Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe. Sigmund Freud

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Название Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe
Автор произведения Sigmund Freud
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788075836731



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ihm ein abschreckendes Bild vieler Kinderunarten bot, darunter auch jener der Onanie, aus der er sich selbst jetzt einen nachträglichen Vorwurf macht. Die Mama hatte damals bemerkt, daß der ungezogene Junge eine grünliche Gesichtsfarbe habe und rote (d. h. rotgeränderte) Augen. Daher das Schreckgespenst, das übrigens nur dazu bestimmt ist, ihn an eine andere Vorhersage der Mama zu erinnern, daß solche Jungen blödsinnig werden, in der Schule nichts erlernen können und früh sterben. Unser kleiner Patient läßt den einen Teil der Prophezeiung eintreffen; er kommt im Gymnasium nicht weiter und fürchtet sich, wie das Verhör seiner ungewollten Einfälle zeigt, entsetzlich vor dem zweiten Teil. Die Behandlung hat allerdings nach kurzer Zeit den Erfolg, daß er schläft, seine Ängstlichkeit verliert und sein Schuljahr mit einem Vorzugszeugnis abschließt.

      Hier kann ich die Auflösung einer Vision anreihen, die mir eine vierzigjährige Hysterika aus ihren gesunden Tagen erzählt hat. Eines Morgens schlägt sie die Augen auf und sieht ihren Bruder im Zimmer, der sich doch, wie sie weiß, in der Irrenanstalt befindet. Ihr kleiner Sohn schläft im Bette neben ihr. Damit das Kind nicht erschrickt und in Krämpfe521 verfällt, wenn es den Onkel sieht, zieht sie die Bettdecke über dasselbe, und dann verschwindet die Erscheinung. Die Vision ist die Umarbeitung einer Kindererinnerung der Dame, die zwar bewußt war, aber mit allem unbewußten Material in ihrem Innern in intimster Beziehung stand. Ihre Kinderfrau hatte ihr erzählt, daß die sehr früh verstorbene Mutter (sie selbst war zur Zeit des Todesfalles erst eineinhalb Jahre alt) an epileptischen oder hysterischen Krämpfen gelitten hatte, und zwar seit einem Schreck, den ihr der Bruder (der Onkel meiner Patientin) dadurch verursachte, daß er ihr als Gespenst mit einer Bettdecke über dem Kopf erschien. Die Vision enthält dieselben Elemente wie die Erinnerung: Die Erscheinung des Bruders, die Bettdecke, den Schreck und seine Wirkung. Diese Elemente sind aber zu neuem Zusammenhange angeordnet und auf andere Personen übertragen. Das offenkundige Motiv der Vision, der durch sie ersetzte Gedanke, ist die Besorgnis, daß ihr kleiner Sohn, der seinem Onkel physisch so ähnlich war, das Schicksal desselben teilen könnte.

      Beide hier angeführten Beispiele sind nicht frei von aller Beziehung zum Schlafzustande und darum vielleicht zu dem Beweise ungeeignet, für den ich sie brauche. Ich verweise also auf meine Analyse einer halluzinierenden Paranoika. ›Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen‹ (1896 b) und auf die Ergebnisse meiner noch nicht veröffentlichten Studien über die Psychologie der Psychoneurosen, um zu bekräftigen, daß man in diesen Fällen von regredienter Gedankenverwandlung den Einfluß einer unterdrückten oder unbewußt gebliebenen Erinnerung, meist einer infantilen, nicht übersehen darf. Diese Erinnerung zieht gleichsam den mit ihr in Verbindung stehenden, an seinem Ausdruck durch die Zensur verhinderten Gedanken in die Regression als in jene Form der Darstellung, in der sie selbst psychisch vorhanden ist. Ich darf hier als ein Ergebnis der Studien über Hysterie anführen, daß die infantilen Szenen (seien sie nun Erinnerungen oder Phantasien), wenn es gelingt, sie bewußtzumachen, halluzinatorisch gesehen werden und erst beim Mitteilen diesen Charakter abstreifen. Es ist auch bekannt, daß selbst bei Personen, die sonst im Erinnern nicht visuell sind, die frühesten Kindererinnerungen den Charakter der sinnlichen Lebhaftigkeit bis in späte Jahre bewahren.

      Wenn man sich nun erinnert, welche Rolle in den Traumgedanken den 522 infantilen Erlebnissen oder den auf sie gegründeten Phantasien zufällt, wie häufig Stücke derselben im Trauminhalt wiederauftauchen, wie die Traumwünsche selbst häufig aus ihnen abgeleitet sind, so wird man auch für den Traum die Wahrscheinlichkeit nicht abweisen, daß die Verwandlung von Gedanken in visuelle Bilder mit die Folge der Anziehung sein möge, welche die nach Neubelebung strebende, visuell dargestellte Erinnerung auf den nach Ausdruck ringenden, vom Bewußtsein abgeschnittenen Gedanken ausübt. Nach dieser Auffassung ließe sich der Traum auch beschreiben als der durch Übertragung auf Rezentes veränderte Ersatz der infantilen Szene. Die Infantilszene kann ihre Erneuerung nicht durchsetzen; sie muß sich mit der Wiederkehr als Traum begnügen.

