Название | Heim schwimmen |
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Автор произведения | Deborah Levy |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783803141255 |
Drei schwarze Fliegen landeten auf seiner Stirn, aber er ließ ihre Hand nicht los, um sie zu verscheuchen. Er gab ihr das Stück Seide, das er als Taschentuch benutzte.
»Wischen Sie sich die Nase ab.«
»Ich will Ihr Taschentuch nicht.« Sie warf ihm das Stück Seide zurück in den Schoß. »Und ich hasse es, wenn jemand zu mir sagt, ich soll mich abwischen. Als wäre ich ein dreckiger Fußboden.«
Er war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte, dass auch das eine Zeile aus einem seiner Gedichte war. Nicht ganz so, wie er es geschrieben hatte, aber ziemlich ähnlich. Ihm fiel auf, dass sie am linken Knöchel einen langen Kratzer hatte, und sie sagte, das sei die Stelle, wo seine Frau sie im Pool am Fuß gepackt habe.
Die Ziege kam näher. Jedes Mal, wenn sie sich bewegte, klingelte die Glocke. Wenn sie stehenblieb, war die Glocke stumm. Sie machte ihn unruhig. Er streifte eine kleine grüne Grille von seiner Schulter und setzte sie auf ihre geöffnete Hand.
»Ich vermute, Sie haben etwas geschrieben und hätten gerne, dass ich es lese. Habe ich Recht?«
»Ja. Es ist nur ein Gedicht.« Wieder sprach sie in nüchternem Ton. Sie ließ die Grille frei und sah zu, wie sie ins Gras sprang und verschwand. »Genaugenommen ist es ein Zwiegespräch mit Ihnen.«
Joe hob einen Zweig auf, der vom Baum heruntergefallen war. Die braune Taube über seinem Kopf spielte mit dem Feuer. Sie hätte jederzeit auf einen dickeren Ast umziehen können, aber sie rührte sich nicht von der Stelle. Er sagte, er werde ihr Gedicht am Abend lesen, und wartete darauf, dass sie ihm dankte.
Er wartete. Auf ihren Dank. Für seine Zeit. Für seine Aufmerksamkeit. Für seine Großzügigkeit. Dafür, dass er sie vor Mitchell in Schutz genommen hatte. Für seine Gesellschaft und für seine Worte, die Gedichte, die sie mehr oder weniger dazu gebracht hatten, ihm im Familienurlaub aufzulauern wie eine Stalkerin. Ihr Dank blieb aus.
»Ach ja,« – er starrte auf ihre blassen, mit zerquetschten Ameisen übersäten Schienbeine – »dass Sie, ähm, Medikamente nehmen und so weiter ... behalte ich natürlich für mich.«
Sie zuckte die Achseln. »Also ehrlich gesagt wissen es Jürgen und Dr. Sheridan und alle im Dorf sowieso. Außerdem nehme ich sie ja nicht mehr.«
»Ist Madeleine Sheridan Ärztin?«
»Ja.« Sie verkrampfte die Zehen. »Sie hat gute Kontakte zur Klinik in Grasse. Also tun Sie lieber so, als wären sie glücklich und hätten Ihr Leben im Griff.«
Er lachte, und um ihn noch einmal zum Lachen zu bringen, damit er wie jemand wirkte, der glücklich ist und sein Leben im Griff hat, erzählte sie ihm, dass nichts, absolut gar nichts ein Geheimnis blieb, sobald Jürgen davon erfuhr. »Wie alle Menschen, die nichts für sich behalten können, legt er die Hand aufs Herz und beteuert, seine Lippen seien versiegelt. Aber Jürgens Lippen sind niemals versiegelt, weil immerzu ein riesiger Joint dazwischensteckt.«
Joe Jacobs wusste, dass er ihr mehr Fragen stellen sollte. Wie seine Frau, die Journalistin. Nach dem Warum, dem Wie, dem Wann, dem Wer und allem anderen, was das Leben besser verstehen hilft. Aber sie hatte ihm ja ein paar Dinge erzählt. Auf dem Weg zum Obstgarten hatte sie ihm erzählt, ihren Job, im Victoria Park in Hackney Blätter zusammenzurechen und den Rasen zu mähen, habe sie an den Nagel gehängt. Eine Jugendgang habe sie mit einem Messer bedroht, weil ihre Beine gezuckt hätten, solange sie die Tabletten nahm, und sie somit eine leichte Beute gewesen sei.
Wieder klingelte die Glocke.
»Was ist das?« Kitty stand auf und spähte in das hohe Gras.
Joe sah, wie sich unter ihrem Kleid die einzelnen Wirbel abzeichneten. Als ihm schon wieder der Hut vom Kopf rutschte, hob sie ihn auf, klopfte ihn mit ihren grünen Fingernägeln ab und hielt ihn Joe hin.
