The Walking Dead: Taifun. Wesley Chu

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Название The Walking Dead: Taifun
Автор произведения Wesley Chu
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966580458



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unkontrollierbaren Naturgewalt, die alles verschlang, was sich ihr in den Weg stellte. Der von zielloser Masseträgheit angetriebene Tod.

      Der Windmeister hatte eigentlich in seinem Versteck bleiben und die Reihe der jiāngshī passieren lassen wollen, doch nun erkannte er, dass er das Unvermeidliche nicht aufschieben sollte. Das Team würde sie entweder jetzt oder auf dem Rückweg töten müssen. Und das Gelände, auf dem sie sich momentan befanden, bot ihnen taktische Vorteile.

      Er nahm die Fingerspitzen in den Mund und stieß ein leises Pfeifen aus. Er hatte beinahe den ganzen Tag bis zum Hals in kaltem Moorwasser gestanden und nun war fast sein ganzer Körper taub. Das Pfeifen reichte jedoch. Als es seine Lippen verließ, tauchten drei Gestalten, die jeweils einen langen Speer in den Händen hielten, aus dem Wasser auf. Mit den scharfen Spitzen durchbohrten sie sieben jiāngshī, bevor die anderen sie bemerkten.

      Als die Toten ihnen den Rücken zuwandten, ließen sich Hengyen und Linnang von den Bäumen auf zwei jiāngshī fallen und griffen den Rest dann von hinten an. Hengyen, der mit zwei langen Dolchen bewaffnet war, erledigte routiniert vier. Linnang, das neueste Mitglied des Windteams, setzte beim Kampf eine große Axt ein. Sie schlugen und stachen um sich, mussten sich aber einen dicht bewaldeten Hügel hinauf zurückziehen, als die zuvor so ordentliche Reihe sich in eine blutgierige Meute verwandelte. Die beiden Männer flüchteten sich hinter einige Brombeersträucher und erledigten die jiāngshī, die in den Dornen hängen blieben.

      Der Rest von Hengyens Windteam stürmte vor und durchbohrte die anderen mit ihren Speeren. Als die jiāngshī sich ihnen zuwandten, flüchteten sie ins Wasser, wo die schwerfälligen Toten kaum vorankamen.

      Schon bald waren der Pfad und der Teich voller Leichenteile und Blut. Hengyen und Linnang verließen das Gestrüpp, sahen sich die am Boden liegenden jiāngshī an und töteten alle, die sich noch regten. Innerhalb weniger Minuten hatte das fünfköpfige Windteam mehr als fünfmal so viele jiāngshī getötet. Alle, abgesehen von ihrem »Anführer«, der weiter den Pfad entlangschlurfte und nicht ahnte, dass sein Gefolge abgeschlachtet worden war.

      Linnang zog ein Wurfmesser und zielte. Hengyen zog gleichzeitig sein Messer. Linnangs Klinge löste sich zuerst von seinen Fingerspitzen und verfehlte den Kopf des jungen jiāngshī um eine Handbreite. Der jiāngshī drehte sich zu ihnen um, doch im selben Moment bohrte sich Hengyens Klinge in sein Auge.

      Hengyen klopfte seinem neuesten Teammitglied auf die Schulter. »Nimm dir Zeit. Das rettet Leben.«

      »Ja, dàgē.« Der junge Mann errötete vor Scham.

      Hengyen wandte sich den anderen drei Mitgliedern seines Teams zu, die gerade aus dem Wasser stiegen, und reichte ihnen nacheinander die Hand, um ihnen herauszuhelfen. Das Team kam rasch zusammen und ging weiter über den Pfad, der an einer Schlucht entlangführte. Vor ihnen gab es in einiger Entfernung eine Brücke, die beide Seiten der Schlucht miteinander verband. Ein unendlicher Strom jiāngshī zog darüber. Selbst über diese Distanz erfüllten ihr Stöhnen und die Geräusche, die ihre Schritte verursachten, die Luft. Ab und zu fiel ein jiāngshī von der Brücke und landete mit einem Krachen auf den Felsen darunter. Es klang wie Hagel, der ein Blechdach traf. Die Geräusche hallten durch die Schlucht und ihr Echo klang noch lange nach.

      Sie gingen rasch, aber vorsichtig weiter und traten schließlich in den Schatten der Brücke. Der Boden war voller Leichen: jiāngshī, die von der Straße, die über ihnen verlief, gestolpert waren. Die meisten waren beim Sturz zerquetscht worden und kaum noch zu erkennen, aber einige regten sich noch und streckten ihre verdrehten und gebrochenen Gliedmaßen nach dem Windteam aus. Hengyens Leute erledigten alle, die sie im Vorbeigehen sahen, mit militärischer Präzision.

      Noch vor sechs Monaten hätte sich Hengyen bei diesem furchtbaren Anblick der Magen umgedreht. Doch nun war das sein Alltag, wenn er die Gegend östlich des Lichtblicks erkundete. Einer der ersten Ratschläge, die Hengyen neuen Rekruten der Windteams gab, war, sich bei der Beutesuche immer in Richtung der untergehenden Sonne zu halten. Wer nach Osten ging, forderte den Tod heraus. Dort lagen die großen Städte, in denen die Seuche ausgebrochen war und in denen es mehr jiāngshī gab als Sterne am Himmel.