      Der Hinweis auf die gewissermaßen vorbildliche Bedeutung der Infantilszenen (oder ihrer phantastischen Wiederholungen) für den Trauminhalt macht eine der Annahmen Scherners und seiner Anhänger über die inneren Reizquellen überflüssig. Scherner nimmt einen Zustand von »Gesichtsreiz«, von innerer Erregung im Sehorgan an, wenn die Träume eine besondere Lebhaftigkeit ihrer visuellen Elemente oder einen besonderen Reichtum an solchen erkennen lassen. Wir brauchen uns gegen diese Annahme nicht zu sträuben, dürfen uns etwa damit begnügen, einen solchen Erregungszustand bloß für das psychische Wahrnehmungssystem des Sehorgans zu statuieren, werden aber geltend machen, daß dieser Erregungszustand ein durch die Erinnerung hergestellter, die Auffrischung der seinerzeit aktuellen Seherregung ist. Ich habe aus eigener Erfahrung kein gutes Beispiel für solchen Einfluß einer infantilen Erinnerung zur Hand; meine Träume sind überhaupt weniger reich an sinnlichen Elementen, als ich die anderer schätzen muß; aber in dem schönsten und lebhaftesten Traume dieser letzten Jahre wird es mir leicht, die halluzinatorische Deutlichkeit des Trauminhalts auf sinnliche Qualitäten rezenter und kürzlich erfolgter Eindrücke zurückzuführen. Ich habe auf S. 447 ff. einen Traum erwähnt, in dem die tiefblaue Farbe des Wassers, die braune Farbe des Rauchs aus den Kaminen der Schiffe und das düstere Braun und Rot der Bauwerke, die ich sah, mir einen tiefen Eindruck hinterließen. Wenn irgendeiner, so mußte dieser Traum auf Gesichtsreiz gedeutet werden. Und was hatte mein Sehorgan in diesen Reizzustand versetzt? Ein rezenter Eindruck, der sich mit einer Reihe früherer zusammentat. Die Farben, die ich sah, waren zunächst die des Ankersteinbaukastens, mit dem die Kinder am Tage vor meinem Traume ein großartiges Bauwerk 523 aufgeführt hatten, um es meiner Bewunderung zu zeigen. Da fanden sich das nämliche düstere Rot an den großen, das Blau und Braun an den kleinen Steinen. Dazu gesellten sich die Farbeneindrücke der letzten italienischen Reisen, das schöne Blau des Isonzo und der Lagune und das Braun des Karstes. Die Farbenschönheit des Traums war nur eine Wiederholung der in der Erinnerung gesehenen.

       Fassen wir zusammen, was wir über die Eigentümlichkeit des Traums, seinen Vorstellungsinhalt in sinnliche Bilder umzugießen, erfahren haben. Wir haben diesen Charakter der Traumarbeit nicht etwa erklärt, auf bekannte Gesetze der Psychologie zurückgeführt, sondern haben ihn als auf unbekannte Verhältnisse hindeutend herausgegriffen und durch den Namen des »regredierten« Charakters ausgezeichnet. Wir haben gemeint, diese Regression sei wohl überall, wo sie vorkommt, eine Wirkung des Widerstands, der sich dem Vordringen des Gedankens zum Bewußtsein auf dem normalen Wege entgegensetzt, sowie der gleichzeitigen Anziehung, welche als sinnesstark vorhandene Erinnerungen auf ihn ausüben. In einer Darstellung der Lehre von der Verdrängung wäre auszuführen, daß ein Gedanke durch das Zusammenwirken zweier ihn beeinflussenden Momente in die Verdrängung gerät. Er wird von der einen Seite (der Zensur des Bw) weggestoßen, von der anderen (dem Ubw) angezogen, also ähnlich wie man auf die Spitze der großen Pyramide gelangt. (Vgl. den Aufsatz ›Die Verdrängung‹, 1915 d.). Beim Traume käme vielleicht zur Erleichterung der Regression hiezu das Aufhören der progredienten Tagesströmung von den Sinnesorganen, welches Hilfsmoment bei den anderen Formen von Regression durch Verstärkung der anderen Regressionsmotive wettgemacht werden muß. Wir wollen auch nicht vergessen, uns zu merken, daß bei diesen pathologischen Fällen von Regression wie im Traume der Vorgang der Energieübertragung ein anderer sein dürfte als bei den Regressionen des normalen seelischen Lebens, da durch ihn eine volle halluzinatorische Besetzung der Wahrnehmungssysteme ermöglicht wird. Was wir bei der Analyse der Traumarbeit als die »Rücksicht auf Darstellbarkeit« beschrieben haben, dürfte auf die auswählende Anziehung der von den Traumgedanken berührten, visuell erinnerten Szenen zu beziehen sein.

       Über die Regression wollen wir noch bemerken, daß sie in der Theorie der neurotischen Symptombildung eine nicht minder wichtige Rolle wie 524 in der des Traumes spielt. Wir unterscheiden dann eine dreifache Art der Regression: a) eine topische im Sinne des hier entwickelten Schemas der ø-Systeme, b) eine zeitliche, insofern es sich um ein Rückgreifen auf ältere psychische Bildungen handelt, und c) eine formale, wenn primitive Ausdrucks-und Darstellungsweisen die gewohnten ersetzen. Alle drei Arten von Regression sind aber im Grunde eines und treffen in den meisten Fällen zusammen, denn das zeitlich ältere ist zugleich das formal primitive und in der psychischen Topik dem Wahrnehmungsende nähere.

       Wir können auch das Thema der Regression im Traume nicht verlassen, ohne einem Eindruck Worte zu leihen, der sich uns bereits wiederholt aufgedrängt hat