Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

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Название Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane
Автор произведения Felix Dahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027222049



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Vertreter der Römer sein.» – «Ich weiß davon nichts», sagte Rusticiana. – «Es ward vertuscht. Das Todesurteil war gesprochen über Boëthius und seine Söhne. Vergebens hatten wir alle, Amalaswintha voran, die Gnade des Königs angerufen: sein Zorn war unauslöschlich. Als ich wieder und wieder ihn bestürmte, fuhr er zornig auf und schwur bei seiner Krone, der solle es im tiefsten Keller büßen, der ihm noch einmal mit der Fürbitte für die Verräter nahe. Da verstummten wir alle. Nur einer nicht. Nur Athalarich, der Knabe, ließ sich nicht schrecken, er weinte und flehte und hing sich an seines Großvaters Knie.»

      Kamilla erbebte. Der Atem stockte ihr.

      «Und nicht ließ er ab, bis Theoderich in höchstem Zorn emporfuhr, ihn mit einem Schlag in den Nacken von sich schleuderte und den Wachen übergab. Der ergrimmte König hielt seinen Eid. Athalarich ward in den Kerker des Schlosses geführt und Boëthius sofort getötet.»

      Kamilla wankte und hielt sich an einer Säule des Saales.

      «Aber nicht umsonst hatte Athalarich gesprochen und gelitten.

      Tags darauf vermißte der König an der Tafel schwer den Liebling, den er von sich gebannt. Er gedachte, mit welch edlem Mut er, der Knabe, für seine Freunde gebeten, als die Männer in Furcht verstummten. Er stand endlich auf von seinem Abendtrunk, bei dem er lange sinnend saß, stieg selbst hinab in den Keller, öffnete die Pforte, umarmte seinen Enkel und schenkte auf seine Bitte deinen Söhnen, Rusticiana, das Leben.»

      «Fort, fort zu ihm!» sprach Kamilla mit erstickter Stimme zu sich selbst und eilte aus dem Saal.

      «Damals», fuhr Cassiodor fort, «damals mochten Römer und Römerfreunde in dem künftigen König ihre beste Stütze sehen, und jetzt meine arme Herrin, arme Mutter!» und klagend schritt er hinaus.

      Rusticiana saß lange wie betäubt. Sie sah alles wanken, worauf sie ihre Rachepläne gebaut: sie versank in dumpfes Brüten. Länger und länger schon fielen die Schatten der hohen, starken Türme in den Schloßhof, auf welchen sie hinausstarrte.

      Da weckte sie der feste Schritt eines Mannes im Saal, erschrocken fuhr sie auf: Cethegus stand vor ihr. Sein Antlitz war kalt und finster, aber eisig ruhig.

      «Cethegus!» rief die Bekümmerte und wollte seine Hand fassen, aber seine Kälte schreckte sie zurück. «Alles verloren!» seufzte sie, stehen bleibend. «Nichts ist verloren. Es gilt nur Ruhe. Und Raschheit», setzte er, umblickend im Gemach, hinzu, Als er sich allein mit ihr sah, griff er in die Brustfalten seiner Toga. «Dein Liebestrank hat nicht geholfen, Rusticiana. Hier ist ein andrer – stärkrer. Nimm.» Und rasch drückte er ihr eine Phiole von dunklem Lavastein in die Hand. Mit banger Ahnung sah ihn die Freundin an: «Glaubst du auf einmal an Magie und Zaubertrank? Wer hat ihn gebraut?» – «Ich», sagte er, «und meine Liebestränke wirken.» – «Du!» – es durchlief sie ein eisiges Grauen. «Frage nicht, forsche nicht, säume nicht», sprach er herrisch. «Es muß noch heute geschehen. Hörst du? Noch heute.»

      Aber Rusticiana zögerte noch und sah zweifelnd auf das Fläschchen in ihrer Hand. Da trat er heran, leise ihre Schulter berührend: «Du zauderst», sagte er langsam. «Weißt du, was auf dem Spiele steht? Nicht nur unser ganzer Plan! Nein, blinde Mutter. Noch mehr. Kamilla liebt, liebt den König mit aller Kraft der jungen Seele. Soll die Tochter des Boëthius die Buhle des Tyrannen werden?»

      Laut aufschreiend fuhr Rusticiana zurück: was in den letzten Tagen wie eine böse Ahnung in ihr aufgestiegen, ward ihr gewiß mit diesem einen Wort: noch einen Blick warf sie auf den Mann, der das Grausame gesprochen, und hinweg eilte sie, zornig die Faust um das Fläschchen geballt.

      Ruhig sah ihr Cethegus nach. «Nun, Prinzlein, wollen wir sehen. Du warst rasch, ich bin rascher. – Es ist eigen», sagte er dann, die Falten seiner Toga herabziehend, «ich glaubte längst nicht mehr, noch solche heftige Regung empfinden zu können. Jetzt hat das Leben wieder einen Reiz. Ich kann wieder streben, hoffen, fürchten. Sogar hassen. Ja, ich hasse diesen Knaben, der sich unterfängt, mit der kindischen Hand in meine Kreise zu tappen. Er will mir trotzen – meinen Gang aufhalten, er stellt sich kühn in meinen Weg: Er – mir! Wohlan, so trag’ er denn die Folgen.»

