug und sieht aus wie ein typischer Macker des Viertels, ein unrasierter Rüpel mit Bauchansatz. Er scheint entspannt und zufrieden mit sich, wie ein Mann, der keine ernsthaften Probleme im Leben hat. Er trinkt Bier aus der Flasche und liest aufmerksam eine Sportzeitung. Er trinkt einen Schluck Bier und spricht dann mit dem Kellner. Jakob kann sie nicht verstehen, aber es geht bestimmt um Fußball, wahrscheinlich um das Spiel vom Wochenende zwischen Hajduk Split und Spartak Moskau in Subotica, das Hajduk gewonnen hat.
Jakob sitzt noch keine halbe Stunde auf seinem Beobachtungsposten, als Cvitkovic sein Bier austrinkt, einen Geldschein auf den Tisch legt und aufsteht. Erst jetzt sieht Jakob, wie groß der Mann ist. Trotz seiner Tendenz zur Fülle hat Silvas Dealer einen sportlichen Körper.
Cvitko setzt eine Sonnenbrille auf, klemmt die zusammengerollte Zeitung unter den Arm und läuft Richtung Zentrum. Jakob folgt ihm.
Nach einiger Zeit biegt Cvitko in eine Seitenstraße und in ein Gassenlabyrinth ein und geht in Richtung Veli Varos. Sie laufen an verlassenen Einfamilienhäuschen vorbei, bis Cvitko schließlich in einem Hof verschwindet. Jakob bleibt stehen und linst um die Ecke. Der Hof besteht im Grunde aus den Außenwänden eines verfallenen Hauses. Auf dem Boden liegen Bauschutt und verkohlte Stützbalken. An einer der Wände kleben noch Kacheln. Jakob fragt sich, was Cvitko hier will. Dann begreift er. Der Mann im grünen Trainingsanzug hat Zeitung und Sonnenbrille auf den Boden gelegt. Er steht vor einer Wand, zieht seine Hose halb herunter und pisst. Er pisst lang und mit offensichtlichem Behagen. Als er fertig ist, verlässt er den Hof.
E schlängelt sich durch die Gassen und Gässchen von Varos in Richtung Süden und dann in Richtung Westen. Jakob folgt ihm. Dann bleibt Cvitko vor dem Schaufenster eines Brillenladens stehen. Jakob will nicht von ihm bemerkt werden und biegt um eine Ecke, wo er wartet, bis Cvitko weitergeht.
Nach ein paar Metern biegt Cvitko in die Senjska ulica und läuft nun in Richtung Osten, dann nimmt er eine Gasse, die zur Heiligkreuzkirche führt.
Als er den Kirchhof überquert hat, geht es wieder in Richtung Westen, bis er an der alten Gasabfüllung erneut eine südliche Richtung einschlägt. Jakob fragt sich, was der Unsinn soll. Silvas Dealer läuft im Kreis, ohne Plan und ohne Ziel. Er kreist innerhalb eines Radius von wenigen hundert Metern wie auf einer Acht, und Jakob kreist mit ihm.
Schließlich erreichen sie wieder den Hof. Für einen Moment hat Jakob geglaubt, den Mann verloren zu haben. Doch er steht an derselben Stelle, an der er vorhin gepisst hat und schaut auf die Uhr.
Eine magere junge Frau mit langen Haaren betritt den Hof. Sie hat einen Rucksack dabei und trägt eine für die Jahreszeit viel zu warme Jacke. Sie und Cvitko nicken einander zu.
Wie eine Art Gegengewicht zu der warmen Jacke trägt das junge Mädchen Leinenturnschuhe ohne Socken. Sie wirkt vernachlässigt und ist ungefähr in Silvas Alter. Ihr Gesicht jedoch zeigt eine Reife, die nicht zu ihrem Alter passt.
Cvitko schaut sich um und verschwindet mit dem Mädchen in einem der nahe gelegenen Hauseingänge. Sie bleiben nur kurz weg. Dann entfernt sich das Mädchen mit schnellen Schritten.
Jakob wartet, bis auch Cvitko geht. Nach kurzem Zögern folgt Jakob dem Mädchen. Er muss sich beeilen und holt sie an der Heiligkreuzkirche ein. Sie läuft Richtung Zentrum, überquert den Platz der Republik, schaut am Kino kurz in den Vorschaukasten und läuft dann auf die Fischhalle zu, die zu dieser Tageszeit bereits leer ist. Sie taucht in den Diokletianpalast ein und geht Richtung Osten, so umgeht sie die belebtesten Gassen. An der Volkshochschule biegt sie ab und erreicht einen kleinen Platz. Jakob erinnert sich an diesen Platz. Hier finden im Sommer manchmal Theatervorstellungen statt.
Das Mädchen lehnt sich an eine Mauer und zündet sich eine Zigarette an. Jakob drückt sich in einen Hauseingang. Sie bleibt lange so stehen, ohne irgendetwas zu tun. Jakob glaubt schon, es wäre ein Fehler gewesen, ihr zu folgen.
Doch dann tritt ein junger Mann auf die Frau zu, nur etwas älter als sie. Er trägt eine Bomberjacke mit den Emblemen eines Fußballclubs und hat einen Ohrring im Ohr. Er sagt etwas und die Frau nickt. Er gibt ihr Geld und sie ihm ein Tütchen. Jakob weiß nicht viel über Drogen, aber genug, um zu wissen, was er gerade beobachtet.
Die junge Frau hat dem Mann gerade Heroin verkauft. Sie dealt ganz offensichtlich für Cvitko.
Jakob bleibt stehen, wo er ist, und beobachtet entsetzt, was weiter geschieht. Die junge Frau steht am helllichten Tag auf einem Platz mitten in der Stadt und versorgt in aller Seelenruhe ihre Kunden. In der folgenden Stunde wiederholt sich das drei, vier Mal. Die Kunden geben ihr Geld und sie gibt ihnen