»Oh!«
Kitty rief »Oh!«, weil sich in diesem Augenblick etwas im hohen Gras bewegte und pink und silbern aufblitzte. Etwas kam auf sie zu. Das Gras schien sich zu teilen, und dann stand, barfuß und im Kirschdruckbikini, Nina vor ihnen. An den Zehen trug sie das Geschenk von Jürgen, die fünf Zehenringe aus Indien, an denen kleine Glöckchen angebracht waren.
»Ich hab dich gesucht.« Sie starrte ihren Vater an, der anscheinend Kitty Finch die Hand hielt. »Mama ist nach Nizza gefahren. Sie sagte, sie müsse ihre Schuhe reparieren lassen.«
Kitty blickte auf die Uhr an ihrem schmalen Handgelenk.
»Aber die Schuster in Nizza haben um diese Zeit geschlossen.«
Drei knurrende Hunde kamen aus dem Gras gesprungen und umkreisten sie. Als der Bauer auftauchte und den schwitzenden englischen Dichter zur Rede stellte, weil er unbefugt sein Grundstück betreten habe, riss die hübsche junge Engländerin das Band von ihrem Hut und reichte es dem finster dreinblickenden Dichter.
»Wischen Sie sich die Stirn ab«, sagte sie, und dann forderte sie den Bauern auf Französisch auf, er solle seine Hunde zurückpfeifen.
Als sie wieder an der Villa ankamen, ging Joe unter den Zypressen hindurch in den Garten, wo er einen Tisch und einen Stuhl aufgestellt hatte, um im Schatten zu schreiben. Seit zwei Wochen bezeichnete er diese Ecke als sein Arbeitszimmer, und alle wussten, dass er hier nicht gestört werden durfte, selbst dann nicht, wenn er auf seinem Stuhl einschlief. Zwischen den Ästen der Zypressen hindurch sah er, dass Laura auf dem ausgebleichten Korbstuhl am Pool saß. Mitchell brachte ihr gerade eine Schüssel Erdbeeren.
Schläfrig schaute er Laura und Mitchell dabei zu, wie sie in der prallen Sonne ihre Erdbeeren aßen, und bald schon fand er sich am Rande des Schlafes wieder. Es war ein seltsames Gefühl, »sich« am Rande des Schlafes »wiederzufinden«. Als ob er sich jemals irgendwo »wiederfinden« könnte. Wenn, dann sollte es gefälligst ein angenehmer Ort sein, ein Ort ohne Kummer oder drohende Gefahr; ein Tisch im Schatten eines alten Baumes, im Kreis seiner Familie; eine Gondel, die durch die Kanäle Venedigs gleitet, während er fotografiert; ein leeres Kino, in dem er, eine Dose Bier zwischen den Beinen, allein einen Film anschaut. Ein Auto auf einer Gebirgsstraße um Mitternacht, nach einem Schäferstündchen mit Kitty Finch.
Eine Gebirgsstraße. Mitternacht.
Es wurde dunkel, und sie sagte ihm, die Bremsen des Mietwagens seien im Arsch, und sie sehe nichts, sie sehe nicht einmal ihre Hände.
Als sie sich über das Lenkrad beugte, rutschte ihr das Seidenkleid von den Schultern. Ein Kaninchen lief über die Straße, und das Auto scherte aus. Er sagte, sie solle sich auf die Straße konzentrieren, auf nichts anderes, und während er sprach, küsste sie ihn und steuerte gleichzeitig den Wagen. Und dann bat sie ihn, sein Fenster zu öffnen, damit sie hören könne, wie die Insekten im Wald einander riefen. Er kurbelte das Fenster herunter und sagte noch einmal, sie solle sich auf die Straße konzentrieren. Er streckte den Kopf aus dem Fenster und spürte, wie die kalte Bergluft auf seinen Lippen brannte. Einst hatten in diesem Bergwald urzeitliche Menschen gelebt. Sie wussten, dass die Vergangenheit in Felsen und Bäumen zu Hause war, und sie wussten, dass ihr Begehren sie unbeholfen, verrückt, rätselhaft und verkorkst werden ließ.
»Ja«, sagte Kitty Finch, den Blick wieder auf die Straße gerichtet. »Ich weiß, was du denkst. Das Leben ist nur lebenswert, weil wir hoffen, dass es irgendwann besser wird und dass wir am Ende alle wohlbehalten heimkehren. Aber du hast es versucht, und du bist nicht wohlbehalten heimgekehrt. Du hast überhaupt nicht heimgefunden. Deshalb bin ich hier, Jozef. Ich bin nach Frankreich gekommen, um dich von deinen Gedanken zu erlösen.«
Imitiertes Leben
Isabel Jacobs war sich nicht sicher, warum sie gelogen hatte, sie müsse ihre Schuhe reparieren lassen. Schon wieder etwas, worüber sie sich nicht sicher war. Alles, was sie seit der Ankunft von Kitty Finch tun konnte, um durch den Tag zu kommen, war eine Person zu imitieren, die sie einmal gewesen war. Nur dass ihr diejenige, die sie einmal gewesen war, nicht mehr nachahmenswert