Название | Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel |
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Автор произведения | Nadine Erdmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | Die Totenbändiger - Die gesamte Staffel |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783958344105 |
Es war noch eine gute halbe Stunde bis zum Unterrichtsbeginn, als Cam mit Ella und Jules durch das Tor trat, trotzdem waren schon etliche ihrer Mitschüler auf dem Hof – und sie nahmen die Neuen gleich ins Visier.
Neugierig. Abschätzend. Misstrauisch.
Und mit jeder Menge Getuschel.
Cam spürte ihre Blicke wie Nadelstiche und widerstand nur mühsam dem Drang, an seiner Krawatte zu zerren, weil das blöde Ding ihm mehr und mehr die Luft abzuschnüren schien.
Bescheuerte Schuluniform.
Er verstand zwar deren Sinn – niemand sollte sich durch seine Kleidung hervortun und andere niedermachen können, die sich keine teuren Marken leisten konnten. Außerdem sollte einheitliche Kleidung das Gemeinschaftsgefühl und die Identifikation mit der Schule und den Mitschülern bestärken. Doch nicht jeder Mensch war ein Rudeltier und Cam war sich sicher, dass ihm dieser verfluchte erste Schultag deutlich leichter gefallen wäre, wenn er Klamotten hätte tragen dürfen, in denen er sich wohlfühlte und die ihm vertraut waren.
Er sah zu Ella, die neben ihm lief.
Normalerweise trug sie Leggins oder enge Jeans mit irgendeinem Pulli in Oversize oder Shirts im Lagenlook. Die meisten ihrer Klamotten nähte sie selbst aus ausgefallenen Stoffen, die sie auf den Märkten in ganz London auftrieb, oder sie kaufte Sachen in Secondhandläden und nähte sie um. Sie jetzt in einem schlichten Schulrock mit blaugrünem Schottenmuster, weißer Bluse, hellgrauem Pullunder und blauem Blazer zu sehen, war – schräg.
Aber seltsamerweise nicht schlecht schräg.
Im Gegenteil.
Trotz blaugrünen Haaren und schwarzen Linien an der Schläfe sah Ella so aus, als würde sie hierher passen. In ihrem Gesicht stand Vorfreude in Großbuchstaben und Fettdruck. Gleichzeitig begegnete sie den misstrauischen Blicken ihrer Mitschüler mit einem entwaffnenden Lächeln und winkte ihnen unbekümmert zu – und einige lächelten tatsächlich zurück.
Cam war beeindruckt. Und wieder einmal wurde ihm klar, warum Ella als der fröhliche Sonnenschein ihrer Familie galt. Bei ihm sorgten die ganzen Blicke nur dafür, dass die verdammte Unruhe, die er eigentlich ganz gut im Griff gehabt hatte, wieder schlimmer wurde, und er zerrte jetzt doch an der Krawatte, bevor das verdammte Ding ihn strangulieren konnte.
Die Uniform der Jungen bestand aus dunkelgrauen Chinos, weißem Hemd mit blaugrüner, extrem nervender Schottenmusterkrawatte, hellgrauem Pullunder und blauem Sakko. Auf dessen linker Brusttasche war – genau wie bei den Blazern der Mädchen – das Schulwappen aufgenäht: zwei Raben, die auf den Türflügeln eines eisernen Tores saßen. Damit war das Wappen ein exaktes Abbild des riesigen Eingangstores, das auf das Schulgelände führte.
Cam fühlte sich in der Uniform völlig verkleidet, auch wenn Sue und Granny beim Frühstück absolut verzückt gewesen waren und ihnen zig Mal versichert hatten, wie toll sie darin aussahen. Aber die beiden hatten ihnen diesen ganzen Schulmist ja auch maßgeblich eingebrockt. Klar, dass sie da etwas Nettes zu diesen blöden Uniformen sagen mussten.
Sehnsüchtig dachte Cam daran, wie sein Unterricht bisher ausgesehen hatte. Nur er, Ella und Jules zusammen mit Granny im Schulzimmer ihrer alten Stadtvilla, die seit vier Generationen das Zuhause von Phils Familie war. Granny hatte früher mal als Lehrerin an einer Schule in Kensington gearbeitet, ihren Job aber aufgegeben, um erst Gabriel und Sky, später dann auch ihn, Jules und Ella zu Hause zu unterrichten.
Eigentlich hätten sie auch in der Akademie der Totenbändiger zur Schule gehen können, doch Sue mochte die Akademie nicht – milde ausgedrückt. Sie war dort aufgewachsen, sprach aber nicht gerne darüber. Cam wusste nur, dass Sue die Mentalität und radikalen Erziehungsmethoden dort verabscheut und sich von der Akademie abgewandt hatte, sobald sie achtzehn gewesen war. Außerdem hatte sie verhindert, dass Gabriel, Ella und er selbst dort aufwachsen mussten.