      Und langsam schritt er aus dem Gemach und wandte sich nach dem Audienzsaal der Regentin, wo er sich absichtlich der versammelten Menge zeigte und durch die eigne Sicherheit den bestürzten Herzen der Hofleute einige Ruhe wiedergab. Er sorgte dafür, zahlreicher Zeugen für all seine Schritte an diesem verhängnisvollen Tage sich zu versichern. Beim Sinken der Sonne ging er mit Cassiodor und einigen andern Römern, seine Verteidigung für den nächsten Tag beratend, in den Garten, in dessen Laubgängen er sich umsonst nach Kamilla umsah.

      Diese war, sowie sie Cassiodors Bericht zu Ende gehört, in den Hof des Palastes geeilt, wo sie zu dieser Stunde den König mit den andern jungen Goten seines Hofes beim Waffenspiel zu treffen hoffte. Nur sehen wollte sie ihn, doch nicht ihn sprechen und ihm zu Füßen ihr großes Unrecht abbitten. Sie hatte ihn verabscheut, von sich gestoßen, ihn als mit dem Blut ihres Vaters befleckt gehaßt – ihn, der sich für diesen Vater geopfert, der ihre Brüder gerettet hatte!

      Aber sie fand ihn nicht im Hof. Die wichtigen Ereignisse des Tages hielten ihn in seinem Arbeitszimmer fest. Auch seine Waffengesellen fochten und spielten heute nicht: in dichten Gruppen beisammenstehend, priesen sie laut den Mut ihres jungen Königs.

      Mit Wonne sog Kamilla dieses Lob ein: stolz errötend, selig träumend, wandelte sie in den Garten und suchte dort an allen seinen Lieblingsstätten die Spuren des Geliebten. Ja, sie liebte ihn: kühn und freudig gestand sie sich’s ein: er hatte es tausendfach um sie verdient. Was Gote, was Barbar! Er war ein edler, herrlicher Jüngling, ein König, der König ihrer Seele. Wiederholt wies sie die begleitende Daphnidion aus ihrer Nähe, daß diese nicht höre, wie sie wieder und wieder den geliebten Namen selig vor sich hinsprach. Endlich am Venustempel angelangt, versank sie in süße Träume über die Zukunft, die unklar, aber golden dämmernd, vor ihr lag. Vor allem beschloß sie, dem Präfekten und ihrer Mutter schon morgen zu erklären, nicht mehr auf ihre Mithilfe gegen den König zählen zu sollen. Dann wollte sie diesem selbst ihre Schuld abbitten mit innigen Worten und dann – dann? Sie wußte nicht, was dann werden sollte: aber sie errötete in holden Träumen.

      Rote, duftige Mandelblüten fielen aus den nickenden Büschen: in dem dichten Oleander neben ihr sang die Nachtigall, eine klare Quelle glitt rieselnd an ihr vorüber nach dem blauen Meer, und die Wellen dieses Meeres rollten leise, wie ihrer Liebe huldigend, zu ihren Füßen.

      Elftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Aus solchem Sinnen und Sehnen weckte sie ein nahender Schritt auf den Sandwegen. Der Gang war so rasch und so bestimmt der Tritt, daß sie nicht Athalarich vermutete. Aber es war der König: verändert in Haltung und Erscheinen, männlich, kräftiger, fester. Hoch trug er das sonst zur Brust gebeugte Haupt, und das Schwert Theoderichs klirrte an seiner Hüfte.

      «Gegrüßt, gegrüßt, Kamilla», rief er ihr laut und lebhaft entgegen. «Dein Blick ist der schönste Lohn für diesen heißen Tag.»

      So hatte er noch nie zu ihr gesprochen.

      «Mein König», flüsterte sie erglühend. Einen leuchtenden Blick noch warfen die braunen Augen auf ihn: dann senkten sich die langen Wimpern. Mein König! So hatte sie ihn nie genannt, solchen Blick ihm nie geschenkt. «Dein König?» sagte er, sich neben ihr niederlassend, «Ich fürchte, so wirst du mich nicht mehr nennen, wenn du erfährst, was alles heute geschehen.»

      «Ich weiß alles.» – «Du weißt? Nun dann, Kamilla, sei gerecht: schilt nicht, ich bin kein Tyrann.» Der Edle, dachte sie, er entschuldigt sich um seine schönsten Taten.

      «Sieh, ich hasse die Römer nicht, der Himmel weiß es – sie sind ja dein Volk! – Ich ehre sie und ihre alte Größe, ich achte ihre Rechte. Aber mein Reich, den Bau Theoderichs, muß ich beschützen, streng und unerbittlich, und weh der Hand, die sich dawider hebt. Vielleicht», fuhr er langsamer und feierlich fort, «vielleicht