Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe. Sigmund Freud

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Название Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe
Автор произведения Sigmund Freud
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788075836731



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einen anderen Sinn verbinde als mit dem Worte »verdrängt«. Es dürfte nur klar geworden sein, daß letzteres die Zugehörigkeit zum Unbewußten stärker als das erstere betont. Ich bin auf das naheliegende Problem nicht eingegangen, warum die Traumgedanken die Entstellung durch die Zensur auch für den Fall erfahren, daß sie auf die progrediente Fortsetzung zum Bewußtsein verzichten und sich für den Weg der Regression entscheiden, u. dgl. Unterlassungen mehr. Es kam mir vor allem darauf an, einen Eindruck von den Problemen zu erwecken, zu denen die weitere Zergliederung der Traumarbeit führt, und die anderen Themata anzudeuten, mit denen dieses auf dem Wege zusammentrifft. Die Entscheidung, an welcher Stelle die Verfolgung abgebrochen werden soll, ist mir dann nicht immer leicht geworden. – Daß ich die Rolle des sexuellen Vorstellungslebens für den Traum nicht erschöpfend behandelt und die Deutung von Träumen mit offenkundig sexuellem Inhalt vermieden habe, beruht auf einer besonderen Motivierung, die sich vielleicht mit der Erwartung der Leser nicht deckt. Es liegt gerade meinen Anschauungen und den Lehrmeinungen, die ich in der Neuropathologie vertrete, völlig ferne, das Sexualleben als ein Pudendum anzusehen, das weder den Arzt noch den wissenschaftlichen Forscher zu bekümmern hat. Auch finde ich die sittliche Entrüstung lächerlich, durch welche der Übersetzer des Artemidoros aus Daldis über die Symbolik der Träume sich bewegen ließ, das dort enthaltene Kapitel über sexuelle Träume der Kenntnis der Leser zu unterschlagen. Für mich war allein die Einsicht maßgebend, daß ich mich bei der Erklärung sexueller Träume tief in die noch ungeklärten Probleme der Perversion und der Bisexualität verstricken müßte, und so sparte ich mir dies Material für einen anderen Zusammenhang. Ich will auch nicht weiter untersuchen, worin der Unterschied im Spiel der psychischen Kräfte bei der Traumbildung und bei der Bildung der hysterischen Symptome 576 gelegen ist; es fehlt uns ja hiezu die genauere Kenntnis des einen der in Vergleich zu bringenden Glieder. Aber auf einen anderen Punkt lege ich Wert und schicke das Bekenntnis voraus, daß ich nur dieses Punktes wegen all die Erörterungen über die beiden psychischen Systeme, ihre Arbeitsweisen und die Verdrängung hier aufgenommen habe. Es kommt jetzt nämlich nicht darauf an, ob ich die in Rede stehenden psychologischen Verhältnisse annähernd richtig oder, wie bei so schwierigen Dingen leicht möglich, schief und lückenhaft aufgefaßt habe. Wie immer die Deutung der psychischen Zensur, der korrekten und der abnormen Bearbeitung des Trauminhalts sich verändern mag, es bleibt gültig, daß solche Vorgänge bei der Traumbildung wirksam sind und daß sie die größte Analogie im wesentlichen mit den bei der hysterischen Symptombildung erkannten Vorgängen zeigen. Nun ist der Traum kein pathologisches Phänomen; er hat keine Störung des psychischen Gleichgewichts zur Voraussetzung; er hinterläßt keine Schwächung der Leistungsfähigkeit. Der Einwand, daß meine Träume und die meiner neurotischen Patienten nicht auf die Träume gesunder Menschen schließen lassen, dürfte wohl ohne Würdigung abzuweisen sein. Wenn wir also aus den Phänomenen auf deren Triebkräfte schließen, so erkennen wir, daß der psychische Mechanismus, dessen sich die Neurose bedient, nicht erst durch eine das Seelenleben ergreifende krankhafte Störung geschaffen wird, sondern in dem normalen Aufbau des seelischen Apparats bereitliegt. Die beiden psychischen Systeme, die Übergangszensur zwischen ihnen, die Hemmung und Überlagerung der einen Tätigkeit durch die andere, die Beziehungen beider zum Bewußtsein – oder was eine richtigere Deutung der tatsächlichen Verhältnisse an deren Statt ergeben mag –; das alles gehört zum normalen Aufbau unseres Seeleninstruments, und der Traum zeigt uns einen der Wege, die zur Kenntnis der Struktur desselben führen. Wenn wir uns mit einem Minimum von völlig gesichertem Erkenntniszuwachs begnügen wollen, so werden wir sagen, der Traum beweist uns, daß das Unterdrückte auch beim normalen Menschen fortbesteht und psychischer Leistungen fähig bleibt. Der Traum ist selbst eine der Äußerungen dieses Unterdrückten; nach der Theorie ist er es in allen Fällen, nach der greifbaren Erfahrung wenigstens in einer großen Anzahl, welche die auffälligen Charaktere des Traumlebens gerade am deutlichsten zur Schau trägt. Das seelisch Unterdrückte, welches im Wachleben durch die gegensätzliche Erledigung der Widersprüche am Ausdruck gehindert und von der inneren Wahrnehmung abgeschnitten wurde, findet im Nachtleben und unter der 577 Herrschaft der Kompromißbildungen Mittel und Wege, sich dem Bewußtsein aufzudrängen.