Sue arbeitete als Klinikwächterin in einem Krankenhaus in Islington und bändigte die Geister der Opfer von Unfällen oder Gewaltverbrechen, wenn diese starben. Jede Klinik beschäftigte ein Team von Totenbändigern, die Patienten und Personal vor den Geistern beschützte, die unweigerlich beinahe täglich in den Krankenhäusern entstanden. Außerdem kümmerten die Wächter sich um Babys, die als Totenbändiger zur Welt kamen. Da solche Kinder in normalen Familien aus Angst vor der sozialen Ächtung nicht willkommen waren, ließen die Eltern diese Babys in den Kliniken zurück. Die Wächter brachten sie dann in die Akademie, wo sie von Totenbändigern aufgezogen wurden.
Manchmal nahmen Klinikwächter die Babys aber auch zu sich und gaben ihnen in ihren Familien ein Zuhause. So wie Sue. Als Gabriel und Ella in ihrer Klinik zur Welt gekommen und von ihren leiblichen Eltern verstoßen worden waren, hatte Sue es nicht übers Herz gebracht, sie in die Akademie zu bringen. Keiner der beiden sollte dort aufwachsen müssen – und keins ihrer Kinder sollte dort zur Schule gehen. Deshalb hatte Granny den normalen Schulunterricht übernommen, während Sue ihnen beibrachte, ihre Kräfte zu beherrschen und richtig einzusetzen.
Beide waren ziemlich strenge Lehrerinnen gewesen. Es hatte Leistungspläne gegeben, die absolut verbindlich waren, und Cam, Jules und Ella hatten immer wieder staatlich festgelegte Onlineprüfungen ablegen müssen, mit denen der Leistungsstand aller Homeschooling-Schüler offiziell überprüft wurde.
Trotzdem war es nie ein Problem gewesen, wenn Cam für manche Aufgaben länger gebraucht hatte als Jules oder Ella. Oder wenn er sie nur in Etappen erledigen konnte. An Tagen, an denen die Unruhe zu schlimm war, fiel es ihm schwer, sich zu konzentrieren. Granny hatte ihn dann zwischendurch andere Dinge machen lassen, wie sich im Garten um die Beete zu kümmern, Blätter zu fegen oder Gemüse fürs Abendessen vorzubereiten, bevor er sich wieder mit Matheformeln oder französischer Grammatik herumschlagen musste.
Das hatte prima funktioniert. In den Onlineprüfungen war er fast genauso gut gewesen wie Jules und Ella.
Aber jetzt gab es solche Sonderbehandlungen nicht mehr und er musste mit dem Unterricht in einer Regelschule klarkommen. Und mit jeder Menge fremder Leute. Vermutlich war das einer der Gründe, warum die ätzende Unruhe ihn heute wieder so rappelig machte.
Als vor zwei Monaten klargewesen war, dass sie nach den Sommerferien zur Schule gehen durften, hatte Phil angeboten, ihm ein Medikament zu geben, das ruhiger machte und half, dass er sich besser konzentrieren konnte. Aber Cam hatte abgelehnt. Vor ein paar Jahren hatte er schon einmal so ein Mittel ausprobiert, doch das hatte er nicht vertragen. Wenn man mit Übelkeit und migräneartigen Kopfschmerzen im Bett lag, war das kein guter Tausch für ein bisschen inneren Frieden, der sich zu allem Übel auch noch eher wie bleierne Müdigkeit angefühlt hatte. Auch wenn Phil ihm versichert hatte, dass es noch andere Medikamente gab mit Wirkstoffen, die seinem Körper vielleicht nicht so sehr zu schaffen machen würden, war Cam nicht scharf auf eine Wiederholung dieses Experiments gewesen. Er kam sich ohnehin schon oft genug wie ein Freak vor, da musste er nicht auch noch irgendwelche Pillen schlucken, die ihn noch mehr zu einem machten.
Jules zog die Tür zum Verwaltungstrakt auf. Dahinter lag ein kurzer Flur, von dem links das Sekretariat sowie das Büro der Direktorin und das Krankenzimmer der Schule abgingen. Rechts führte ein weiterer Gang tiefer ins Gebäude und ein Hinweisschild verriet, dass man dort Lehrerzimmer, Abteilungsleitungen, Stundenplanbüro, Hausmeister, Kopierraum und die Besprechungszimmer 1 bis 3 fand.
Die Tür zum Sekretariat stand einladend offen. Hinter einer Theke sortierte eine ältere Frau einen Stapel Kopien, sah aber sofort auf, als die drei eintraten.
»Hallo, da seid ihr ja! Na, schon aufgeregt?«
Sie kannten Ms Margret schon von ihrer Anmeldung. Genau wie Direktorin Carroll hatte sie keinerlei Vorbehalte gegen Totenbändiger an ihrer Schule und brachte ihren neuen Schülern von Anfang an das Gefühl entgegen, an der Ravencourt willkommen zu sein.
»Ja, ein bisschen«, gestand Ella ehrlich wie immer. »Aber vor allen Dingen freuen wir uns, dass es endlich losgeht.«
»Das ist die richtige Einstellung.« Ms Margret zwinkerte ihr gutgelaunt zu