      Nur sein Team durfte in diese Richtung gehen, denn ihre Aufgabe war wichtiger als die Erfüllung einer Quote. Hengyen war einer der wenigen verbliebenen Berufssoldaten und er kümmerte sich ausschließlich darum, die Sicherheit des Lichtblicks zu gewährleisten. In den letzten Wochen hatte die Zahl der jiāngshī, die aus dem Osten heranströmten, stark zugenommen. Nur er und sein Expertenteam verfügten über die Erfahrung und das Können, die nötig waren, um sich auf das Territorium der jiāngshī zu begeben und nach der Ursache dafür zu suchen.

      Seit dem Ausbruch der Epidemie kämpfte Hengyen an der Front gegen die Toten. Er war Hauptmann bei der bewaffneten Volkspolizei gewesen, genauer gesagt, hatte er eine der Eliteeinheiten des Falkenkommandos in der Volksbefreiungsarmee angeführt. Er und seine Leute hatten zu den ersten Soldaten gehört, die die Stadt Hangzhou betreten hatten, als dort Chaos und Panik ausgebrochen waren. Man hatte sie kaum mit Informationen ausgestattet, es gab nur einige Berichte über Menschen, die von einem schrecklichen Virus infiziert worden seien, durch den sie den Verstand verloren hätten und nun andere Menschen angriffen.

      Anfangs hatte die Regierung von einer Krankheit gesprochen, deshalb hatten Hengyen und seine Leute versucht, die »Kranken« zu neutralisieren, ohne sie zu verletzen. Das war ihr erster Fehler gewesen. Erst als Hengyen mit eigenen Augen gesehen hatte, wie ein sechsjähriger Junge seiner Mutter die Kehle herausriss und seine Zähne anschließend einem seiner Soldaten in den Arm schlug, hatte er begriffen, gegen was er kämpfte. Sein Soldat war gestorben, hatte sich ein paar Stunden später wieder erhoben und die Hälfte der Leute auf seiner Krankenstation umgebracht.

      Als klar geworden war, dass man die Seuche nicht eindämmen konnte, hatten die chinesischen Behörden versucht, die Stadt zu evakuieren, anstatt Luftangriffe anzuordnen, mit denen man die Toten vernichtet hätte. Das war ihr zweiter Fehler gewesen. Eine Eindämmung war unmöglich. Die Städte waren zu dicht besiedelt. Die Infektion hatte sich zu leicht ausgebreitet. Nach wenigen Tagen hatten die Toten und verzweifelte Überlebende die meisten Quarantäneposten in den Bevölkerungszentren überrannt. Nach wenigen Wochen hatte die Regierung den Kontakt zu sämtlichen Großstädten in Ostchina verloren. Danach hatte sich dieses Kommunikationsloch weiter nach Westen ausgebreitet und eine Stadt und eine Provinz nach der anderen verschlungen, bis das Militär schließlich nicht mehr gewusst hatte, was es eigentlich noch beschützen sollte. Mittlerweile wusste Hengyen nicht einmal mehr, wie viel vom Militär übrig geblieben war.

      Das Windteam eilte unter der Brücke hindurch und dann weiter, wobei alle darauf achteten, den herabfallenden Leichen auszuweichen. Sie blieben dicht an der Felswand, bis sie einen leicht ansteigenden Pfad fanden, der sich an der Ostseite der Schlucht nach oben wand. Unmittelbar über ihnen befand sich eine Felsformation, die so hoch wie ein mehrstöckiges Haus war und von der aus man die Umgebung bis hin zur Großstadt Changde überblicken konnte. Hengyen war bei seinen zahlreichen Erkundungen auf den Pfad und den Aussichtspunkt gestoßen. Anfangs hatte er die jiāngshī, die aus der Stadt hierher unterwegs waren, allein überwacht, doch in den letzten Wochen waren es so viele geworden, dass das zu gefährlich geworden war.

      Hengyen befahl allen außer seinem Leutnant, Wangfa, am Boden der Schlucht zu bleiben. Der Pfad war so schmal, dass man ihn nur seitwärts und mit dem Rücken zur Wand entlanggehen konnte. Und selbst dann ragten die Zehen noch über den Abgrund hinaus. Er hatte bereits einen Mann durch einen Sturz verloren. Der Tod war auch so schon allgegenwärtig. Er wollte nicht noch mehr Leben verschwenden.

      Die beiden Männer gingen den Pfad hinauf. Wangfa stieg zum ersten Mal auf den Aussichtspunkt. Hengyen war es wichtig, dass sein Stellvertreter sich daran gewöhnte, für den Fall, dass ihm etwas zustieß. Wangfa war der einzige andere Überlebende aus dem Falkenkommando. Sie waren oft unterschiedlicher Meinung, aber er war ein guter Soldat und ein kompetenter Offizier. Hengyen vertraute ihm. Ob er ihn mochte, war irrelevant.

      In seinem früheren Leben wäre Wangfa für eine Führungsposition nicht infrage gekommen. Man hatte sogar wegen übermäßiger Gewaltanwendung