       »Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo.

       Die Traumdeutung aber ist die Via regia zur Kenntnis des Unbewußten im Seelenleben.

      Indem wir der Analyse des Traums folgen, bekommen wir ein Stück weit Einsicht in die Zusammensetzung dieses allerwunderbarsten und allergeheimnisvollsten Instruments, freilich nur ein kleines Stück weit, aber es ist damit der Anfang gemacht, um von anderen – pathologisch zu heißenden – Bildungen her weiter in die Zerlegung desselben vorzudringen. Denn die Krankheit – wenigstens die mit Recht funktionell genannte – hat nicht die Zertrümmerung dieses Apparats, die Herstellung neuer Spaltungen in seinem Innern zur Voraussetzung; sie ist dynamisch aufzuklären durch Stärkung und Schwächung der Komponenten des Kräftespiels, von dem so viele Wirkungen während der normalen Funktion verdeckt sind. An anderer Stelle könnte noch gezeigt werden, wie die Zusammensetzung des Apparats aus den beiden Instanzen eine Verfeinerung auch der normalen Leistung gestattet, die einer einzigen unmöglich wäre.

       DAS UNBEWUßTE UND DAS BEWUßTSEIN

       DIE REALITäT

       Inhaltsverzeichnis

       Wenn wir genauer zusehen, ist es nicht der Bestand von zwei Systemen nahe dem motorischen Ende des Apparats, sondern von zweierlei Vorgängen oder Ablaufsarten der Erregung, deren Annahme uns durch die psychologischen Erörterungen der vorstehenden Abschnitte nahegelegt wurde. Es gälte uns gleich; denn unsere Hilfsvorstellungen fallenzulassen, müssen wir immer bereit sein, wenn wir uns in der Lage glauben, sie durch etwas anderes zu ersetzen, was der unbekannten Wirklichkeit besser angenähert ist. Versuchen wir es jetzt, einige Anschauungen richtigzustellen, die sich mißverständlich bilden konnten, solange wir die beiden Systeme im nächsten und rohesten Sinne als zwei Lokalitäten innerhalb des seelischen Apparats im Auge hatten, Anschauungen, die ihren Niederschlag in den Ausdrücken »verdrängen« und »durchdringen« zurückgelassen haben. Wenn wir also sagen, ein unbewußter Gedanke strebe nach Übersetzung ins Vorbewußte, um dann zum Bewußtsein durchzudringen, so meinen wir nicht, daß ein zweiter, an neuer Stelle gelegener Gedanke gebildet werden soll, eine Umschrift gleichsam, neben welcher das Original fortbesteht; und auch vom Durchdringen zum Bewußtsein wollen wir jede Idee einer Ortsveränderung sorgfältig ablösen. Wenn wir sagen, ein vorbewußter Gedanke wird verdrängt und dann vom Unbewußten aufgenommen, so könnten uns diese dem Vorstellungskreis des Kampfes um ein Terrain entlehnten Bilder zur Annahme verlocken, daß wirklich in der einen psychischen Lokalität eine Anordnung aufgelöst und durch eine neue in der anderen Lokalität ersetzt wird. Für diese Gleichnisse setzen wir ein, was dem realen Sachverhalt besser zu entsprechen scheint, daß eine Energiebesetzung auf eine bestimmte Anordnung verlegt oder von ihr zurückgezogen wird, so daß das psychische Gebilde unter die Herrschaft einer Instanz gerät oder ihr entzogen ist. Wir ersetzen hier wiederum eine topische Vorstellungsweise durch eine dynamische; nicht das psychische Gebilde erscheint uns als das Bewegliche, sondern dessen Innervation.

      579 Dennoch halte ich es für zweckmäßig und berechtigt, die anschauliche Vorstellung der beiden Systeme weiter zu pflegen. Wir weichen jedem Mißbrauch dieser Darstellungsweise aus, wenn wir uns erinnern, daß Vorstellungen, Gedanken, psychische Gebilde im allgemeinen überhaupt nicht in organischen Elementen des Nervensystems lokalisiert werden dürfen, sondern sozusagen zwischen ihnen, wo Widerstände und Bahnungen das ihnen entsprechende Korrelat bilden. Alles, was Gegenstand unserer inneren Wahrnehmung werden kann, ist virtuell, wie das durch den Gang der Lichtstrahlen gegebene Bild im Fernrohr. Die Systeme aber, die selbst nichts Psychisches sind und nie unserer psychischen Wahrnehmung zugänglich werden, sind wir berechtigt anzunehmen gleich den Linsen des Fernrohrs, die das Bild entwerfen. In der Fortsetzung dieses Gleichnisses entspräche die Zensur zwischen zwei Systemen der Strahlenbrechung beim Übergang in ein neues Medium.

       Wir haben bisher Psychologie auf eigene Faust getrieben; es ist Zeit, sich nach den Lehrmeinungen umzusehen, welche die heutige Psychologie beherrschen, und deren Verhältnis zu unseren Aufstellungen